Rom platzte am Sonntag aus allen Nähten: Papst Benedikt XVI. hat seinen Vorgänger seliggesprochen. Auch Kanzlerin Merkel verfolgte die Zeremonie.
Rom. Papst Benedikt XVI. hat am Sonntag bei einer feierlichen Messe auf dem römischen Petersplatz seinen Vorgänger Johannes Paul II. (1920-2005) seliggesprochen. In Anwesenheit von 1,5 Millionen Gläubiger rund um den Platz in der italienischen Hauptstadt würdigte er den unerschütterlichen Glauben und die starke Spiritualität des polnischen Kirchenoberhaupts. "Er hat uns geholfen, keine Angst vor der Wahrheit zu haben, denn die Wahrheit ist die Garantie der Freiheit“, sagte Benedikt in seiner Predigt vor hochrangigen Delegationen aus aller Welt, darunter zahlreichen Staats- und Regierungschefs.
Johannes Paul habe die christliche Botschaft in Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik hineingetragen. "Mit der Kraft eines Riesen hat er eine Tendenz umgedreht, die unumkehrbar erscheinen mochte“, betonte Benedikt im Bezug auf die Säkularisierung der Gesellschaft. Bereits bei seiner ersten Messe nach seiner Wahl zum Papst habe Karol Wojtyla die Menschen aufgefordert: "Reißt die Tore weit auf für Christus!“
Benedikt wies insbesondere auf die Auseinandersetzung seines Vorgängers mit dem Marxismus hin. Den Christen habe der damit neue Orientierung gegeben, welche die Geschichte übersteige, während sie zugleich auf diese einwirke. "Diesen Dienst der Hoffnung, der in gewisser Weise dem Marxismus und der Fortschrittsideologie überlassen worden war, hat er zu Recht wieder für das Christentum beansprucht.“
Um Unterschied zu seiner gewöhnlich zurückhaltenden Art zeigte der Papst sich bei der Seligsprechung seines Vorgängers sichtlich entspannt. So begrüßte er freudig lächelnd die Ordensfrauen, die ihm eine Ampulle mit dem Blut des neuen Seligen als Reliquie darbrachten.
Wie bei der Trauerfeier für Johannes Paul vor sechs Jahren forderten Gläubige auf dem Petersplatz mit dem Ruf "Santo subito“ unterdessen seine umgehende Heiligsprechung. Die Seligsprechung, die in diesem Fall besonders schnell vollzogen wurde, gilt als wichtige Vorstufe zu dieser höchsten Ehre für katholische Glaubenszeugen.
Der römische Kardinalvikar Agostino Vallini betonte bei der Messe die starke Marienfrömmigkeit Johannes Pauls. Er habe sie "mit der Zärtlichkeit, mit der Innigkeit eines Sohnes, der sich den Armen der Mutter überlässt“, geliebt. Bei seiner Tätigkeit in einer Fabrik habe er in seiner Jugend ein Bewusstsein für die Probleme der Arbeitswelt entwickelt, das später in die katholische Soziallehre einfloss. Während der deutschen Besatzung Polens sowie unter der kommunistischen Diktatur habe er sich stets als "Mann mit festem und mutigem Glauben, der den Menschen und ihren wirklichen Problemen nahe ist,“ erwiesen.
Mehr Gläubige als erwartet in Rom
Die Seligsprechung hat unterdessen mehr Pilger und Gläubige nach Rom gelockt als erwartet. Polizeiangaben waren sämtliche Plätze der Stadt, auf denen das Großereignis vom Petersplatz aus übertragen wurde, ebenso wie die Gegend rund um den Vatikan bis an den Rand ihrer Kapazitäten gefüllt.
Damit sind weit mehr Menschen nach Rom gekommen als ursprünglich von den kirchlichen Organisatoren angenommen. Die Zahl der Gäste sei "überraschend“ groß, sagte der stellvertretende Vatikansprecher Ciro Benedettini am Sonntagvormittag vor Journalisten. Konkrete Zahlen nannte er nicht. Das römische Pilgerwerk, das mit der logistischen Organisation der Seligsprechungsfeierlichkeiten betraut war, hatte 300.000 Pilger erwartet. Aufgrund des großen Andrangs sei es bisweilen zu kleineren Zwischenfällen gekommen. Insgesamt laufe jedoch alles nach Plan ab, so Benedettini.
Papst Benedikt XVI. erreichte im Papamobil den Platz vor dem Petersdom, um seinen direkten Vorgänger seligzusprechen. Delegationen aus etwa 90 Ländern hatten hochrangige Vertreter nach Rom entsandt, um dieser besonderen Feier für den populären polnischen Papst beizuwohnen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reiste überraschend zu den Feierlichkeiten. Außerdem wurden fünf Königshäuser und 16 Staats- und Regierungschefs erwartet.
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Auch an verschiedenen Orten in Karol Wojtylas Heimatland Polen sind am Sonntag zehntausende Menschen zur Seligsprechung zusammengekommen. Die Zeremonie aus Rom sollte auf riesigen Videobildschirmen übertragen werden, unter anderem in Warschau, am Wallfahrtort der Göttlichen Barmherzigkeit in Lagiewniki bei Krakau und in Wadowice, dem Geburtsort des verstorbenen Papstes. Allein in Lagiewniki wurden mehr als 100.000 Gläubige erwartet.
Die Bahre mit den sterblichen Überresten des neuen Seligen wurde wenige Stunden vor dem Beginn der Zeremonie aus den Vatikanischen Grotten vor den Hauptaltar im Petersdom verlegt. Nach der Seligsprechungsmesse sollten die anwesenden Gläubigen dem neuen Seligen in der Basilika huldigen dürfen.
Beginn der Feierlichkeiten am Sonnabend
Die Feierlichkeiten zur Seligsprechung hatten bereits am Sonnabendabend begonnen. Im Circus Maximus versammelten sich dazu rund 200.000 zumeist jugendliche Pilger zu einer Nachtwache. Papst Benedikt XVI. wandte sich am Vorabend der Seligsprechung seines aus Polen stammenden Vorgängers in einer kurzen Fernsehansprache an dessen Landsleute.
Bei der Gebetswache im Circus Maximus, einer altrömischen Arena, berichtete die französische Nonne Marie Simon-Pierre über ihre Heilung von der Parkinson-Krankheit durch ein Gebet an den 2005 verstorbenen Papst. Dieses vom Vatikan anerkannte "Wunder“ war Voraussetzung für die Seligsprechung von Johannes Paul II. "Danke an all die jungen Menschen“, sagte die 50-jährige Nonne. "Johannes Paul II., der euch von oben sieht, ist glücklich.“ Der Papst sei ein "Hirte“ gewesen, "der den Schwachen, den Kranken und den Jungen nahestand“.
"Ich bin überzeugt, dass er als ein Heiliger starb“, sagte Stanislaw Dziwisz, ein langjähriger Wegbegleiter des polnischen Papstes und heutiger Erzbischof von Krakau vor den versammelten Menschen, von denen viele Kerzen in den Händen hielten. Nach der Seligsprechung bedarf es eines weiteren "Wunders“, damit Johannes Paul II. heilig gesprochen werden kann. Der Vatikan deutete bereits an, dass dies bald geschehen könne.
"Ich teile mit Ihnen die Freude, die mein Herz und meinen Geist erfüllt, Ihren Landsmann und meinen großen Vorgänger im Papstamt in den Seligen-Stand zu erheben“, sagte das deutsche Oberhaupt der katholischen Kirche auf Polnisch und Italienisch in seiner Ansprache, die am Sonnabendabend im polnischen Fernsehen ausgestrahlt wurde. "Die Kirche in Polen und die ganze polnische Nation, die ihn so geliebt haben, werden in ihm einen neuen Patron und Beschützer haben.“ Johannes Paul II., der sein Amt 1978 antrat, war der erste nicht-italienische Papst seit mehr als vier Jahrhunderten.
Tausende Pilger versammelten sich am Sonnabendabend bereits auf dem Petersplatz, wo Papst Johannes Paul II. am Sonntag bei einer feierlichen Messe selig gesprochen wird. Zu der Zeremonie werden Vertreter aus 87 Ländern sowie bis zu 500.000 Gläubige aus aller Welt erwartet. Die Seligsprechung ist eine Vorstufe der Heiligsprechung. Voraussetzung ist, dass der Betroffene im Ruf der Heiligkeit stand, ein Martyrium erlitten oder ein Wunder bewirkt hat und tugendhaft war. Um seinen Vorgänger schneller in den Stand der Seligen zu erheben, verkürzte Papst Benedikt XVI. eigens die vorgeschriebene Wartezeit. Mit der Seligsprechung darf Johannes Paul II. sechs Jahre und 29 Tage nach seinem Tod offiziell von Gläubigen im Gebet verehrt werden.
Auch Kritik an Seligsprechung
Papst Johannes Paul II. gilt als einer der beliebtesten Päpste überhaupt. Der Pontifex mit der zweitlängsten Amtszeit spielte in seiner Heimat Polen eine Schlüsselrolle im Widerstand gegen den Kommunismus, er führte die katholische Kirche durch die turbulenten Jahrzehnte nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und machte den Glauben auch unter jungen Menschen wieder populär.
Vor seiner Seligsprechung wurden jedoch auch kritische Stimmen laut: Die zügige Seligsprechung des Verstorbenen habe eine gründliche Untersuchung seines Lebens und Wirkens verhindert, hieß es.
So wurden während seines fast 27-jährigen Pontifikats immer wieder Fälle von Kindesmissbrauch durch Priester bekannt. Die katholische Kirche tat sich jedoch lange schwer mit der Aufarbeitung der Verbrechen und deckte teilweise sogar die Täter. Vor allem in Irland habe diese Haltung der Kirche sehr geschadet, sagen Kritiker.
Kritiker bemängeln Umgang mit Missbrauchsvorwürfen
Als vielleicht größtes Versagen Johannes Pauls II. werten viele Beobachter im Vatikan den Umgang des Kirchenoberhauptes mit den Legionären Christi. Jahrelang ignorierte er Missbrauchsvorwürfe gegen den Gründer Marcial Maciel und stilisierte den ultrakonservativen Orden zum Vorbild der Strenggläubigkeit. Erst unter dem amtierenden Papst Benedikt XVI. ging der Vatikan gegen Maciel vor und drängte ihn aus der Führung der Legionäre Christi.
Doch auch von konservativer Seite wurde Kritik an Johannes Paul II. geäußert. Er habe nichts gegen den Bedeutungsverlust der katholischen Kirche in der westlichen Welt unternommen, hieß es in Kreisen der Traditionalisten. Sie sehen in der modernen Liturgie und der Ökumene eine Abkehr vom wahren Glauben.
Der Kirchenhistoriker Michael Walsh warf kürzlich die Frage auf, ob es wirklich angemessen sei, den verstorbenen Papst bereits so kurz nach seinem Tod seligzusprechen. So verdankten fast alle an dem Prozess Beteiligten – so auch Benedikt der XVI. – ihre derzeitigen Ämter Johannes Paul II. und seien deshalb nicht ganz unvoreingenommen.
So hob Benedikt XVI. die übliche fünfjährige Wartezeit bis zur Einleitung des Seligsprechungsprozesses auf, attestierte seinem Vorgänger die Kardinaltugenden und unterzeichnete schließlich das Dekret, in dem ein Johannes Paul II. zugeschriebenes Wunder bestätigt wird.
Vatikan: Fall von Johannes Paul II. sehr genau überprüft
Der Leiter der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungsprozesse im Vatikan, Angelo Amato, wies Kritik am Vorgehen seiner Behörde jedoch zurück. Der Fall von Johannes Paul II. sei so gründlich wie jeder andere auch geprüft worden, sagte er kürzlich bei einer Pressekonferenz.
Auf die Frage, ob Johannes Pauls II. Umgang mit den Missbrauchsskandalen während des Seligsprechungsprozesses zur Sprache gekommen sei, sagte Amato: „Sünde existiert. Unsere Sünden existieren. Aber das verhindert nicht die Heiligkeit anderer.“
Der langjährige Sprecher des verstorbenen Papstes, Joaquin Navarro-Valls, erklärte, die Seligsprechung sei weniger eine historische Beurteilung von Johannes Pauls Leistung als Kirchenführer, sondern vielmehr eine Wertschätzung seines von christlichen Tugenden geprägten Lebens. Nach der Lektüre des gesamten Dossiers über die Seligsprechung sagte Navarro-Valls: "Ich denke es ist genug, um sicher zu sein, dass er die christlichen Tugenden in heldenhafter Weise gelebt hat.“
Mit Material von kna, epd, afp, dapd