Hamburg. Nach der Gala im Pokal gegen den KSC folgte beim 1:2 in Nürnberg der Frust in der Liga. Wie der Coach den Rückschlag einordnet.
Die leeren und müden Blicke der HSV-Profis sagten einiges darüber aus, wie die 90 Minuten abliefen. Drei Tage nach dem emotionalen 5:4-Sieg im Elfmeterschießen im DFB-Pokal-Viertelfinale gegen den Karlsruher SC erlitt die Mannschaft von Trainer Tim Walter (46) durch das leistungsgerechte 1:2 (1:1) beim 1. FC Nürnberg einen Euphorie-Dämpfer. "Die Art und Weise, wie wir aufgetreten sind, war sehr gut. Wir schaffen es nicht, uns zu belohnen, hätten in der ersten Hälfte führen müssen. Dann läufst du hinterher, was viel Energie kostet. Wir hätten das Ding in der ersten Hälfte ziehen müssen", bilanzierte Trainer Walter, der erstmals in seiner Amtszeit zwei Niederlagen in Folge hinnehmen muss.
Der Liveticker zum Nachlesen:
Einzelspiel 1. FC Nürnberg - HSV
Nach den Siegen von Darmstadt 98 (3:2 gegen Heidenheim) und dem FC St. Pauli (3:1 gegen den KSC) war es ein herber Rückschlag im Kampf um den Bundesliga-Aufstieg. Sollte Werder Bremen am Sonntag gegen Dynamo Dresden gewinnen, würde der Rückstand auf Relegationsrang drei auf sechs Punkte anwachsen. "Wir haben zwei Spiele in der Liga verloren. Das tut weh. Wir haben uns das anders ausgemalt. Die erste Halbzeit war richtig gut, die zweite nicht mehr so gut. Da hatten wir zu Anfang Probleme. Ich hatte aber nicht das Gefühl, dass von Nürnberg noch etwas kommt, aber dann schießen sie glücklich das Tor", analysierte Kapitän Sebastian Schonlau.
HSV und Nürnberg zeigen Solidarität für die Ukraine
Vor dem Spiel zeigten beide Mannschaften, dass es in diesen Tagen so viel wichtigere Dinge gibt als Fußball. Die Teams liefen in den Farben der Ukraine ins Max-Morlock-Stadion ein und dokumentierten so die Solidarität mit dem Land, das durch den russischen Angriffskrieg so großes Leid erfahren muss. Nürnberg ist Partnerstadt von Charkiw. Im Stadion sammelten die Fans Spenden für die Ukraine. Eine Aktion, an dem sich der HSV-Anhang beteiligte. Zwei Fans sammelten im Gästeblock Geld.
Nach den 120 Minuten vom Mittwoch wollte Trainer Walter das Thema Müdigkeit gar nicht erst als Ausrede aufkommen lassen. „Der Kopf entscheidet alles. Über das Herz und die Beine. Wenn der Kopf sagt, du musst laufen, dann läufst du“, erklärte der 46-Jährige fast schon philosophisch vor der Partie.
Die Bilder zur Niederlage des HSV in Nürnberg
Und es lief zunächst bei beiden Mannschaften durchaus gut. Die zuletzt so starken Nürnberger setzten die Hamburger früh unter Druck. Bereits nach anderthalb Minuten musste Torhüter Daniel Heuer Fernandes zum ersten Mal eingreifen, als er von Taylan Duman aus der Distanz geprüft wurde. Praktisch im Gegenzug konnten die Hamburger das Pressing zum ersten Mal gut überspielen und kamen durch Bakery Jatta zum ersten Abschluss. (4.).
Köpke bestraft schwaches HSV-Abwehrverhalten
Es entwickelte sich eine lebhafte Partie, in der die Hamburger durchaus frisch und griffig auftraten. Der HSV übernahm in der Anfangsviertelstunde mit viel Ballbesitz die Initiative. Die erste Riesenchance hatten aber die Gastgeber. Nach einem Konter über die linke Seite stand plötzlich Pascal Köpke blank vor dem Tor, doch der Sohn von Ex-DFB-Keeper Andreas Köpke schoss in der elften Minute am Tor vorbei.
Und diese Nachlässigkeit im Abschluss hätte der HSV beinahe drei Minuten später bestraft. Nach einer schönen Kombination spielte Ludovit Reis, der für David Kinsombi ins Team kam, Giorgi Chakvertadze frei, doch der Georgier fand seinen Meister in FCN-Keeper Christian Mathenia.
Und so blieb es eine offensiv geführte Partie, in der die Hamburger den ersten Rückschlag hinnehmen mussten. Ein Schuss von Fabian Nürnberger, der zuvor Jonas Meffert mit einer Körpertäuschung ins Kino schickte, wurde in der 15. Minute noch von Mario Vuskovic abgeblockt, doch der zuvor glücklose Köpke hatte beim Abstauben keine Mühe. Der frühe Rückstand für das Walter-Team.
Auch interessant
Reis bringt den HSV mit seinem Treffer wieder zurück ins Spiel
In der Folge musste sich der HSV erst einmal schütteln. Über ihren Ballbesitz versuchten sie, die Sicherheit im Spiel zurückzugewinnen. Der Ausgleich resultierte aber aus einer Umschaltbewegung. Nach einer schönen Kombination über Sonny Kittel und Bakery Jatta konnte Ludovit Reis in der 25. Minute aus zwölf Metern platziert in die linke Ecke abschließen. Der vierte Saisontreffer des Niederländers.
An den Spielanteilen änderte sich nichts. Beide Mannschaften lieferten eine intensive Partie ab. HSV-Mittelfeld-Abräumer Meffert übertrieb es allerdings etwas mit dem Einsatz. Nach einem Foul an Lino Tempelmann kassierte der Routinier seine fünfte gelbe Karte. Damit fehlt er in der kommenden Woche gegen Erzgebirge Aue.
Auffällig beim HSV: Fast alle gefährlichen Angriffe wurden über die rechte Angriffsseite, die Jatta und Josha Vagnoman beackerten, vorgetragen. Insgesamt fehlte es im letzten Drittel des Platzes an Präzision und Kreativität, sodass bis zur Pause keine weiteren Großchancen gegen gut organisierte Gastgeber heraussprangen. „Nürnberg müsste mehr die Initiative ergreifen. Der HSV, der den reiferen Eindruck macht, hatte eine englische Woche“, forderte Ex-Nürnberg-Coach und HSV-Legende Felix Magath in der Pause.
Schwache zweite Halbzeit vom HSV, Nürnberg mit Lucky Punch
Nach dem Seitenwechsel glich die Partie mehr einem Pokerspiel als einem Fußballspiel. Beide Teams lauerten auf Fehler des Gegners. Weder Nürnberg noch der HSV gingen in irgendeiner Form ins Risiko. Vor lauter Gegenpressing kamen kaum sehenswerte Spielzüge zustande. Torchancen entstanden aus Einzelaktionen, so wie beim Weitschuss von Nürnbergs Tim Handwerker, der HSV-Keeper Heuer Fernandes in der 58. Minute zu einer starken Parade zwang.
Rund um die 60. Minute wechselte das Momentum mehr aufseiten der Nürnberger, die den HSV zunehmend in die eigene Hälfte drückten. Die Gastgeber verhinderten das personelle Überlagern der Flügel – Markenzeichen des Walter-Fußballs – mit geschickter Raumaufteilung. Zudem erwischten Unterschiedsspieler Kittel im offensiven Mittelfeld – abgesehen von seiner Beteiligung am Ausgleichstor – und Stürmer Robert Glatzel keinen guten Tag. "Natürlich wünscht du dir, dass Kittel oder Glatzel den Unterschied ausmachen, darum sind sie immer auf dem Platz. Das hat uns heute ein bisschen gefehlt. Aber es sind andere in die Bresche gesprungen", sagte Trainer Walter.
HSV-Trainer Walter wechselt erst spät aus
Mehr als ein harmloser Schuss von Reis (69.) sprang in der zweiten Hälfte bei den Hamburgern zunächst nicht heraus. Überraschend verzichtete HSV-Trainer Walter darauf, Impulse von außen zu setzen. Erst in der 82. Minute wechselte er erstmals aus. Manuel Wintzheimer und David Kinsombi kamen für Kittel und Jatta.
Und Joker Wintzheimer war es auch, der in der 87. Minute zumindest noch einmal den Abschluss suchte. Angesichts der großen körperlichen Belastung durch das Pokalspiel verwunderten die späten Auswechslungen. "Wenn du nicht das Gefühl hast, eingreifen zu können, dann wechselst du nicht. Das Gefühl hatte ich nicht. Ich wollte keine Unruhe reinbringen, in dem du etwas außeinanderreißt. Am Ende ist man immer schlauer. Ihr seid heute die Schlauen, ich der Dumme", antwortete Walter auf die Frage, warum er so spät wechselte.
Heuer Fernandes nimmt HSV-Gegentor auf seine Kappe
Doch den Lucky Punch schaffte Nürnberg. Ein Schlenzer von Nürnbergs Linksverteidiger Tim Handwerker vom Strafraumeck rutschte an Freund und Feind vorbei an den Innenpfosten. HSV-Keeper Heuer Fernandes sah dabei ganz schlecht aus. "Ich habe gedacht, dass der Ball höher aufspringt. Der Rasen ist neu verlegt in dem Bereich vor mir. Aber der ist haltbar. Es ist ärgerlich, dass wir so ein Spiel verlieren", ärgerte sich Heuer Fernandes.
Zu allem Überfluss versuchte Einwechselspieler Mikkel Kaufmann mit einer peinlichen Schwalbe einen Elfmeter in der Nachspielzeit zu schinden. Die gelbe Karte war folgerichtig. Es war der unrühmliche Abschluss einer Auswärtsreise, die in der Endabrechnung richtig wehtun könnte.
Schema:
- 1. FC Nürnberg: Mathenia - Fischer, Schindler, Sörensen, Handwerker - Tempelmann, Nürnberger (85. Krauß) - Duman, Möller Daehli (90. Suver), Schleimer (90. Geis)- Köpke (85. Dovedan).
- Hamburger SV: Heuer Fernandes - Vagnoman (90. Kaufmann), Schonlau, Vuskovic, Muheim - Meffert (90. Suhonen) - Reis,Kittel (82. Kinsombi) - Jatta (82. Wintzheimer), Glatzel, Chakvetadze.
- Tore: 1:0 (15.) Köpke, 1:1 (25.) Reis, 2:1 (88.) Handwerker.
- Zuschauer: 25.000 (ausverkauft)
- Schiedsrichter: Matthias Jöllenbeck (Freiburg)
- Videoschiedsrichter: Oliver Lossius (Bonn)
- Gelbe Karten: Köpke, Mathenia (3), Tempelmann (10) - Meffert (5), Jatta (3), Muheim (4), Reis (4), Suhonen (3)
- Torschüsse: 10:14
- Ecken: 4:9
- Ballbesitz: 35:65 %
- Zweikämpfe: 104:112