Oststeinbek. „Autofahren bei uns ist gefährlicher als eine Reise nach Afghanistan“ – Marga Flader (70) will 2025 wieder an den Hindukusch reisen.

Nachdem die Nato Afghanistan im August 2021 nach 20 Jahren verlassen hat, geht es den Menschen dort unter der Herrschaft der Taliban zunehmend schlechter: Zwei Drittel der afghanischen Bevölkerung leidet Hunger. Immer mehr Länder und Organisationen haben sich aus der Entwicklungshilfe am Hindukusch zurückgezogen. Der Oststeinbeker Verein Afghanistan-Schulen ist geblieben. Jetzt feiert er sein 40-jähriges Bestehen. Die Vorsitzende Marga Flader möchte im Frühjahr 2025 wieder nach Afghanistan reisen, um bei den Vereinsprojekten nach dem Rechten zu schauen.

„Die Not der Menschen ist dramatisch“, berichtet sie. Deshalb startet der Verein seit einigen Jahren auch Hilfsprojekte gegen den Hunger. Eine schlechte Nachricht hat sie und ihre Mitstreiter gerade erreicht: „Das Hilfswerk Misereor gibt uns dieses Jahr 250.000 Euro weniger als bei unserem vergangenen Antrag“, berichtet sie. Das waren immerhin stattliche 1,8 Millionen Euro. Marga Flader ist sehr dankbar für die große Summe und doch: „Wir hatten den gesamten Betrag eingeplant und jetzt müssen wir einsparen. Wir müssen weniger Kinder aus- und weniger Lehrer fortbilden. Das fällt mir schwer“, bedauert sie. „Diese Summe können wir nicht durch Spenden auffangen.“ Aber Misereor habe das Geld selbst nicht. Die Spendenbereitschaft sei dramatisch eingebrochen - um 40 Prozent.

Große Not am Hindukusch: Oststeinbeker helfen seit 40 Jahren

Vor der Reise hat die 70 Jahre alte ehrenamtliche Oststeinbekerin keine Angst. „Autofahren bei uns ist gefährlicher als eine Reise nach Afghanistan“, sagt sie. „Ich bin ja nicht allein, für mich wird alles von unseren Mitarbeitern vor Ort vorbereitet und wir werden dort so gut betreut.“ Die Projektpartner im Land beschäftigen 57 Frauen und 56 Männer. Sie, die einfachen Leute, die für die Organisation arbeiten, motivieren Marga Flader, immer weiterzumachen. „Wir lassen sie nicht im Stich“, sagt sie. Seit mehr als drei Jahrzehnten engagiert sich Flader für den Verein, der 1983 von der 2019 verstorbenen Oststeinbekerin Ursula Nölle gegründet wurde.

Vereinsgründerin Ursula Nölle (Mitte), Marga Flader (rechts) und Leo Heylmann sind vor zehn Jahren gemeinsam nach Afghanistan gereist.
Vereinsgründerin Ursula Nölle (Mitte), Marga Flader (rechts) und Leo Heylmann sind vor zehn Jahren gemeinsam nach Afghanistan gereist. © Afghanistan-Schulen

1998 hat Marga Flader Ulla Nölle das erste Mal auf einer Reise begleitet – damals noch in ein Flüchtlingslager in Pakistan. „Ich war vollkommen erfüllt und hatte für mich den Eindruck gewonnen, das ist eine sinnvolle Arbeit. Aber Ursula Nölle wollte mehr. Sie wollte unbedingt nach Andkhoi, weil sie wusste, dass sie dort gebraucht wurde.“ Deshalb hätten die beiden Frauen sich auf den beschwerlichen Weg gemacht, den Umweg über Turkmenistan auf sich genommen. „Damals hatten wir uns noch das Geld um den Bauch gebunden, weil wir es nicht überweisen konnten.“ Dies sei heute zwar möglich, dennoch verschafft sie sich lieber einen persönlichen Eindruck vom Stand der Projekte, treffe die Menschen vor Ort.

Ältere Mädchen dürfen nicht mehr lernen

65 Schulgebäude haben sie in den vergangenen Jahrzehnten rund um Andkhoi und Mazar-i-Sharif gebaut, außerdem ein Förderzentrum für 1200 Schülerinnen und Schüler geschaffen und drei Frauenzentren gegründet. „Die Kurse am Ausbildungszentrum und den drei Frauenzentren laufen gut“, berichtet die Ehrenamtliche. „Wir unterrichten Jungen der Klassen 7 bis 12 und Mädchen der Klassen 4 bis 6 sowie Analphabetinnen bis zwölf Jahre. Sie lernen neben der Landessprache in Wort und Schrift auch Rechnen, Nähen, Sticken und Stricken.“ Mädchen, die älter als zwölf Jahre sind, dürfen unter den Taliban nicht mehr zur Schule gehen.

Marga Flader spricht nicht gern mit den Taliban. „Aber ich muss sie treffen, wenn ich dort bin, um den Menschen zu helfen.“ Immer mehr werde ihre Bildungsarbeit erschwert. „Sie sind sehr restriktiv und mischen sich überall ein“, erzählt die Oststeinbekerin. „Sie wollen wissen, warum wir so viele Leute beschäftigen müssen oder warum wir unseren Mitarbeitenden so viel zahlen.“ Außerdem forderten sie die teureren Beton-, statt der traditionellen Lehmgebäude. Die Repressalien der Taliban erforderten immer wieder neue Tricks. Schon vor einigen Jahren hat der Oststeinbeker Verein eine Vertretung in Afghanistan, die VUSAF Union of Assistance for Schools in Afghanistan, gegründet. Das kommt ihm jetzt zugute, denn möglicherweise verbieten die Taliban Auslandsorganisationen die Bildungsarbeit im Land.

Mädchen und Frauen malen drücken ihre Not in Bildern aus

„Unsere Teams in Kabul, Mazar-e-Sharif und Andkhoi geben nicht auf“, betont die Vereinsvorsitzende. „Mit viel Geschick verhandeln sie, bis ihr Ziel erreicht ist. Jedes genehmigte Projekt lässt die Menschen in den betroffenen Gebieten wieder Hoffnung schöpfen.“ Dies gilt auch für die Lebensmittelverteilungen an 260 Familien in und um Andkhoi: „Wir haben extra unsere Satzung dafür geändert“, berichtet Flader. „Und wir haben 18 Frauen mit samt ihren Männern eingestellt. Diese Frauen haben auch 20 Bücher oder für 40 Familien Malutensilien mitgebracht. Das hat diesen Familien sehr viel Hoffnung gegeben.“

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Es sind eindrucksvolle Bilder entstanden, die auch die Nöte der älteren Mädchen, die nicht mehr zur Schule gehen dürfen, und die der Frauen zeigen. Mit diesen Hilfsaktionen würde der Verein gern weitermachen. „Pro Familie benötigen wir für zwei Lebensmittelverteilungen, Bücher oder Malutensilien rund 280 Euro samt der Kosten für die Sozialarbeiterinnen und unsere Verwaltung“, erzählt Marga Flader. „Jetzt wollen wir auch eine Ärztin einstellen, damit wir in den Frauenzentren eine Gesundheitsberatung anbieten können und die Frauen wieder dorthin kommen dürfen.“

Verein Afghanistan-Schulen feiert am Sonnabend, 23. November

40 Jahre Afghanistan-Schulen
Eine der Zeichnungen, die die Gefühle und die Not der älteren Mädchen in Afghanistan ausdrücken. © Susanne Tamm | Susanne Tamm

Wer den runden Geburtstag mit den Ehrenamtlichen feiern will, ist am Sonnabend, 23. November, ab 19 Uhr im Kulturhof, (Alter Teichweg 200, Hamburg-Dulsberg) zu einem afghanischen Buffet mit passender Musik willkommen. www.afghanistan-schulen.de