Hamburg. Die Beachvolleyballer Markus Böckermann und Lars Flüggen sind ein besonderes Paar. Sie kennen keinen Streit. Das ist ungewöhnlich.
Mit den Beziehungen ist das so eine Kiste. Gerade im Beachvolleyball. Freundschaftlich sind die wenigsten, professionell-geschäftlich viele, von Abneigung geprägt einige. Die Schweizer Brüder Martin und Paul Laciga sprachen am Ende kaum noch ein Wort miteinander. Dennoch führten sie 1999 die Weltrangliste an und wurden im selben Jahr Vizeweltmeister. Das deutsche Duo Alexander Walkenhorst/Stefan Windscheif wiederum trennte sich im vergangenen August auf gutem Weg zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro „einvernehmlich“, wie es offiziell hieß. Pech nur, dass Walkenhorst von einer angeblichen Teamentscheidung nichts wusste.
Der Wirtschaftsingenieur Markus Böckermann (30) und der Chemiker Lars Flüggen (26) sind da anders. „Die beiden können gar nicht einschätzen, wie außergewöhnlich ihre Beziehung ist. Welche Motivation sie aus ihrem respektvollen, wertschätzenden Umgang miteinander schöpfen; aus ihrer positiven Art, selbst in kritischen Situationen konstruktiv, lösungsorientiert zu kommunizieren“, sagt Bernd Schlesinger (57), ihr Trainer, der zugleich Trainingswissenschaftler am Olympiastützpunkt Hamburg in Dulsberg ist. „Bei ihnen stimmt die Formel 1+1=3. Gemeinsam sind beide stärker als die Addition von zwei Einzelspielern.“
Duo spielt für Club an der Alster
Und diese Summe kann sich sehen lassen. Böckermann/Flüggen, die für den Club an der Alster aufschlagen, haben sich bei den Männern als einziges deutsches Beachvolleyballteam für Rio qualifiziert. Wer weiß, dass sie vor gut einem Jahr als 51. der Weltrangliste nicht zu den Weltmeisterschaften in den Niederlanden zugelassen wurden, weil der Deutsche Volleyballverband „keine Touristen“ schicken wollte, ahnt, dass der Trip zu Olympia kein leichter war. Verletzungen stoppten sie zudem, Böckermann plagten fast das gesamte vergangene Jahr Knieschmerzen, Flüggen musste sich noch im April am Meniskus operieren lassen.
Die Hatz durch die Welt nach Qualifikationspunkten forderte zwischenzeitlich ihren Tribut, Zeit zur Regeneration fehlte. Einen Physiotherapeuten, der sie auf der Tour begleitete, der die Müdigkeit aus ihren Muskeln knetete, konnten sie erst dieses Jahr bezahlen. Dass ganz am Schluss alles an einem einzigen Spiel hing, am direkten Duell mit den Berlinern Jonathan Erdmann/Kay Matysik in der ersten K.-o.-Runde des Major-Turniers am Hamburger Rothenbaum, macht die Geschichte spektakulär.
Medaille ist nicht auszuschließen
Böckermann/Flüggen boten bestes Beachvolleyball, in jenem Moment, als es darauf ankam, siegten unter dem Jubel der Zuschauer und ihrer Freundinnen souverän in zwei Sätzen. „Das war der ultimative Härtetest. Wir haben ihn bestanden – trotz aller Nervosität. Daraus ziehen wir jetzt viel Kraft und Selbstvertrauen“, sagt Böckermann. Als Weltranglisten-14. fliegen sie nun nächste Woche nach Brasilien.
Weil sie alle Konkurrenten, die vor ihnen rangieren, bereits besiegt haben, ist dort nichts auszuschließen, nicht einmal eine Medaille. „Wir wären aber schon stolz, wenn wir die drei schweren Gruppenspiele überstehen und uns fürs Achtelfinale qualifizieren“, sagt Flüggen. „Danach geht es von Spiel zu Spiel. Dabei ist dann immer alles möglich.“ Und Böckermann ergänzt: „Auf der Welttour haben wir selten mal ein Halbfinale verloren.“ Beide müssen lachen. „Bei den Männern ist bei der momentan herrschenden Leistungsdichte vieles denkbar“, weiß Schlesinger.
Mit 1,98 Metern ist Böckermann kleiner als viele Blockspieler am Netz, auch Abwehrmann Flüggen hat mit 1,92 kein Gardemaß. Spielintelligenz ist also gefragt, gute Vorbereitung, ein hohes Maß an Konzentration, perfekte Abstimmung untereinander. Eben dieses 1+1=3. Böckermann: „Wir können uns auf ein Spiel fokussieren. Wir sind während des Matches in der Lage, die Taktik umzustellen, und wir können lange auf einem hohen Konzentrationslevel agieren. Das unterscheidet uns von manch anderem Paar.“
Vor Rio kommt noch Klagenfurt
Mit Eigenschaften wie diesen kompensieren sie leicht den einen oder anderen Zentimeter. „Dazu kommt ihre Leidenschaft. Sie sind die Isländer des Beachvolleyballs“, sagt Schlesinger. In 30 Jahren als Trainer habe er nur wenige Spieler kennengelernt, die ähnlich engagiert, geradlinig und klar im Kopf ihr Ziel verfolgten. „Und das war von Anfang an Olympia, auch wenn vor zwei Jahren wahrscheinlich nur wir drei daran geglaubt haben.“
Für Rio hat Schlesinger erste Pläne ausgearbeitet, natürlich für die anstehenden Spiele, „aber ebenso wichtig ist es, die Zeit zwischen den Begegnungen zu planen; damit man weder rumhängt noch sich zu viel zumutet, etwa weil man die Stadt erkunden will. In Rio könnte das gefährlich werden.“
Vor dem Abflug nach Brasilien gehen Böckermann/Flüggen von Donnerstag an noch beim Major-Turnier in Klagenfurt (Österreich) in den Sand. Spielen, Rhythmus finden, Routine entwickeln. Das ganz normale Vorbereitungsprogramm. Und nach Rio? Böckermann überlegt lange. „Beachvolleyball macht uns riesigen Spaß. Aber in meinem Beruf könnte ich mehr Geld verdienen.“ Flüggen würde das verstehen. Weil sich beide gut verstehen.