Hamburg. Im Präsidiumsstreit hoffen die Verantwortlichen auf eine außerordentliche Mitgliederversammlung im Netz. Beirat will Anzeige erstatten.
Draußen war es noch dunkel, als am frühen Mittwochmorgen rund um den HSV der Kampf um die Deutungshoheit der Geschehnisse begann. Das druckfrische Abendblatt mit dem Artikel „Der Putsch“ über den eskalierten Streit zwischen HSV-Präsident Marcell Jansen und Vize Thomas Schulz, Anwaltsschreiben, Intrigen und ein beispielloses Ringen um die Macht war gerade erst ein paar Stunden am Kiosk erhältlich, als um Punkt 8.20 Uhr zum digitalen Gegenangriff ausgeholt wurde.
In einer E-Mail, die gleichzeitig ans Abendblatt, zahlreiche Mitglieder und große Teile der aktiven Fanszene verschickt wurde, brachte ein gewisser Kevin Schmitz sein Unverständnis zum Ausdruck. „Vertritt Marcell Jansen noch die Interessen der Mitglieder und des HSV e.V. oder nur das Interesse von Klaus-Michael Kühne?“, fragte er in der Mail, die an unzählige Empfänger aus dem HSV-Universum verschickt wurde.
Der verärgerte HSV-Anhänger veröffentlichte die E-Mail-Adressen aller Beiratsmitglieder mit der Bitte, „diesen Herren“ zu schreiben und „die Fassungslosigkeit und das Entsetzen“ zum Ausdruck zu bringen. Zum Ende der langen Mail hieß es noch fettgedruckt: „Dies ist kein Putsch von Schulz und Schaefer, sondern ausschließlich von Jansen, Kühne und Wettstein mithilfe des Beirats gegenüber uns – unserem HSV!“
E-Mail-Adressen veröffentlicht: HSV-Beirat will Anzeige erstatten
Natürlich darf jeder seine Meinung über den Krach zwischen Schulz und dem Rest des HSV haben. Allerdings fragte sich der eine oder andere Empfänger, woher der wortgewandte E-Mail-Schreiber, der weder in der Fanbetreuung noch bei der Supporters-Spitze und auch nicht im Verein Nordtribüne bekannt ist, die entsprechenden Daten hatte.
Eine Frage, die nun sogar die Staatsanwaltschaft beschäftigen wird. Denn: Die Beiratsmitglieder, deren private E-Mail-Adressen ungefragt in dem großen Verteiler veröffentlicht wurden, wollen wegen des mutmaßlichen Verstoßes gegen die Datenschutzverordnung Anzeige erstatten.
Von all diesen Folgen ihres nun öffentlich ausgetragenen Streits hatten die Mitglieder des HSV-Präsidiums am Vormittag noch nichts mitbekommen. Sie hatten sich pünktlich um elf Uhr zur digitalen Präsidiumssitzung zusammengeschaltet, auf der über Gott, den Verein und die Welt philosophiert wurde.
Digitale Mitgliederversammlung geplant
Nur über den Krach, der die Schlagzeilen aller Zeitungen beherrschte, wurde nicht gesprochen. Auch nicht, als HSV-Geschäftsführer Kumar Tschana die Präsidiumsmitglieder fragte, ob es da nicht noch Gesprächsbedarf gebe. Denn die Kernfrage, die das Präsidium am Mittwoch gepflegt ignorierte, lautet: Wie kann es überhaupt weitergehen?
Die wahrscheinlichste Antwort: Es soll zeitnah eine digitale, außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen werden. Ob auf dieser lediglich über einen Misstrauensantrag gegen Thomas Schulz abgestimmt werden soll oder ob sich alle drei Mitglieder des Präsidiums den Mitgliedern stellen müssen, steht noch nicht fest.
Immerhin: Das Problem, dass normalerweise das Präsidium solch eine außerordentliche Mitgliederversammlung einberuft, dieses ja aber heillos zerstritten ist, kann laut Vereinssatzung umgangen werden. In Paragraf 15, Absatz drei heißt es: „Eine außerordentliche Mitgliederversammlung ist einzuberufen, wenn das Präsidium beschließt oder der Beirat, der Ehrenrat, die Abteilungsleitung Fördernde Mitglieder oder der Amateurvorstand die Einberufung verlangt …“ Und weiter: „Die Einberufung der außerordentlichen Mitgliederversammlung muss innerhalb von drei Wochen nach entsprechender Antragstellung erfolgen.“
Machtkampf wäre einziger Tagesordnungspunkt
Nach Abendblatt-Informationen will der Ehrenrat noch in dieser Woche tätig werden. Die Hoffnung einer schnellen Netz-Lösung, wie sie von der Mehrzahl der HSV-Verantwortlichen bevorzugt würde, wäre durch eine Corona-Übergangsverordnung möglich, die es Aktiengesellschaften und eingetragenen Vereinen explizit erlaubt, derartige Versammlungen digital abzuhalten.
Beim HSV geht man sogar davon aus, dass die Kosten einer solch technisch sehr aufwendigen Versammlung unter denen einer analogen Mitgliederversammlung (ca. 80.000 bis 100.000 Euro) bleiben würden. Einziger Haken: Bei vorherigen Versammlungen hatte sich die Mitgliedschaft immer gegen Fernwahlen ausgesprochen.
Deswegen soll auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung nun auch ausschließlich über die Folgen des Präsidiumsstreits abgestimmt werden. Auf einer anschließenden, ordentlichen Mitgliederversammlung, die voraussichtlich im April geplant ist, könnten dann die vakanten Präsidiumspositionen neu gewählt werden.
Bei der AG-Hauptversammlung könnte es zum Putsch kommen
Es gibt einen guten Grund dafür, warum die HSV-Gremien nun so einen zeitlichen Druck machen. Ursprünglich sollte in der letzten Januarwoche die Hauptversammlung aller HSV-Anteilseigner stattfinden. Da sich das Präsidium aber nicht rechtzeitig auf zwei Aufsichtsratskandidaten einigen konnte, wurde diese noch ohne neuen Termin verlegt.
Klar ist nur, dass der HSV-Vorstand spätestens bis zum 30. Juni zu einer neuen Hauptversammlung laden muss. Die große Sorge: Sollte es noch vor einer klärenden Mitgliederversammlung zu einer Hauptversammlung kommen, auf die Schulz und Schaefer seit Wochen drängen, könnten dort beide Vizepräsidenten Jansen überstimmen und im Alleingang den Aufsichtsrat und damit den kompletten Club auf links drehen.
Jansen-Rivalen halten sich bedeckt
Es wäre der Putsch, über den das Abendblatt bereits gestern berichtet hatte. Schulz und Schaefer waren auch am Mittwoch auf Nachfrage zu keiner Stellungnahme bereit.
E-Mail-Schreiber Kevin Schmitz, der sein Thesenpapier mit den Worten „Für die Nordtribüne – für die OFC Fanclubs – für die Mitglieder“ unterschrieb, kann die Sorgen über einen Putsch innerhalb des Präsidiums ohnehin nicht verstehen. Er bleibt vielmehr bei seiner Theorie von einer „feindlichen Übernahme von Klaus-Michael Kühne durch die Hintertür“.
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Auf die schriftliche Nachfrage des Abendblatts, woher er eigentlich all die Daten, die E-Mail-Adressen des Beirats, der Mitglieder und auch des Abendblatts habe, antwortete er mit Unverständnis: „Stellen Sie doch einfach mal bei Herrn Jansen, Herrn Kühne, Herrn Wettstein und dem Beirat diese Frage“, forderte er. Und weiter: „Wer oder was wir sind, ist doch jetzt nicht wirklich relevant.“
Das dürfte die Staatsanwaltschaft anders sehen.