Braunschweig. Der HSV zeigt beim 2:1 in Braunschweig, dass er doch Pokal kann, und ist bereit für das Derby. Doch es gibt viel zu verbessern.

Auf diesen Moment hatte der HSV fast anderthalb Jahre warten müssen: Als der 2:1-Sieg in der ersten DFB-Pokalrunde bei Eintracht Braunschweig unter Dach und Fach war, gingen die HSV-Profis in die Fankurve. Obwohl unter den 6167 Zuschauern offiziell keine Gästeanhänger zugelassen waren, hatten es rund 50 lautstarke Hamburger dann doch ins Eintracht-Stadion an der Hamburger Straße geschafft – und feierten ihre müden Helden frenetisch. Auswärtsfans bei einem Fußballspiel – so etwas hatte es coronabedingt für HSV-Anhänger seit März 2020 nicht mehr gegeben.

„Wir haben es spannend gemacht“, sagte Trainer Tim Walter, der sauer war auf seine Mannschaft vor allem in der Phase nach dem 1:0, bei Sky. „Wenn man nicht auf dem Gaspedal bleibt, bekommt man das, was wir heute bekommen haben.“ Mit der zweiten Halbzeit war Walter dann sehr zufrieden. Genau wie die Fans.

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Gjasula vor HSV-Abgang?

„Super Hamburger, olé“, sangen die mitgereisten Anhänger, die auf den Geschmack gekommen waren. Noch sehr viel länger war das letzte Pokalduell der beiden Bundesliga-Gründungsmitglieder her. 1981 war es, als vor allem die Aufstellung des HSV mit Hamburger Granden wie Uli Stein, Franz Beckenbauer, Manfred Kaltz, Felix Magath und Horst Hrubesch beeindruckte. Doch das Starensemble aus dem Volkspark konnte die eigenen Erwartungen nicht erfüllen und verlor den packenden Pokalfight mit 4:3 nach Verlängerung.

40 Jahre später konnten die Namen, auf die Trainer Walter setzte, nicht ganz mit dem damaligen Who is Who mithalten. Statt auf Jimmy Hartwig oder Ditmar Jakobs setzte Walter auf Sonny Kittel (für Bakery Jatta) und Maximilian Rohr (für den angeschlagenen Jonas Meffert). Mittelfeldmann Klaus Gjasula war gar nicht im Kader. Offizielle Begründung: Magen- und Darmvirus. Auf der Tribüne wurde mehr schlecht als recht gewitzelt: Möglicherweise ein Magen- und Darmstadtvirus?

Gyamerah mit Slalom zur HSV-Führung

Sei’s drum. Auch ohne Gjasula, Beckenbauer und Magath hatte der HSV zunächst wenig Probleme mit dem 18. der Dritten Liga. Mit Tim-Walterschen Ballbesitzfußball kombinierten sich die Hamburger immer wieder gefällig nach vorne – ohne wirkliche Torgefahr zu entwickeln. Lediglich Jan Gyamerah doppelpasste sich in aussichtsreiche Position, ehe sein Schuss von Braunschweigs Keeper Jasmin Fejzic zur Ecke geklärt wurde (8.).

Und weil’s so schön war, gab es dasselbe Duell nach einer knappen halben Stunde noch mal – diesmal mit mehr Glück für die Hamburger. Nach einem beherzten Einsteigen David Kinsombis gegen Bryan Nikolaou schnappte sich erneut Gyamerah den Ball, umkurvte Eintrachts Keeper Fejzic und schloss wie ein waschechter Mittelstürmer ab (29.). Zur Erinnerung: Der Rechtsverteidiger, zumindest in der ersten Halbzeit bester Mann, spielt seit Saisonbeginn nur, weil Josha Vagnoman in der Sommerpause mit den Folgen eines hartnäckigen Muskelfaserrisses zu kämpfen hatte.

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HSV schaltet nach Tor Gang zurück

Doch wer nun dachte, dass der Treffer für den Favoriten im ewigen Pokalkampf zwischen David und Goliath dem HSV guttun würde, irrte. Der Zweitligaabsteiger spielte sich nach dem Gyamerah-Tor plötzlich in einen regelrechten Rausch. Und nachdem zunächst Sebastian Müller (35.), Nikolaou (37.), Robin Krauße (40.) und Luc Ihorst (44.) ihre zahlreichen Chancen nicht nutzen konnten, war es kurz vor dem Pausenpfiff dann doch Eintracht-Neuzugang Ihorst, der nach einem schnell ausgeführten Einwurf zum 1:1 veredelte. „Das Tor war eine Frechheit meiner Mannschaft. Da haben wir keine Bereitschaft gezeigt“, sagte Chefcoach Walter, der in der Halbzeitansprache scharfe Worte wählte.

Kleiner Malus: Direkt vor dem Tor waren beim Einwurf für Braunschweig kurze Zeit zwei Bälle auf dem Spielfeld. In der Theorie also ein fragwürdiger Treffer. In der Praxis fällt eine solche Entscheidung in den Ermessensspielraum des Schiedsrichters.

Walter coachte den HSV energisch

Walter, der zum Ende der ersten Halbzeit immer wieder mit fuchtelnden Armen in seiner Coachingzone hin und her lief, reagierte in der Pause. Für Manuel Wintzheimer und Ludovit Reis brachte der 45-Jährige Jatta und Moritz Heyer. Und erstgenannter brauchte auch gerade einmal fünf Minuten für seinen ersten Schuss. 6167 enthusiastische Fans beklatschten nun ein wildes Hin und Her, wie es so häufig im Pokal geboten wird. Der anarchischen Hüben-wie-Drüben-Verballerei bereitete schließlich Robert Glatzel ein jähes Ende, als er eine Hereingabe Tim Leibolds nur noch über die Linie zum 1:2 drücken musste (68.).

Da allerdings Jatta (73.), der eingewechselte Mikkel Kaufmann (81.), erneut Jatta (83.) und David Kinsombi (90.+1) ihre teilweise hochkarätigen Chancen nicht ähnlich kompromisslos wie Glatzel nutzen, blieb es bis zur 95. Minute – mehr oder weniger – spannend. „Es war ein typischer Pokalfight“, sagte Glatzel.

Am Ende war es geschafft: Die Pokalrevanche an der Hamburger Straße in Braunschweig 40 Jahre später. Das nächste Ziel: Die Derby-Revanche am Freitagabend am Millerntor.

Die Statistik:

  • Braunschweig: Fejzic – Wiebe, Schultz, Nikolaou (78. May), Kijewski (81. Schlüter) – Krauße – Henning (81. Kobylanski), Behrendt – Multhaup – Ihorst, Müller (46. Pena Zauner). – Trainer: Schiele
  • HSV: Heuer Fernandes – Gyamerah, David, Schonlau, Leibold – Rohr (61. Suhonen) – Reis (46. Heyer), Kinsombi (90. Vagnoman) – Wintzheimer (46. Jatta), Glatzel, Kittel.
  • Tore: 0:1 Gyamerah (29.), 1:1 Ihorst (44.), 1:2 Glatzel (68.)
  • Schiedsrichter: Tobias Welz (Wiesbaden)
  • Zuschauer: 6000
  • Gelbe Karten: Behrendt, Krauße –