Hamburg. Die Sperre von Tim Leibold eröffnet auch eine ganz neue Führungsfrage. Doch die prekäre Lage könnte sich sogar als gutes Omen erweisen.
Tim Leibold? Gesperrt. Klaus Gjasula? Verletzt. Toni Leistner? Ebenfalls außer Gefecht. David Kinsombi? Im Formtief. Tom Mickel? Nur die Nummer drei im Tor. Was diese Aufzählung soll? Sie beschreibt die Mitglieder des Mannschaftsrats des HSV und damit die natürliche Reihenfolge der Spielführer des ambitionierten Fußball-Zweitligisten.
Doch die knappen Antworten offenbaren bereits den großen Haken an dieser Hierarchie: Denn keiner der genannten Kandidaten ist – aus unterschiedlichen Gründen – derzeit dazu geeignet, das leckgeschlagene HSV-Schiff als Kapitän auf Aufstiegskurs zu halten. In mindestens den nächsten beiden Topspielen muss sich Trainer Daniel Thioune eine neue Führungskraft auf dem Rasen suchen.
HSV in Kapitäns-Not: Wer trägt die Binde?
Notwendig macht dies die Sperre von zwei Spielen, die sich der etatmäßige Kapitän Tim Leibold durch seine mit einer Roten Karte verbundenen Tätlichkeit im verlorenen Stadtderby beim FC St. Pauli einhandelte. Während sich das eigentliche Vorbild bereits bei seinen Mannschaftkollegen für seine Aktion entschuldigt hat, ist die Suche nach einem geeigneten Vertreter in vollem Gange.
Entschieden ist dabei aber noch nichts. "Das ist eine gute Frage!", antwortete Sportdirektor Michael Mutzel am Tag nach dem Waterloo vom Millerntor zunächst so offen wie ahnungslos auf eben jene Frage nach dem Interimskapitän. Um schließlich mit Blick auf die kommenden Duelle mit Holstein Kiel und dem VfL Bochum nachzuschieben: "Es ist egal, wer da die Binde hat. Es geht um die Mannschaft, die auf dem Platz ist."
HSV gehen die lautstarken Spieler aus
Ähnlich hatte sich Thioune bereits im vergangenen September geäußert, als er nur einen Tag vor dem ersten Pflichtspiel (1:4 im Pokal bei Dynamo Dresden) aus dem frisch gewählten Mannschaftsrat Leibold zum Mann mit der Binde bestimmt hatte. "Wir haben eine flache Hierarchie, und wenn jemand seine Stimme erheben möchte, kann er das auch unabhängig davon tun", sagte der HSV-Trainer damals.
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Dennoch wäre ein laut- und meinungsstarker und gleichzeitig selbstbewusster Leader gerade in der aktuellen Situation mit vier sieglosen Spielen in Serie und dem Abrutschen aus den Aufstiegsrängen wichtiger denn je. Doch Spieler, die glaubwürdig mit breitem Kreuz vorangehen, scheinen im aktuellen Kader eher rar gesät. Oder mit den stellvertretenden Spielführern Gjasula (31) und Leistner (30) eben nicht verfügbar.
HSV-Kapitän: Kinsombi, Ulreich, Terodde?
Mit Rick van Drongelen ist ein anderer Lautsprecher schon aus dem Rennen, bevor dieses überhaupt erst eröffnet wurde. Der 22-jährige Unglücksrabe muss nach seinem beim Comeback gegen St. Pauli erlittenen Außenbandriss im Sprunggelenk überhaupt erst wieder auf die Beine kommen. Kinsombi indes wurde am Montagabend ausgewechselt – unverletzt zwar, aber nach wiederholt enttäuschender Leistung.
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Für die erfahrenen Sven Ulreich (32) und Simon Terodde (33) wäre das Kapitänsamt wiederum trotz ihrer jeweils fortgeschrittenen Karrieren völliges Neuland – weder der Torhüter noch der Torjäger kennen das Gefühl der Binde am Oberarm. Hinzukommt, dass sowohl der zuletzt wackelige Ulreich als auch der seit drei Partien erfolglose Terodde (längste Durststrecke seiner HSV-Ära) momentan mit ihrem eigenen Spiel ausgelastet sind.
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HSV: Gutes Omen mit Kapitän Hunt
Bliebe Aaron Hunt, der zum Ende der vergangenen Saison sein Amt als Kapitän nach zwei Jahren allerdings nicht umsonst auf eigenen Wunsch niedergelegt hatte. "Er hat immer betont, dass er dieses Amt nicht braucht, um voranzugehen", sagte Thioune anlässlich Leibolds Inthronisierung im Spätsommer über Hunt. Dessen Leistungsnachweis nahm sich zuletzt allerdings auch eher bescheiden aus.
Im Stadtderby schmorte der 34-Jährige 90 Minuten lang auf der Bank, beim 2:3 in Würzburg wurde er nach der desaströsen ersten Hälfte (0:2) vom Platz genommen. Überhaupt absolvierte Hunt in dieser Runde erst eine Partie von Anfang bis Ende – am vierten Spieltag beim 1:0-Sieg in Fürth. Dennoch liefert gerade jenes Spiel den Beweis, dass Hunt das Kapitän-Sein nicht verlernt hat.
Nordderby gegen Kiel: Mutzel denkt positiv
Denn damals übernahm der Routinier die Verantwortung von Toni Leistner, nachdem der Leibold-Stellvertreter nach 53 Minuten vom Platz geflogen war. Auch, als Gjasula eingewechselt wurde, blieb Hunt Spielführer. Ebenso am Folgespieltag, als ohne den weiter verletzten Leibold und den gesperrten Leistner der FC Erzgebirge Aue mit 3:0 besiegt wurde – und Hunt prompt eines seiner besseren Spiele machte.
Die gute Nachricht also zum Schluss: Schon einmal hat der HSV zwei Spiele ohne seinen Stammkapitän Tim Leibold erfolgreich bestritten – mit Hunt in offizieller Führungsrolle. Und so weiß Michael Mutzel zumindest auf die Frage nach dem Ausgang des nächsten Nordderbys gegen Aufstiegskonkurrent Kiel eine eindeutige Antwort: "Ich sehe nicht, warum wir verlieren sollten. Wir haben ein Heimspiel und denken positiv."
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