Hamburg. Am vergangenen Wochenende lief der gebürtige Hamburger als erster Deutscher 100 Meter in 9,99 Sekunden. Die Details der Verhandlungen.
Es war gegen 21.50 Uhr am vergangenen Sonnabend, als Owen Ansah einen fast schon surrealen Moment erlebte. Der HSV-Sprinter, der wenige Stunden zuvor bei der Leichtathletik-DM in Braunschweig als erster Deutscher die 100 Meter in 9,99 Sekunden gelaufen war, saß in einem Café und verfolgte gerade das EM-Achtelfinale zwischen Deutschland und Dänemark (2:0), als Moderater Jochen Breyer in der Halbzeitpause zu den heute-Nachrichten nach Mainz abgab.
„Als ich plötzlich auf dem Bildschirm in den ZDF-Nachrichten zu sehen war, hat mich gerade der Kellner angeguckt. Der konnte es erst mal gar nicht glauben. Er hat mich dann beglückwünscht, ehe ich dann weiter meine Selters und meinen Cranberrysaft getrunken habe“, erzählt Ansah und lacht. Auf einmal waren nicht mehr die Fußballer vom DFB, sondern er selbst der Star des Abends. Zumindest in diesem einen Café. Am Tag darauf begab sich der 23-Jährige wieder ins Braunschweiger Stadion und gewann zum krönenden Abschluss auch noch mit der HSV-Staffel über 4x100 Meter die Goldmedaille.
HSV-Sprinter Owen Ansah feierte mit der Familie in Hamburg
„Danach bin ich nach Hamburg gefahren und wir haben zu Hause mit der ganzen Familie gefeiert. Ich habe meinem Papa die Goldmedaille umgehängt, er hat sich auch mega gefreut“, erzählt Ansah, als er am Dienstagvormittag in der Leichtathletikhalle an der Krochmannstraße steht. Hier in Winterhude, beim HSV, hat er den Grundstein für seine Karriere gelegt, ist dann Ende 2021 mit Trainingspartner Lucas Ansah-Peprah und Coach Sebastian Bayer nach Mannheim gezogen.
„Ich bin in Mannheim professioneller geworden. Wenn ich weiter hier in Hamburg geblieben wäre, hätte ich diese Zeit wahrscheinlich nicht geschafft“, sagt Ansah. „In Hamburg sind meine Freunde und Familie, hier gibt es viel Ablenkung.“
Trainer Sebastian Bayer hatte entscheidenden Einfluss
Auch Trainer Bayer, einst Europameister im Weitsprung, ist stolz. „Als wir 2019 angefangen haben zu trainieren, war Owen noch ein ziemlicher Chaot, hatte noch viele Flausen im Kopf“, sagt der 38-Jährige. „Ich habe ihn nicht nur trainiert, sondern auch zum Leistungssport erzogen.“ Früher, erzählt Ansah, habe er das Training auch hin und wieder geschwänzt. Erst als Bayer übernahm, änderte er sich. „Er wusste genau: Wenn er 2019 so weitergemacht hätte, dass ich ihn 2020 nicht mehr trainiert hätte“, sagt Bayer.
Abgesehen von seinem Trainer orientiert sich Ansah vor allem an den Werten, die ihm seine Eltern mitgegeben haben. „Mein Papa ist 1988 aus Ghana nach Deutschland gekommen. Er hatte nicht viele Sachen dabei, musste sich alles hart erarbeiten“, sagte Ansah. „Es ehrt mich, dass ich sie glücklich machen kann. Sie sind nach Deutschland gekommen, um ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Ich denke, dass ich gerade auf einem sehr guten Weg bin, die beiden auch glücklich zu machen.“
Rassistische Reaktionen nach dem Titelgewinn
Getrübt wurden die Feierlichkeiten nach dem Titellauf von rassistischen Reaktionen im Internet – doch darüber wollte Ansah am Dienstag bewusst nicht sprechen. Der Deutsche Leichtathletik-Verband hatte am Montag bereits mitgeteilt, rechtliche Schritte zu prüfen. „Wir dürfen solchen Leuten keinen Zentimeter Platz für ihre absurden Aussagen lassen. Der HSV steht ganz klar für Vielfalt und Diversität. Und jeder Mensch bei klarem Verstand weiß: Owen ist ein Aushängeschild für unseren Verein, für den deutschen Sport und für die deutsche Gesellschaft“, sagt auch HSV-Präsident Marcell Jansen.
Obwohl Ansah seit zweieinhalb Jahren in Baden-Württemberg lebt und trainiert, startet der gebürtig aus Farmsen-Berne stammende Athlet weiter für den HSV. Und die Chancen stehen gut, dass der Sportsoldat auch weiterhin die Raute auf der Brust trägt – trotz seines in diesem Jahr auslaufenden Vertrags und einem deutlich gestiegenen Marktwert.
Ansah würde ein HSV-Vertragsangebot annehmen
„Ich hoffe, dass ich ein weiteres Angebot vom HSV bekomme. Wenn ja, dann werde ich das auf jeden Fall unterschreiben“, stellt Ansah klar. „Ich bin beim HSV groß geworden, die haben mich auch durch meine Verletzungen begleitet. Es gibt auch Verträge, bei denen es in solchen Situationen finanzielle Kürzungen gibt. Das ist mir beim HSV nicht passiert. Der Verein war immer loyal an meiner Seite und das möchte ich auch zurückgeben.“
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Während der HSV vor einigen Jahren noch kaum Chancen gehabt hätte, Ansah zu halten, hat sich die Situation mittlerweile verändert. Mit der Viactiv Krankenkasse gibt es seit 2021 einen lukrativen Sponsorendeal, der ohne Ansah und seinen Kumpel Ansah-Peprah – beide sind nicht miteinander verwandt – wohl nie zustande gekommen wäre. Der HSV bereitet im Hintergrund bereits einen neuen Vertrag vor, spricht dafür auch mit weiteren Sponsoren.
Bei Olympia in Paris (26. Juli bis 11. August) muss sich Ansah derweil wohl noch mal steigern, um im Finale über 100 Meter dabei zu sein. „Im Normalfall reichen die 9,99 Sekunden nicht für das Finale aus“, sagt Bayer. „Wir werden vor Olympia noch mal hart trainieren.“ Aber das kennt sein Schützling ja mittlerweile.