Zwei Flüchtlinge erzählen, wie sie in Unterkünften wegen ihres christlichen Glaubens von Muslimen diskriminiert und bedroht werden.
Als Elias und Jacob (Namen geändert) von ihrer Rettung erzählen, wirken die Brüder wie unter Strom: Ihre Augen leuchten, die Hände wirbeln herum. Sie sprechen von „einem Wunder“, das ihnen Mitte August auf der Flucht von Syrien nach Deutschland widerfahren ist. Damals kauern sie mit 120 Flüchtlingen in einem kleinen Boot, sie wollen es über das Mittelmeer nach Griechenland schaffen. Sie haben gut die Hälfte des Weges hinter sich, als bei rauer See plötzlich Wasser eindringt, die Schaluppe droht zu kentern.
Hilfe? Ist nicht in Sicht, und niemand an Bord hat Handy-Empfang. Bis Jacob als Einziger doch ein Signal erhält. Er alarmiert die griechische Küstenwache und gibt die per App ermittelte GPS-Position des Bootes durch. Heute sind die Brüder überzeugt, dass der unverhoffte Handy-Empfang „göttliche Fügung“ war. Dass ihr Gott – es ist der Gott der Christen – ein Wunder gewirkt hat.
In Hamburg mussten die Brüder schnell feststellen, dass ihr Wunder wirkender Gott nicht gut ankommt. Für sein Bekenntnis zum Christentum sei er in einer Hamburger zentralen Erstaufnahmeeinrichtung fortlaufend schikaniert und diskriminiert worden, sagt Jacob. „Ich konnte nicht offen sagen, dass ich Christ bin.“ Sein Bruder Elias nickt. Er habe es nicht anders erlebt.
Elias und Jacob, ein Diakon und eine in der Flüchtlingshilfe engagierte Politikerin sitzen im Raum eines Gemeindehauses im Nordosten von Hamburg. Jacob, dem jüngeren der Brüder, fällt es besonders schwer, über seine Erlebnisse zu sprechen. Am rechten Handgelenk trägt er ein schwarzes Lederarmband, an dem ein winziges Kreuz baumelt, er knetet und reibt es pausenlos. Immer wieder legt der Diakon dem 25-Jährigen tröstend einen Arm um die Schulter. „Mensch, Jacob, du bist ja richtig blass.“
Aus Angst um das Wohl der Brüder und um ihre laufenden Asylverfahren zu schützen, wollen sie anonym bleiben. Hinzu kommt, dass das Thema religiös motivierte Übergriffe in Asylunterkünften in vielen kirchlichen und politischen Gremien nicht wohlgelitten sei. „Eine Diskussion darüber wird mit Verweis auf rechtspolitische Reflexe in der Bevölkerung häufig abgewürgt“, sagt die Politikerin. Sie selbst habe lange gezögert, mit dem Thema an die Öffentlichkeit zu gehen. „Doch Verschweigen bringt nichts, so wird das Problem nur verschleppt.“
Die Brüder leben jetzt mit fünf weiteren Christen in einer Wohnung
Nach Repressionen in einer großen Erstaufnahme leben die Brüder mit fünf weiteren Christen in einer Wohnung, die ihnen die Gemeinde zur Verfügung gestellt hat. Der Diakon und die Politikerin hatten die Männer Mitte September in einer „Nacht-und-NebelAktion“ aus der Unterkunft geholt – mit Wissen und Billigung der Heimleitung. Sie leben jetzt außerhalb einer Erstaufnahme, sind aber weiter dort gemeldet, um Problemen mit den Behörden aus dem Weg zu gehen. Schließlich gilt für alle Flüchtlinge eine strikte Residenzpflicht.
„Es ging einfach nicht mehr weiter“, sagt die Politikerin. Als sie im September mit dem Diakon die Erstaufnahme besucht, trifft sie auf Elias, Jacob und die anderen fünf Männer. Sie hausen seit drei Tagen in einem leer stehenden Büro, aus Furcht vor Übergriffen trauen sie sich nicht zur Essensausgabe. „Ich habe nie zuvor Männer gesehen, denen die Angst so ins Gesicht geschrieben stand“, sagt sie.
Die Brüder erinnern sich an mehrere heikle Situationen in dem Flüchtlingsheim, an eine besonders lebhaft. Als sie in der Unterkunft schlafen wollten, seien andere Bewohner, einer mit einem Messer bewaffnet, die ganze Nacht um ihre Betten geschlichen. „Die haben uns beschimpft, wir konnten kein Auge zutun“, sagt Elias. Neben ihm habe ein 18-jähriger Syrer gelegen, der ein tätowiertes Kreuz auf dem Handrücken trug. „Sie sagten ihm: Wir gehen jetzt mit dir runter zu den Toiletten und hacken dir die Hand ab.“ Nach heftiger Gegenwehr hätten die Männer doch von ihm abgelassen.
„Jeden Tag irgendeinen Vorfall“
„Im Prinzip gab es jeden Tag irgendeinen Vorfall“, sagt Elias. Die Brüder berichten von Diskriminierungen durch fanatische Moslems, von Ausgrenzung, Bedrohungen, Demütigungen, Belästigungen – mitten in Hamburg, auch unter den Augen der Wachleute, „aber die sind ja überwiegend Muslime“, sagt Elias. Die Angriffe hätten nichts mit ihnen persönlich zu tun gehabt. „Es war einfach, weil wir Christen sind.“ Sprüche wie „du bist schmutzig, du stinkst, du Schwein“ gehörten noch zu den harmloseren. „Ständig sagten andere, wir sollten einen anderen Weg einschlagen“, sagt der 30-Jährige. Gemeint war der Weg Mohammeds. Zwar hätten sich nicht alle Muslime in der Unterkunft an der Hetze beteiligt, aber doch eine „deutlich sichtbare Gruppe“, die durch ihren Fanatismus und ihre Aggressivität aufgefallen sei. Elias: „Die anderen standen schweigend daneben. Für uns Christen hat sich keiner eingesetzt.“
Die meisten christlichen Flüchtlinge, die in Hamburg ankommen, stammen aus Ländern, in denen sie wegen ihrer Religion verfolgt werden. Nach einer Auswertung des überkonfessionellen christlichen Hilfswerks Open Doors leben Christen in Nordkorea am gefährlichsten. Auf den Plätzen zwei bis fünf folgen: der Irak, Eritrea, Afghanistan und Syrien. Diskriminierung aufgrund seiner Religion kennt Elias aus seiner syrischen Heimat. „Wir wurden dort von vielen behandelt wie eine Sache“, sagt er. Nach seinen Angaben sollte er als Arzt an die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) „verkauft“ werden. Die geforderte exklusive Behandlung von Terroristen habe er aber weder mit seinem ärztlichen Eid noch mit seinem Glauben vereinbaren können. „Die Probleme, damit meine ich die Ansichten der Menschen über uns Christen, sind mit uns nach Deutschland gekommen.“
Berichte über Drangsalierungen von Christen gibt es auch in Hamburg, jedoch kaum Anzeigen. Gerade mal vier sind dem Senat bekannt, wie aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Karin Prien hervorgeht. Ein Problem vermag auch „Fördern & Wohnen“, Betreiber der meisten Flüchtlingsheime in Hamburg, nicht zu erkennen und erklärt: „Religiöse Auseinandersetzungen spielen im Betrieb der Einrichtungen keine wesentliche Rolle.“
Elias und Jacob haben da ganz andere Erfahrungen gemacht. „Ich kenne keinen Christen, der das Thema offen anspricht, geschweige denn zur Polizei geht“, sagt Elias. Zu groß sei die Angst, dass die „gut vernetzten Islamisten“ ihren daheimgebliebenen Familien etwas antun könnten. „Die Dunkelziffer ist enorm, da gibt es keinen Zweifel“, sagt auch eine Sozialarbeiterin, die seit Jahren mit Flüchtlingen arbeitet. Sie habe erlebt, dass Christen und Jesiden in den Unterkünften als „Kuffar“ (Ungläubige) beschimpft werden. „Viele verstecken ihre Bibel, um nicht aufzufallen, andere leugnen in den Deutschkursen ihren Glauben und geben vor, Muslime zu sein.“ Mitte Januar berichtete ihr ein Flüchtling aus der ZEA Jenfelder Moorpark, dass ihm Muslime ins Gesicht getreten hätten – aus Wut, dass er nicht am islamischen Morgengebet teilgenommen habe. Konvertiten hätten es besonders schwer, ehemalige Muslime also, die zum Christentum übergetreten sind. „Für die Fanatiker sind sie nur eins: Verräter“, sagt die Sozialarbeiterin.
Seinen neuen christlichen Glauben hielt er geheim
Wie es sich anfühlt, ein Verräter zu sein, hat Amir H. im Oktober 2015 zu spüren bekommen. Der 24-Jährige, aufgewachsen in Teheran, hatte sich 2013 vom Islam abgewandt. Seinen neuen christlichen Glauben hielt er geheim, auch vor seiner Familie. Als sein Vater Anfang 2015 doch dahinterkam, wünschte er ihm, seinem eigenen Sohn, den Tod. Amir flüchtete und kam im früheren Max-Bahr-Baumarkt am Hörgensweg unter.
Am 18. Oktober stürmt eine Gruppe Afghanen auf ihn zu. Mit einem von ihnen, mit Mohebolla A., 23, hat Amir drei Tage zuvor noch gute Gespräche geführt, auch über den Glauben. Jetzt ist er sein Feind. Mit einem Teleskopschlagstock schlägt er Amir krankenhausreif, 50 andere Bewohner stehen drumherum, einige verhelfen dem Täter zur Flucht. Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen Anklage wegen versuchten Totschlags erhoben, nach ihren Ermittlungen handelte Mohebolla A. aus religiösem Hass. Amir H. wurde nach der Tat in eine Unterkunft in der Nähe von Bielefeld verlegt.
Es gibt weitere Beispiele mutmaßlicher Diskriminierung, den Fall eines 22 Jahre alten aramäischen Christen etwa, der in der Unterkunft am Volksdorfer Waldweg lebt und nach eigenen Angaben vor Angst „wie gelähmt ist“. Weil er als Christ „dreckig“ sei, so wurde ihm gesagt, dürfe er weder die Dusche noch Küchengeräte nutzen, weil diese sonst „Haram“ (unrein) seien. Er müsse auch das Kreuz ablegen: Kreuze seien eine Beleidigung für jeden Moslem. Der Mann fühlte sich massiv bedroht und alarmierte die Polizei. Ob die den Fall weiterverfolgt hat, will der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete David Erkalp nun durch eine Anfrage an den Senat aufklären lassen.
Viele Opfer derartiger Demütigungen – die Brüder Elias und Jacob sprechen von „Psychoterror“ – suchen Hilfe bei Pastor Albert Babajan. Seiner pfingstkirchlichen Alpha- und Omega-Gemeinde hat der Flüchtlingsstrom viele neue Mitglieder beschert. Allein rund 50 ehemalige Muslime habe er in den vergangenen Monaten getauft. „Binnen sechs Monaten hat sich die Zahl unserer Mitglieder von 200 auf 350 fast verdoppelt“, sagt Babajan. „Aber leider auch die Zahl derer, die von Übergriffen durch Muslime berichten.“ Mehrere Christen aus der ZEA Papenreye hätten ihm Folgendes erzählt: „Da kommen zum Morgengebet Muslime an die Betten, drehen die Musik auf und beten in einer Lautstärke, dass niemand schlafen kann“, sagt Babajan.
Er wisse aber auch von Gewalttaten gegen Christen. So seien am 28. Januar in der ZEA Papenreye drei Männer wegen ihres Glaubens geschlagen und getreten worden. Über den Fall berichteten am 3. Februar auch die „Tagesthemen“. Zwei der Tatopfer, die in dem Beitrag zu Wort kamen, stellten zur Dokumentation ein Handy-Video zur Verfügung. Die Reaktion folgte am Tag nach der Ausstrahlung: Nicht nur die beiden Männer, sondern insgesamt 14 Christen wurden in andere Unterkünfte verlegt, „zur Vermeidung weiterer Konflikte und möglicher unkalkulierbarer Reaktionen auf den TV-Beitrag“, teilt dazu der Senat mit. Gleich nach ihrer Ankunft in der ZEA Jenfelder Moorpark seien zwei der verprügelten Männer erneut diskriminiert worden, erfuhr Babajan. „Als sie ihren Container beziehen wollten, hieß es: ,Wir wollen hier keine Christen.‘“ Für sie habe die Gemeinde ein nächtliches Notquartier eingerichtet.
Senat lehnt die Trennung von Religionsgruppen in Unterkünften ab
Der Senat sieht indes kein „grundsätzliches höheres Risiko“ für religiöse Anfeindungen und verweist auf die Hausordnungen der Unterkünfte, die die Bewohner verpflichte, „rücksichtsvoll miteinander umzugehen“. Die Einrichtungen seien „Orte religiöser Neutralität“. Aus mehreren Gesprächen habe sich ergeben, dass Beschwerden über religiöse Diskriminierung nur „vorgeschoben“ würden, um die Verlegung in eine „bessere Unterkunft“ zu erwirken. Wie der Senat zu seiner Einschätzung kommt, ist CDU-Frau Prien schleierhaft, denn den Behörden fehle schlicht der Überblick. „Es wird ja nicht einmal erfasst, welcher Religionsgemeinschaft die Flüchtlinge angehören“, sagt Prien.
Nach Einschätzung von „Fördern & Wohnen“ entzünden sich Streitigkeiten vielmehr an Banalitäten. „Aus unserer Erfahrung entstehen die meisten Konflikte in den Einrichtungen aus Alltagssituationen in der Gemeinschaftsunterbringung heraus“, sagt eine Sprecherin. Ähnlich sieht es auch die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, Dietlind Jochims. „Die Religion ist meiner Meinung nach nicht der primäre Auslöser für Aggression. Sie ist mehr eine Bruchlinie, an der sich Konflikte in verbaler und in seltenen Fällen auch körperlicher Gewalt entladen, die in der Art der Unterbringung begründet sind.“ Auch Imam Abu Ahmed Jakobi ist überzeugt, dass die Spannungen vor allem mit den traumatischen Kriegserfahrungen in Verbindung mit dem erzwungenen Zusammenleben auf engstem Raum zu tun haben. Religiöse Anfeindungen seien, wenn überhaupt, „ein Ventil“.
Stimmt das wirklich? Es gibt eine Vielzahl von Berichten aus anderen Bundesländern über religiös motivierte Übergriffe auf christliche Vertriebene. „Die Zahl der Hilferufe von christlichen und jesidischen Flüchtlingen ist stark gestiegen“, sagt Martin Lessenthin, Sprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte. Diese Minderheiten fühlten sich oft von „intoleranten Muslimen“ in den Flüchtlingsheimen verfolgt. Aber auch zwischen muslimischen Glaubensrichtungen, Sunniten und Schiiten etwa, gebe es immer wieder Probleme.
David Erkalp spricht sich deshalb für eine räumliche Trennung der Religionsgruppen aus. „Wenn der Senat nicht in der Lage ist, die Christen vor Verfolgung in Hamburg zu schützen, müssen die Gruppen getrennt werden“, sagt Erkalp. Das würde natürlich voraussetzen, dass die Religion der Ankömmlinge regelhaft erfasst wird. Für den Senat kommt eine Trennung der Gruppen nicht infrage. Von den Flüchtlingen sei vielmehr „die Bereitschaft zu fordern, Menschen anderer Religionszugehörigkeit zu achten und zu respektieren“. Für Erkalp sind das nur „wohlfeile Worte“, die „komplett an der Realität vorbeigehen“.
Christliche Flüchtlinge sollen besser geschützt werden
Die Religion der Flüchtlinge zu registrieren fordert auch Karin Prien, von einer räumlichen Trennung hält sie aber wenig. Sie wolle einen besseren Schutz für „christliche Flüchtlinge und andere Minderheiten“ durchsetzen, sagt Karin Prien und meint: „Ansprechpartner auf niedrigschwelliger Ebene für verfolgte Christen und andere Minderheiten; mehr zuverlässige Dolmetscher; die Möglichkeit der Unterbringung in besonders geschützten Bereichen; in Ausnahmefällen die Abschaffung der Residenzpflicht.“
Woanders untergebracht werden christliche Flüchtlinge auch schon jetzt, zumindest in „problematischen Einzelfällen“, sagt Christiane Kuhrt, Sprecherin des Zentralen Koordinierungsstabs Flüchtlinge (ZKF). Überdies wolle man sich des Themas „Zusammenleben in den Unterkünften“ nun „grundsätzlich“ annehmen. Kuhrt: „Dabei soll auch das Miteinander von Menschen mit verschiedenen religiösen Hintergründen in den Blick genommen werden.“
Im Verschweigen und Marginalisieren religiös motivierter Spannungen sehen der Diakon und die Politikerin eine große Gefahr. „Islamisten die Schikane von Christen durchgehen lassen? Das geht nicht, das setzt ein komplett falsches Signal“, sagt die Politikerin. Der Diakon ergänzt: „Alle Flüchtlinge müssen unsere Regeln und Werte respektieren, müssen darauf verpflichtet werden. Und zu unseren Werten gehört, dass hier jeder seinen Glauben offen leben darf.“
Die Brüder Elias und Jacob sind dankbar für die Hilfe der Gemeinde. Aktuell büffeln sie für ihren Fortgeschrittenen-Deutschkurs. Am liebsten würden sie danach gleich arbeiten. Vor wenigen Wochen wurden sie aus logistischen Gründen in eine andere Unterkunft verlegt. Um der Erfassung Genüge zu tun, zogen sie für eine Nacht ein. „Der Stress hat gleich wieder begonnen. Ich konnte kein Auge zutun“, sagt Elias. „Im Bett neben mir brüllte ein Muslim die ganze Nacht: Allahu Akbar („Gott ist groß“).“