Hamburg. Zum Bundesliga-Auftakt trifft St. Pauli auf einen Gegner, der es als Aufsteiger in den Europapokal geschafft hat. Wie das möglich war.
Hinter Frank Schmidt liegt eine kurze Nacht, als er sich am Freitagmittag am Telefon meldet. „Ich war um kurz vor drei Uhr zu Hause. Es war aber schön, im eigenen Bett zu schlafen“, sagt der schon wieder ziemlich aufgeweckt klingende Trainer des 1. FC Heidenheim. Nachdem die Schwaben am Donnerstagabend einen 2:1-Sieg im Play-off-Hinspiel zur Uefa Conference League bei BK Häcken gefeiert hatten, ging es noch am selben Abend per Charterflieger aus Schweden zurück nach Stuttgart.
Schon an diesem Sonnabend reist das Team nach Hamburg, am Sonntag (17.30 Uhr/DAZN) wartet dann der Bundesligaauftakt beim FC St. Pauli. „Früher hat man immer davon geträumt, kaum zu trainieren und immer spielen zu dürfen. Sollten wir uns für die Ligaphase qualifizieren, nehmen wir diesen Rhythmus sehr gerne an“, sagt Schmidt nach dem ersten europäischen Pflichtspiel der Vereinsgeschichte. „Für mich war es ein bewegender Moment, wie der gesamte Auswärtsblock in Häcken mit über 500 Heidenheimer Fans gefüllt war. Die Begeisterung bei den Menschen zu sehen, ist für mich das Besondere.“
St.-Pauli-Gegner Heidenheim setzt auf Kontinuität
Schmidt ist eine Legende in Heidenheim. Der 50-Jährige ist in der kleinen Stadt an der Brenz geboren, wuchs im Nachbarort Giengen auf. Seit 6186 Tagen ist er Cheftrainer, seit seiner Amtsübernahme im September 2007 führte er den Club von der Regionalliga in die Bundesliga. 623 Pflichtspiele hat Schmidt in dieser Zeit miterlebt, es ist die längste Amtszeit im deutschen Profifußball. Zuvor hatte Volker Finke (exakt 16 Jahre Trainer des SC Freiburg) diesen Rekord inne.
„Als Trainer hat man nicht viel Zeit, über die Vergangenheit nachzudenken. Als ich vor dem Abflug nach Schweden aber die Tasche für ein europäisches Pflichtspiel gepackt habe, war das schon sehr speziell. Viele aus unserem Staff sind schon seit Amateurzeiten dabei. Wenn uns damals jemand gesagt hätte, wo wir heute stehen, hätten wir denjenigen natürlich nicht ernst nehmen können“, sagt Schmidt.
Schmidt: „Ich sehe mich als Dienstleister für meine Mannschaft“
Noch länger dabei ist Heidenheims Manager Holger Sanwald (57), der vor 27 Jahren als Leiter der Fußballabteilung anfing und mittlerweile Vorstandsvorsitzender des Clubs ist. „Wenn man so lange in einem Team zusammenarbeitet, kann man sich einfach aufeinander verlassen. Persönliche Befindlichkeiten spielen bei uns keine Rolle. In erster Linie sehe ich mich als Dienstleister für meine Mannschaft“, sagt Schmidt, der den Außenseiter in der vergangenen Bundesligasaison auf einen sensationellen achten Platz geführt hatte.
Für den FC St. Pauli ist Heidenheim ein sportliches Vorbild. Bei der Frage nach dem Erfolgsgeheimnis käme Trainer Schmidt, ein gelernter Bankkaufmann, niemals auf die Idee, sich selbst zu nennen. Stattdessen sagt er: „Als Aufsteiger muss man überzeugt von seinem Weg sein. Wir haben vergangenenes vor allem auswärts zu Saisonbeginn wenig Punkte geholt, aber an unserer Spielweise festgehalten.“
Heidenheim erlebte im Sommer einen personellen Umbruch
Und: „Wenn es um den Klassenerhalt geht, braucht man auch mal eine Phase, in der man extrem und auch überraschend punktet. Die hatten wir vor der Winterpause, als wir neun Punkte aus drei Spielen geholt haben.“
Der Erfolg weckte Begehrlichkeiten, unter anderem verließen die Stürmer Tim Kleindienst (zu Borussia Mönchengladbach) und Eren Dinkci (SC Freiburg) sowie Außenspieler Jan-Niklas Beste (Benfica Lissabon) den Club. Das Trio hatte in Pokal und Liga für 66 Scorerpunkte gesorgt. „Wir haben in diesem Sommer nahezu unsere komplette Offensive verloren. Entweder man jammert dann und trauert den Spielern nach – oder man arbeitet an Lösungen. Wir wählen da den zweiten Weg“, sagt Schmidt. Auch in diesem Jahr sei der Klassenerhalt die „oberste Priorität“.
Schmidt will nicht bis ins Rentenalter als Trainer tätig bleiben
Bis Sommer 2027 läuft sein Vertrag, bis dahin soll auch das Stadion von 15.000 auf bis zu 25.000 Plätze ausgebaut werden. „Wer mich kennt, der weiß, dass man sich auf mich verlassen kann. Wenn der Verein bis 2027 nichts anderes möchte, bleibe ich. Was danach kommt, weiß ich noch nicht. Entweder ich verlängere noch mal – oder vielleicht möchte ich doch noch mal einen anderen Verein trainieren“, sagt Schmidt. „Als Fußballtrainer hat man oft wenig Zeit für die Familie. Ich kann mir nicht vorstellen, bis ins Rentenalter als Trainer zu arbeiten – obwohl mir der Job nach wie vor großen Spaß macht und ich viel Energie habe. Irgendwann will ich aber noch mal etwas anderes machen.“
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Spätestens mit 60 soll Schluss sein. Zeit, um sich damit zu beschäftigen, hat Schmidt aber nicht. Am Sonntag wartet das Millerntor. Und am Donnerstag kommt Häcken zum Rückspiel nach Heidenheim. Die Erfolgsgeschichte geht weiter.