Hamburg. St. Paulis Außenverteidiger weiß, wie man sich durchbeißt. Was er in sechs Jahren beim kommenden Gegner SC Freiburg gelernt hat.
Philipp Treu ist kein gewöhnlicher 23-Jähriger. Das wird schon nach wenigen Minuten klar – und hat mit seinem an sich ja schon ungewöhnlichen Beruf als Bundesligaprofi nichts zu tun. Treu, fester Händedruck, feine Stoffhose, sympathisches Lächeln, hält im Gespräch mit dem Abendblatt ständig Augenkontakt, ist interessiert und eloquent. Während andere 23-Jährige nicht mal eine Waschmaschine anstellen können, wirkt der Außenverteidiger des FC St. Pauli extrem frühreif. Was kurioserweise daran liegt, dass er eigentlich ein Spätentwickler ist. Aber der Reihe nach.
Der gebürtige Heidelberger war 14 Jahre alt, als er vom 1. FC Kaiserslautern ins Internat von RB Leipzig wechselte – und die erste schwere Zeit seiner Karriere erlebte. „Ich war in Leipzig noch nicht so weit, um mithalten zu können, habe nur wenig gespielt. Ich war in der B-Jugend gefühlt nur 1,50 Meter groß. Da ist es klar, dass man die Sprintduelle verliert, wenn der Gegenspieler schon 1,80 Meter groß ist“, erinnert sich Treu, der heute zumindest 1,73 Meter misst. In der U-17-Bundesligasaison 2016/17 stand Treu in der gesamten Hinrunde nicht einmal im Leipziger Kader, kämpfte sich dann aber in der Winterpause heran und kam so zumindest noch auf neun Einsätze.
FC St. Pauli: Treu bereut seine Zeit in Leipzig nicht
„Im Nachhinein betrachtet hat mir die Zeit in Leipzig trotzdem geholfen. Ich bin dort selbstständiger geworden und habe gelernt, mit Rückschlägen umzugehen“, sagt Treu, der 2017 in die U19 des SC Freiburg wechselte, rückblickend. „In Leipzig hat es einem an nichts gefehlt. Ich habe in einem nagelneuen Internat gewohnt, wo einem viele Dinge abgenommen wurden. Als ich dann nach Freiburg gekommen bin, gab es nicht mehr 50, sondern nur noch 16 Internatsplätze. Dort war alles zwar nicht so modern, dafür aber sehr viel familiärer, was mir auch besser gefallen hat.“
An diesem Sonnabend (15.30 Uhr/Sky) kehrt Treu mit den Kiezkickern nach Freiburg zurück. An den Ort, an dem seine Karriere eine entscheidende Wendung nahm. „Ich hatte sechs überragende Jahre in Freiburg. In der U19 habe ich mich unter Thomas Stamm, der mittlerweile in Dresden tätig ist, extrem weiterentwickelt“, sagt Treu, der im Sommer 2023 von der zweiten Mannschaft der Breisgauer nach Hamburg gewechselt war.
Treu musste sich auch in Freiburg durchkämpfen
„In Freiburg ist es kein Weltuntergang, wenn die U19 mal absteigt. Man fokussiert sich dort vor allem auf die Weiterentwicklung der einzelnen Spieler, sodass man als junger Spieler ohne Druck arbeiten kann. Von dieser Herangehensweise können sich viele andere Nachwuchsleistungszentren eine Scheibe abschneiden“, sagt Treu. 2019 ging es für ihn in Freiburg von der U19 in die U23. Regionalliga Südwest statt A-Jugend-Bundesliga, etwas weniger spielerische Klasse, aber dafür saftige Zweikämpfe und Kopfballduelle.
Etwas zu saftig für Treu, der wie bereits in Leipzig erst mal außen vor war. „In meinem ersten U-23-Jahr habe ich nur fünf Minuten gespielt und saß sonst nur auf der Tribüne“, erzählt er. „Während andere Spieler an sowas zerbrochen sind, habe ich immer diese Jetzt-erst-recht-Mentalität gehabt. Das ist eine meiner größten Stärken.“
„Wenn es schwer wird, gebe ich noch mehr Gas“
Genau genommen waren es zwar nicht fünf, sondern acht Saisonminuten, die er bei der Heimniederlage gegen den Balinger SC Ende November 2019 sammeln konnte. Was aber auch nicht viel besser ist. Auch in der folgenden Aufstiegssaison 2020/21 spielte Treu kaum eine Rolle, kam erst spät in der Rückrunde zu fünf Einsätzen.
Während andere bereits nicht mehr daran glaubten, dass er sich als Profi durchsetzen würde, zumal die Freiburger U23 nun in der 3. Liga spielte, half Treu sein bemerkenswerter Wille. „Ich habe die Motivation, es allen zeigen zu wollen, die nicht an mich glauben“, sagt er. In der 3. Liga war er dann plötzlich Stammspieler, sogar eine Innenbanddehnung zu Beginn der Saison hielt ihn nicht auf. „Es ist für die Entwicklung gut, wenn man sich auch mal durch düstere Zeiten kämpft. Ich bin jemand, der nie aufgibt. Wenn es schwer wird, gebe ich einfach noch mehr Gas“, sagt Treu.
Bei St. Pauli nahm er den Platz von Leart Paqarada ein
Als Aufsteiger landete Freiburgs U23 zunächst auf Platz elf, feierte in der Spielzeit 22/23 dann sogar sensationell die Vizemeisterschaft. „In der U23 gehörte ich am Ende zu den älteren Spielern, sodass ich dort schon Erfahrung als Führungsspieler sammeln konnte. Ich bin ohnehin jemand, der auch mal den Mund aufmacht, wenn die Passqualität nicht stimmt, die Bälle nicht mit rausgenommen werden oder im Bus nicht aufgeräumt wird. Das habe ich so in Freiburg beigebracht bekommen“, sagt Treu, der im Anschluss als Ersatz für Leart Paqarada zum FC St. Pauli wechselte.
Wer bis jetzt aufmerksam gelesen hat, kann sich denken, wie die Anfangsphase auf dem Kiez lief: Sein Stammplatz war die Ersatzbank, ehe er sich im November dann auch bei St. Pauli seinen Stammplatz erkämpft hatte. „Philipp hat die Eigenschaft, sich durchzubeißen und auch mal durch Täler zu gehen. Wenn er mal hinten dran ist, trainiert er so lange, bis er in der Mannschaft ist“, sagt Ex-Kiezkicker Johannes Flum, der Treu in der Freiburger U23 kennenlernte. „Für mich war klar, dass er diesen Weg gehen kann. Er bringt eine sehr starke Persönlichkeit mit.“
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Im April folgte dann der Schock, als sich der Stammspieler das Wadenbein brach. „‚Scheiße’, denkt man da“, sagt Treu. „Es lief gerade die heiße Phase um den Aufstieg und ich konnte plötzlich nicht mehr mithelfen. Zwei Tage nach meiner Operation war ich aber schon in der Endo-Klinik, um die Reha so schnell wie möglich zu schaffen.“
Die Aufstiegsfeier erlebte das Mannschaftsrat-Mitglied auf Krücken. Während es für seine Mitspieler danach in den Urlaub ging, arbeitete Treu alleine an seinem Comeback. Genauso hart, wie er es immer getan hat. „Meine Freundin musste zwar in den sauren Apfel beißen, weil der Urlaub ausgefallen ist, ich habe die Zeit im Sommer aber als Chance gesehen, in der ich mir einen Vorteil erarbeiten konnte. Den Urlaub holen wir dann im nächsten Sommer nach“, sagt Treu, lacht kurz und verabschiedet sich dann genauso höflich, wie er gekommen war: „Danke für das angenehme Gespräch.“