Hamburg. Der Italiener kann eine lange Liste an Verfehlungen vorweisen. Seine sportlichen Qualitäten sollte das aber nicht schmälern.
Er ist der Mann mit den zwei Persönlichkeiten. Man darf das sagen über Fabio Fognini, schließlich ist das die Selbstdeskription, die der italienische Tennisprofi wählt, wenn er wieder einmal nicht dank seiner sportlichen Qualitäten aufgefallen ist. „Auf dem Platz sieht man mich manchmal den Verstand verlieren. Außerhalb bin ich wirklich entspannt“, sagt der 32-Jährige, der beim ATP-Turnier am Hamburger Rothenbaum in dieser Woche zu den größten Attraktionen zählt.
Den zweiten Teil dieser Aussage unterstrich der Weltranglistenzehnte in den vergangenen Tagen. Man sah ihn gut gelaunt am Sonnabend bei der Auslosung der Hauptfeldmatches in der Kunsthalle scherzen und hörte ihn am Sonntag beim Eröffnungsevent auf dem Center Court entspannt über seine emotionale Hamburg-Rückkehr parlieren. Tatsächlich sei seine achte Rothenbaum-Teilnahme eine Herzensangelegenheit, spätestens seit er 2013 hier den Titel mit einem 4:6, 7:6 (10:8), 6:2-Finalsieg über den Argentinier Federico Delbonis erobern konnte, habe Hamburg einen besonderen Stellenwert.
Strafe wegen Bedrohung von Offiziellen
„An Orte zurückzukehren, an denen man etwas Großes geschafft hat, ist immer schön“, sagt er. 2015, bei seiner bislang letzten Stippvisite, war er erst im Finale am spanischen Sandplatzkönig Rafael Nadal (33) gescheitert. „Das war ein großes Match. Ich erinnere mich vor allem an die Stimmung. Ich liebe die Hamburger Tennisfans“, sagt Fognini. Auch wenn das Worte sind, die viele Tennisprofis über viele Städte sagen, wenn sie nett gefragt werden, darf man sie Fognini eher abnehmen. Schließlich ist der in Sanremo geborene Heißsporn keiner, der anderen nach dem Mund redet.
Umso öfter stolpert er über das, was er im Eifer eines Tennisgefechts von sich gibt. Die Liste seiner Verfehlungen ist lang. 2014 kassierte er in Wimbledon wegen Bedrohung von Offiziellen eine Strafe über 27.500 Pfund. Im selben Jahr beleidigte er in Hamburg seinen serbischen Kontrahenten Filip Krajinovic als „Scheißzigeuner“. 2017 pöbelte er bei den US Open in New York bei seinem Erstrundenaus im Einzel so massiv gegen die schwedische Stuhlschiedsrichterin, dass er vom Doppelwettbewerb ausgeschlossen wurde. Und in diesem Jahr ärgerte er sich in Wimbledon so sehr über seine Ansetzung auf einem der lauten Nebencourts, dass er dem bekanntesten Turnier der Welt wünschte, „eine Bombe möge auf der Anlage explodieren“. Das kostete ihn weitere 2700 Pfund Strafe.
Typen wie Fognini fallen auf
In einer Leistungssportwelt, in der die Aussagen vieler Protagonisten von Medienberatern aseptisch glattgebürstet werden, fallen Typen wie Fognini auf. „Fabio spaltet. Die Leute lieben oder hassen ihn deswegen, weil er wie ein wildes Pferd ist“, sagt Flavia Pennetta, die 2015 die Damenkonkurrenz der US Open gewann. Die 37-Jährige ist seit 2016 mit Fognini verheiratet, ein Jahr später kam der gemeinsame Sohn Federico zur Welt. Mit intimen Geständnissen über sein Liebesleben sorgte das Paar im Mai in einem Interview mit der Tageszeitung „Corriere della Sera“ für Wirbel.
Dass angesichts der Eskapaden bisweilen in den Hintergrund gerät, dass Fabio Fognini im Herbst seiner Karriere auch sportlich für Höhepunkte gut ist, wird seinem großen Talent nicht gerecht. Mitte April gewann er in Monte Carlo den ersten Mastertitel seiner Karriere. Am 10. Juni wurde er erstmals unter den besten zehn der Weltrangliste geführt – älter war noch kein Spieler bei seiner Top-Ten-Premiere. „Ich bin sehr stolz, dass mir das gelungen ist. Jetzt will ich versuchen, solange wie möglich dort zu bleiben“, sagt er.
Sieben Italiener stehen aktuell in den Top 100 der Welt, Fognini ist der Beste von ihnen. „Ich bin sehr froh darüber, dass es so viel guten Nachwuchs bei uns gibt, das war lange nicht der Fall“, sagt Fognini. Die Gründe für den Aufschwung seien die gute Trainingsarbeit, die an mehreren Stützpunkten im Land geleistet werde, und die Unterstützung durch den Verband und das nationale Olympiakomitee. So findet seit 2017 das ATP-Finalturnier der besten Nachwuchsspieler in Mailand statt, von 2021 an wandern zudem die ATP-Finals von London nach Turin.
Nachdem er in der vergangenen Woche im kroatischen Umag sein Achtelfinalduell mit Landsmann Stefano Travaglia wegen einer Muskelverletzung im Bein aufgeben musste, hatte Fabio Fognini darum gebeten, sein Erstrundenmatch am Rothenbaum gegen den Gießener Qualifikanten Julian Lenz (26/Nr. 374) so spät wie möglich bestreiten zu dürfen. Seinem Wunsch wurde entsprochen, erst an diesem Dienstagabend um 18.30 Uhr muss er spielen. Eine Wertschätzung ist das, die er sich verdient hat.