Freiburg. Der Aufsteiger feiert einen überraschend deutlichen Sieg beim SC Freiburg. Wie der Triumph zu Stande kam.
Tief im Herzen des Europa-Park-Stadions, ziemlich versteckt, stehen zwei Modelle der ausgesprochen schmucken Arena. Ein hölzernes aus 32.000 Zahnstochern und eines aus weitaus weniger Legosteinen. Ein recht passables Sinnbild für den FC St. Pauli, der Baustein um Baustein den Klassenerhalt in der Bundesliga basteln will, bislang aber an zu hölzernen Füßen vor dem gegnerischen Tor daran zu scheitern schien.
Das 3:0 (2:0) beim SC Freiburg am Sonnabendnachmittag legte offen, worauf die Saisonmission der Mannschaft von Cheftrainer Alexander Blessin stattdessen gebaut ist: auf Beton. Aufbauend auf einer herausragenden Defensivleistung, feierten die Hamburger den ersten Sieg der Saison. „Wir haben gewonnen, weil wir über ein weite Strecken sehr gutes Spiel in der Defensive gemacht haben. Wir standen sehr kompakt mit wenig Abständen“, sagte Johannes Eggestein.
FC St. Pauli gewinnt beim SC Freiburg
Ach ja, und noch etwas war dafür verantwortlich. Wilhelmsburgs feinster Fußballer, St. Paulis bald wohl teuerstes Exportgut und schlicht ein Augenschmaus: Elias Saad. Zwei Tore, eine Vorlage, eine ganz, ganz lange und innige um Umarmung von Blessin nach der Auswechslung. Der Linksaußen war der maßgebliche Faktor für den Überraschungserfolg.
Ein weiterer war, dass es das bislang klarste Spiel für Blessin-Fußball in dieser Saison war. Bedeutet: Freiburg wurde die Spielführung weitgehend überlassen, nach Prozenten zu gut zwei Drittel, während die Gäste hoch anliefen und giftig auf Ballgewinne gingen. Johannes Eggestein beschattete dabei seinen Bruder Maximilian in dessen 100. Bundesligaspiel. Häme war dem kleinen Bruder aber fern, Genugtuung empfand er nicht. „Ich fühle mit meinem Bruder mit. 0:3 ist ein bisschen heftig“, sagte er.
Elias Saad bringt FC St. Pauli in Führung
Das Unheil nahm für Maximilian Eggestein und die Freiburger früh seinen Lauf. Einer Kombination an „ausgerechnet“-Spielern sei Dank: Manolis Saliakas und Saad, die in den ersten drei Begegnungen verletzungs- und systembedingt noch nicht von Beginn an randurften. Mit ihnen in der Startelf war bereits gegen RB Leipzig ein Leistungsaufschwung einhergegangen, im Breisgau folgten die erste Führung und das erste Tor des FC St. Pauli in Hälfte eins in der aktuellen Serie.
Und das kam so: Saliakas hatte einen hohen Ball von rechts – so hart und zärtlich zugleich, wie es bei den Braun-Weißen nur der Grieche vermag – mit dem Außenrist in Richtung Strafraum befördert, wo Eggestein (ohne „ausgerechnet“) auf Saad spitzelte. Der gewandte tunesische Nationalspieler setzte sich ganz stark gegen Lukas Kübler durch und verlud Keeper Noah Atubolu (12.).
Freiburg vergibt Chancen zum Ausgleich
Praktisch unmittelbar mit dem Tor setzte auch der Regen ein. Über wen da wohl ein Unwetter hereinbrechen sollte? St. Paulis Schlussmann Nikola Vasilj hatte seinen Regenschirm jedenfalls dabei und schirmte nach einem Aufsetzer von Vincenzo Grifo sein komplettes Team vom Ausgleich ab (20.). Grifo war es auch, der frei stehend die nächste Großchance der Badener am rechten Pfosten vorbei köpfte (28.).
Eine interessante Statistik offenbarte zu diesem Zeitpunkt, dass St. Pauli 31 Sekunden für die Balleroberung benötigt, Freiburg nur 15. Das spiegelte die Optik auf dem Platz wider, passte aber durchaus zum Plan der Kiezkicker. Der hätte dann aber durch zwei Schlüsselszenen durcheinander geraten können.
Elfmeter nach VAR-Eingriff, Nikola Vasilj pariert
Zunächst scheiterte Eric Smith mit einem direkten Freistoß von der Strafraumgrenze spektakulär an der Latte (35.). Der Schwede hatte die gesamte Abwehr des SCF verladen, die von einer Flanke in den Sechzehner ausgegangen war. Auf der Gegenseite entschied Schiedsrichter Timo Gerach nach Ansicht der Videobilder auf Strafstoß, da Karol Mets 2014er-Weltmeister Matthias Ginter gefoult haben soll.
Hölzernes Einsteigen des Esten, Holzfuß von Grifo. Denn Vasilj, seit Wochen in glänzender Verfassung, schnappte sich den Foulelfmeter in der rechten unteren Ecke (41.). Der Bosnier putzte ein weiteres Mal aus wie ein Zahnstocher nervige Essensreste. Stattdessen der nächste Baustein in Richtung Sieg. Saad erneut mit der Chance streift den Ball nur, der aber vor die Füße von Oladapo Afolayan rollt, der trocken zum 2:0 abschließt (45.).
Kiezkicker verteidigen alles weg
Nun war es an der Zeit für St. Pauli, den Riegel zuzuschieben. Der Aufsteiger zog sich deutlich tiefer zurück, presste lediglich noch punktuell. Für Freiburg gab es kaum ein Durchkommen. Bereits jetzt ist offensichtlich, dass die Norddeutschen vor allem dann in der Liga bleiben, wenn sie ihre starke Defensive weiter zur Geltung bringen können. St. Pauli ist nach fünf Spieltagen eine der besseren Verteidigungsmannschaften im deutschen Oberhaus.
„Wir haben sehr gut verteidigt, standen stabil und haben wenig aus dem Spiel und speziell übers Zentrum zugelassen“, lobte Blessin. Ein Makel scheint bislang allerdings nicht zu behoben: die Anfälligkeit bei Standardsituationen. Aus einem Grifo-Freistoß resultierte der Anschlusstreffer – vermeintlich. Tatsächlich stand der Torschütze Philipp Lienhart im Abseits (63.), kam allerdings recht frei zum Abschluss.
Saad mit Traumsolo zum 3:0
Von Glück für die Kiezkicker zu sprechen, wäre allerdings angesichts der sonst sauberen Leistung nach hinten völlig falsch. Von den eingangs erwähnten Holzfüßen geradezu blasphemisch, wenn so feine Füßchen wie Saad im Kader stehen. Sein 3:0 war eine Ode an den schönen Fußball. Gestartet in der eigenen Hälfte ließ der 24-Jährige eins, zwei, drei Freiburger aussteigen, „irgendwie“, wie er später meinte, und 1000, 2000, 3000 Herzen der mitgereisten St.-Pauli-Fans höher schlagen (73.). „Nach jedem Spieler, den er umkurvt hat, habe ich mir gedacht, okay, jetzt könnte er schießen, aber jetzt könnte er schießen, doch er ist immer weiter gegangen“, sagte Blessin später lachend.
Einziger Abzug in der B-Note: Den etwas ermüdeten Abschluss hätte Noah Atubolu halten müssen, ließ ihn aber durch die Handschuhe gleiten. „An einem guten Tag hält er den“, meinte auch Blessin. Dennoch rückblickend ein absoluter Wahnsinn, dass Saad zu Saisonbeginn nur als Joker kam. Nun sprintete, wendete, dribbelte er sich zum laufstärksten und dominantesten Akteur auf. Der Mann des Tages selbst wollte anschließend nicht zu sehr im Mittelpunkt stehen: „Es war eine brutale Mannschaftsleistung, wir haben alle sehr gut gegen den Ball gearbeitet.“
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Im Europa-Park-Stadion können derweil so viele Modelle stehen, wie in die Katakomben passen. Ob aus Zahnstochern, Legosteinen oder Beton. Für St. Pauli zählt nur ein Modell: das Modell Flügelzange mit Afolayan und Saad.
SC Freiburg: Atubolu – Kübler (64. Muslija), Ginter, Lienhart, Günter – M. Eggestein (80. Höfler), Osterhage (64. Höler) – Doan, Dinkci (46. Weißhaupt), Grifo – Adamu (73. Gregoritsch).
FC St. Pauli: Vasilj – Wahl, Smith, Mets – Saliakas (77. Dzwigala), Irvine, Boukhalfa (46. Metcalfe), Treu – Afolayan (90. Sinani), J. Eggestein (77. Banks), Saad (83. Albers).
Tore: 0:1 Saad (12.), 0:2 Afolayan (45.), 0:3 Saad (73.). Besonderes Vorkommnis: Vasilj hält Foulelfmeter von Grifo (41.). Schiedsrichter: Gerach (Landau). Zuschauer: 34.700 (ausverkauft). Gelbe Karten: Ginter, Kübler, Höfler – J. Eggestein, Saliakas, Banks. Statistiken: Torschüsse: 6:10; Ecken: 4:2; Ballbesitz: 67:33 Prozent; Zweikämpfe: 88:72; Laufleistung: 121,8:124,1 Kilometer.