Hamburg. Dem Trainer des FC St. Pauli droht nun bereits eine Sperre, er wähnt sein Team im Nachteil. Schiri-Legende Urs Meier klärt auf.

Fabian Hürzeler war stolz am Wochenende. In erster Linie über das 2:1 von Brighton & Hove Albion gegen den englischen Meister Manchester City. Aber vielleicht auch ein wenig auf Alexander Blessin, seinen Nachfolger auf dem Trainerstuhl beim FC St. Pauli. „Hürzeler ist stolz“, schrieb zumindest ein Fan des Kiezclubs im sozialen Medium „X“ und bezog das auf die bereits dritte Gelbe Karte, die der Coach in der laufenden Saison sah.

Verwarnungen zu sammeln, ist eigentlich eine Spezialität Hürzelers, der vergangene Spielzeit schon nach 18 Partien eine Gelbsperre absitzen musste und einen Zweitligarekord aufgestellt hatte. Blessin droht, diese Marke in der Bundesliga zu unterbieten, da Trainer bereits bei vier Abmahnungen eine Begegnung pausieren müssen. Auch nach dem 0:1 gegen den FC Bayern München am Sonnabend hatte der 51-Jährige wieder Kritik an den Schiedsrichtern geübt, unter anderem das Verhalten des Vierten Offiziellen als „arrogant“ bezeichnet.

FC St. Pauli: Wie Blessins Schiedsrichter-Kritik ankommt

Was auf manche Außenstehende nervig wirken mag, kommt innerhalb der Mannschaft und des Clubs, wo man das Verhalten und die Leistungen der Unparteiischen mitunter ähnlich kritisch sieht, gut an. Blessin stellt sich schützend vor seine Einheit, verteidigt sie gegen äußere Einflüsse. Ob seine Kritik nun gerechtfertigt ist oder nicht – was mit einem „sowohl als auch“ beantwortet werden kann –, ist nebensächlich. Das Gefühl, die Spieler erhalten dadurch eine Ausrede für schlechte Resultate, hat bei St. Pauli niemand, da der Trainer seine Schiri-Schelten intern zu dosieren weiß.

Markus Pflanz (VFR Aalen, Trainer) GER, 1.CFR Pforzheim vs VFR Aalen ,Fussball Testspiel, 21.01.2024 DFL REGULATIONS PRO
Markus Pflanz (48) arbeitete von 2020 bis 2022 als Co-Trainer von Alexander Blessin. © Imago | Roger Buerke

„Er ist ein impulsiver Typ, was er mit seiner Art, Fußball zu spielen, irgendwie auch sein muss. Aber als Gelb-gefährdet habe ich Alex nie wahrgenommen“, sagt Markus Pflanz (48), der von 2020 bis 2022 in Belgien beim KV Ostende Blessin assistierte, der dort keine einzige Verwarnung erhielt. „Wenn er nun schon drei Gelbe hat, muss es an den Schiedsrichtern liegen“, meint Pflanz lachend.

Existiert der Bayern-Bonus wirklich?

Blessins neuerlicher Frust über die Fouls des Bayern-Verteidigers Minjae Kim, der letztlich nur Gelb dafür sah, ist durchaus nachvollziehbar. St. Pauli lieferte dem haushohen Favoriten einen großen Kampf, hätte in Überzahl die Chance auf ein Unentschieden gehabt.

„Ich will nicht über einen Bayern-Bonus reden, bin mir aber sicher, dass wir Gelb-Rot dafür bekommen hätten“, hatte Blessin gesagt. Dass er nicht weiter darüber sprechen wollte, war clever, um weiteren Strafen zu entgehen. So wurde Dominik Kohr vom FSV Mainz 05 kürzlich zu 10.000 Euro Bußgeld verdonnert, weil er von ebenjenem „Bayern-Bonus“ sprach. Aber existiert dieser Mythos eigentlich?

Aufsteiger durch Fehlentscheidungen nicht im Nachteil

In dieser Saison durchaus. Laut der „Wahren Tabelle“, die Fehlentscheidungen in die Rangliste einfließen lässt, haben die Münchener vier Punkte mehr, als ihnen zustehen, wäre stets nach Regelwerk gepfiffen worden. Über die vorangegangenen fünf Spielzeiten war dieser vermeintliche Bonus nicht eminent. Der Rekordmeister verliert sogar pro Saison im Schnitt 0,2 Punkte durch Fehlentscheidungen.

Demgegenüber gibt es auch keinen evidenzbasierten Nachteil für Aufsteiger. Neun Liganeulinge verloren in den vergangenen fünf Saisons insgesamt zwei Zähler, also 0,22 pro Jahr. In dieser Saison hatten klare Fehlentscheidungen noch keinen Einfluss auf das Punktekonto St. Paulis oder Holstein Kiels.

Schiedsrichter-Legende Urs Meier: „Du darfst nicht nachtragend sein“

Übermäßig hart bewertet werden die Hamburger nach objektiven Kriterien nicht. In der Fairnesstabelle der Bundesliga sind die Braun-Weißen hinter dem SC Freiburg und – Bayern-Bonus? – den Münchenern Dritter mit 15 Gelben Karten.

Urs Meier
Urs Meier (65) war siebenmal Schweizer Schiedsrichter des Jahres. © DPA Images | Tom Weller

Dass Blessins regelmäßige Refereekritik das langfristig auf problematische Art ändern kann, glaubt Urs Meier nicht. „Als Schiedsrichter darfst du nicht nachtragend sein, das ist das Allerwichtigste. Jedes Spiel muss für dich bei null beginnen, sonst leidet die Neutralität darunter“, sagt der einstige Weltklasse-Unparteiische. Dass sich Schiedsrichter auf Spitzenniveau durch persönliche Fehden beeinflussen lassen, hält der Schweizer für nahezu ausgeschlossen.

Blessin wäre nicht stolz auf Hürzelers Leistung

Meier hat auch Verständnis für teils feuriges Verhalten der Trainer. „Sie stehen medial immer mehr im Fokus und bekommen Druck“, sagt der 65-Jährige. Solange sie diesen in Form von Aktivität an der Seitenlinie abbauen würden, spreche nichts dagegen. „Sobald Konflikte auf persönlicher Ebene ausgetragen werden, musst du als Schiedsrichter aber etwas machen“, sagt Meier.

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Das durfte auch Hürzeler in dieser Saison erfahren – er sah bereits am fünften Spieltag Rot. Blessin wäre sicher stolz, diese Leistung seines Vorgängers nicht nachzumachen.