Hamburg. Der ehemalige HSV-Trainer Hecking findet sich in seiner neuen Rolle zurecht. Wie sich der Alltag des 56-Jährigen verändert hat.
Das digitale Pressegespräch mit Dieter Hecking lief bereits handgestoppte 18 Minuten und 29 Sekunden, da konnte der frühere HSV-Trainer den berühmten Frosch im Hals nicht länger verbergen. Hilfesuchend und von Husten geplagt bemerkte er, dass auf dem Podium im Presseraum des 1. FC Nürnberg zwar reichlich Getränke der Sponsoren bereitstanden, jedoch keine der Flaschen geöffnet war. Pressesprecher Christian Bönig half schließlich mit einer gekonnten Öffnungstechnik aus, und Hecking erhielt den ersehnten Schluck Wasser zur Beruhigung seiner Stimmbänder. „Du bist es nicht mehr gewohnt, so viel zu reden“, scherzte Bönig. Hecking grinste und bejahte diese These.
Nach 20 Jahren als Cheftrainer im Profifußball ist Dieter Hecking seit dieser Saison auf Managerebene als Sportvorstand beim 1. FC Nürnberg tätig. Nahezu tägliche Pressegespräche gehören seitdem nicht mehr zu seinem Aufgabenbereich.
Stattdessen beschäftigt sich der 56-Jährige nun mit der zentralen These, wie man einen Verein führt. Auch juristische und strategische Themen stehen auf der Tagesordnung – sowie das Transfergeschäft, Vereinspolitik und die Vorbereitung, eine Jahreshauptversammlung als Vorstand zu begleiten. „Es sind für mich ganz neue Themen, in die ich mich hineinarbeiten muss. Ich lerne jeden Tag etwas Neues dazu“, gab Hecking zu, nachdem er den Frosch im Hals losgeworden war. „Das neue Leben tut mir gut.“
Hecking schwärmt gleich von mehreren HSV-Spielern
In diesen Tagen wird Hecking allerdings zwangsläufig mit seinem alten Leben konfrontiert. Denn am kommenden Sonnabend trifft er in neuer Funktion mit dem Tabellenelften Nürnberg auf seinen Ex-Verein HSV (13 Uhr/Sky), der seine letzte Trainerstation war.
„Als Trainer“, sagt der Sportvorstand Hecking, „wäre das Spiel von der Bedeutung her vielleicht anders einzustufen. Als Vorstand hat man aber einen gewissen Abstand zur Tagesaktualität, deshalb hat das Spiel keine übergeordnete Bedeutung für mich.“ Eine nüchterne Einschätzung, der dann doch noch etwas Fußballromantik für Traditionsvereine folgte. „Das Duell hat ein bisschen was von Bundesliga, ich freue mich darauf.“
Es ist vor allem die Freude auf ein Wiedersehen mit seinen ehemaligen Spielern, die Heckings Augen zum Funkeln brachten. Ungefragt zählte er nahezu jeden Startelfspieler des jüngsten HSV-Erfolgs gegen Regensburg (3:1) auf, begleitet von einer persönlichen Einschätzung. Spieler wie Stephan Ambrosius („sehr guten Schritt gemacht“), David Kinsombi („stabiler“), Tim Leibold („aufsteigende Form“), Bakery Jatta („Kurve gekriegt“), Josha Vagnoman („macht viel Druck“) und Jeremy Dudziak („sehr guter Fußballer“) könnten allesamt den Unterschied ausmachen. Eine Hauptrolle, die momentan aber vor allem ein Spieler erfülle: Torjäger Simon Terodde. „Er ist der Garant für den Erfolg des HSV. Er hat dieses berühmte Näschen, das man nicht lernen kann.“
Hecking lässt Schweinsteiger ruhig arbeiten
Es sind Aussagen, die untermauern, dass Hecking noch immer verfolgt, wie sich der HSV nach seinem Abgang im vergangenen Sommer entwickelt. „Aber um die Spielanlage zu beurteilen“, ergänzt der Neu-Manager, „habe ich viel zu wenig HSV-Spiele mit dem Trainerauge verfolgt.“
Deshalb dürfe das Nürnberger Trainerteam um Robert Klauß, der gegen den HSV nach einem Flaschentritt Rot-gesperrt fehlt, und seinem Assistenten Tobias Schweinsteiger auch „total frei“ arbeiten, ohne die Einmischung des Sportvorstands mit Trainererfahrung befürchten zu müssen. „Ich sage nicht: So würde ich es machen. Wenn das Trainergespann Fragen hat, bringe ich mich natürlich ein. Aber ich mische mich nicht aktiv ein, welches System wir spielen sollten“, verspricht Hecking. Daher wolle er sich auch in der Vorbereitung auf den HSV heraushalten.
Hecking hat einen Rat für den HSV
Dass die Hamburger nach fünf Siegen zum Start fünfmal in Folge sieglos geblieben waren, ehe die aktuelle Serie von vier Erfolgen gestartet wurde, ist für Hecking keine Überraschung. „In Hamburg gibt es immer Wechselbäder der Gefühle. Das ist eben der HSV. Es gilt, Konstanz reinzubekommen.“
Eine Aufgabe, an der Hecking gescheitert war. Zu schwankend waren die Leistungen insbesondere in der Rückrunde, weshalb der Aufstieg verspielt wurde. Eine sportliche Enttäuschung, die Auswirkung auf Heckings Zukunft hatte. Denn sein Vertrag hätte sich nur bei einer Bundesliga-Rückkehr automatisch verlängert. HSV-Sportvorstand Jonas Boldt und Hecking beschlossen schließlich gemeinsam, die Zusammenarbeit zu beenden.
Boldt sah in Hecking schon früh den Manager
„Wie professionell wir auseinandergegangen sind, zeigt seine Größe und unser gutes Verhältnis“, sagt nicht etwa Hecking, sondern Boldt. „Ich weiß, was er für den HSV geleistet hat. Das vergessen andere manchmal zu schnell.“ Beide Sportvorstände halten noch immer einen guten Kontakt zueinander. Dabei gehe es häufig um inhaltliche Überschneidungen wie beim Thema Corona. In diesen Gesprächen erfüllt Boldt trotz seines jungen Alters (38) plötzlich die Ratgeberrolle für den 18 Jahre älteren Hecking.
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Auch in der vergangenen Saison pflegten Boldt und Hecking einen intensiven Austausch. Schon damals fiel dem HSV-Vorstand Heckings Weitblick auf. „Dieter hat stets über den Tellerrand hinausgeschaut. Er hat immer das große Ganze gesehen“, sagt der Manager, dessen eigene Karriere in Leverkusen an der Seite seines Mentors Rudi Völler begann. Eine Rolle, die er auch Hecking zugetraut hätte. „In früheren Jahren hätte ich mir Dieter auch als meinen persönlichen Rudi Völler, also meinen Mentor, vorstellen können“, schwärmt Boldt. „Dieter ist von seinem Auftreten her eine Führungsperson, ein optimaler Manager.“
Ein Manager, der sich in sein neues Amt „reinfuchsen“ werde, ist Boldt überzeugt. „Ich wünsche ihm viel Erfolg – am Sonnabend aber zählt für mich natürlich nur der HSV.“