Darmstadt. Der Stürmer schießt Darmstadt beim 5:0 fast im Alleingang ab und sorgt für einen historisch spannenden Sechskampf in der Liga.

Robert Glatzels Blick war nur nach vorne gerichtet. Der HSV-Stürmer joggte direkt nach dem Abpfiff von Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck über den halben Platz – ohne dabei auch nur für eine Sekunde das Objekt seiner Begierde aus den Augen zu lassen. Auch, als sich die ersten Gratulanten ihm in den Weg stellten, ließ sich der 28-Jährige nicht beirren.

Erst nach einer halben Ewigkeit wurde Glatzel belohnt, als ihm Moritz Heyer seinen auserkorenen Schatz endlich übergab: den Spielball. „Ich weiß noch nicht, wo ich den hinlegen werde“, sagte Glatzel, als er knapp 20 Minuten später vor die TV-Kameras trat und der Reihe nach bei Sky, Sport1 und der ARD das Unerklärbare erklären musste: einen 5:0-Auswärtssieg mit vier eigenen Toren. Beim Tabellenführer. Viel mehr geht nicht. „Den Ball lasse ich mir von den Jungs unterschreiben.“

HSV News: Glatzel traf in Darmstadt zum 0:1

Das Andenken an diesen denkwürdigen Fußball-Nachmittag in Darmstadt gönnte Trainer Tim Walter seinem Torjäger natürlich von Herzen – auch wenn sich der frühere Sturmriese des ASV Durlach den Hinweis nicht verkneifen konnte, dass ihm ein Viererpack auch schon selbst gelungen sei. In der Verbandsliga Baden – „und da habe ich sogar noch zwei Elfmeter verschossen“. Nun, zumindest vom Punkt zeigte sich Robert-Nesta Glatzel, den alle nur Bobby nennen, am Sonntagnachmittag glücklicherweise etwas treffsicherer.

Nachdem Faride Alidou nach nur dreieinhalb Minuten im Strafraum zu Fall gebracht worden war, musste sich Glatzel nur noch gegen Mitspieler David Kinsombi durchsetzen. Der Ersatz des gelbgesperrten Sonny Kittel, der laut Walter gar kein Kittel-Ersatz war, hätte auch gerne schießen wollen. Doch Glatzel ließ sich genauso wenig beirren wie knapp 90 Minuten später, als er sich den Spielball sichern wollte, und traf nach handgestoppten 4:49 Minuten zum 0:1.

Erster Auswärtsviererpack des HSV

Was dann folgte, hat es wahlweise selten bis noch nie gegeben: erst Tor Nummer zwei per Kopf nach gefühlvoller Freistoßflanke Miro Muheims nach neun Minuten und 50 Sekunden. Dann Glatzel-Tor Nummer drei nach sehenswerter Moritz-Heyer-Vorarbeit – diesmal an die Unterkante der Latte und von dort ins Tor.

Drei Treffer nach zwölf Minuten und 36 Sekunden, das soll es im bezahlten Fußball noch nie in Deutschland gegeben haben. Aber: Ein Hattrick innerhalb von nur sieben Minuten und 47 Sekunden, das haben nach Angaben von fleißigen Schnellrechnern sogar elf Zweitliga-Fußballer noch zackiger als Glatzel hinbekommen.

Torjubel nach dem 0:3: Robert Glatzel erzielt gegen Darmstadt ein Viererpack für die Ewigkeit.
Torjubel nach dem 0:3: Robert Glatzel erzielt gegen Darmstadt ein Viererpack für die Ewigkeit. © IMAGO / Beautiful Sports | Unbekannt

Wie dem auch sei. Sollten bei irgendwem Zweifel an der historischen Dimension dieses Nachmittags aufgekommen sein, räumte Glatzel selbst diese kurz vor Schluss nach herrlicher Vorlage von Debütant Elijah Krahn (siehe unten) aus. Sein vierter Treffer zum 5:0 (88.), nachdem sich der eingewechselte Manuel Wintzheimer dann auch noch zwischenzeitlich in die Torjägerliste eintragen durfte, war endgültig historisch.

Vier Tore in einem Auswärtsspiel war noch keinem Hamburger Fußballer seit Einführung der Bundesliga 1963 gelungen. Zur Vollständigkeit halber sei allerdings erwähnt, dass dieses Kunststück Horst Hrubesch (1982 beim 6:1 gegen Düsseldorf) und Manfred Pohlschmidt (1966 beim 8:0 gegen den KSC) im Volkspark auch vollbracht hatten.

„Die ersten 13 Minuten waren der Wahnsinn"

„Die ersten 13 Minuten waren der Wahnsinn. Das passiert nicht jeden Tag. Es ist noch etwas surreal“, sagte der geschaffte Viererpacker nach der Partie. „Vier Tore habe ich noch nie gemacht im Profibereich. Ich werde sicher ein, zwei Tage brauchen, um das zu begreifen.“

Ähnlich dürfte es Glatzel beim Blick auf die Tabelle gehen. Denn nach dem herausragenden Sieg gegen den Immer-Noch-Tabellenführer ging fast ein wenig unter, dass durch das Hamburger Schützenfest die Tabellenspitze der Zweiten Liga so eng zusammengerückt ist wie wahrscheinlich noch nie nach 21 Spieltagen. Zwischen dem taumelnden Ersten aus Darmstadt (39 Punkte) und dem kommenden HSV-Gegner Heidenheim (37 Punkte) auf Platz sechs liegen gerade mal zwei mickrige Zähler. Dazwischen der kriselnde FC St. Pauli (38) und die mutmaßlichen Schwergewichte aus Bremen (38), vom HSV (37) und von Schalke (37). Was für ein Aufstiegskampf!

Walter: „Wir bleiben bei uns“

„Wir sind gut beraten, auf uns zu gucken“, floskelte Walter nach der wohl besten Partie dieser Saison, die sogar noch deutlicher hätte ausfallen können. Glatzel und Kinsombi vergaben weitere Großchancen. „Dass es in der Tabelle so ausgeglichen ist, mag für die anderen wichtig sein. Wir bleiben bei uns.“

Dabei ließ sich Walter auch nicht von den zuletzt gezeigten Leistungen und Ergebnissen aus der Reserve locken. Verdient das Derby beim ehemaligen Tabellenführer St. Pauli gewonnen, verdient gegen Bundesligist Köln ins Pokalviertelfinale eingezogen und hochverdient dem nächsten Tabellenführer „einen Schlag in die Fresse“ (O-Ton von 98-Trainer Torsten Lieberknecht) verpasst – viel besser hätte der HSV nicht aus der Winterpause kommen können.

„Mit Wind können wir gut umgehen“

Ob dieser stürmische Sieg seiner Mannschaft Rückenwind für den Rest der Saison geben würde? „Mit Wind können wir gut umgehen. Das hat man ja heute gesehen“, witzelte Trainer Walter in Anspielung auf Sturmtief „Roxana“, das am Sonntag über Hessen zog. „Wir haben schon viel mit Gegenwind und jetzt auch mit Rückenwind gearbeitet. Mit Wind kennen wir uns nun bestens aus“, sagte Walter.

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Und Glatzel? Der hatte eine gute Stunde nach der Partie einen windgeschützten Platz im Mannschaftsbus gefunden. Und noch wichtiger: Er hatte sich auf dem Platz neben ihm auch ein adäquates Plätzchen für seinen größten Schatz gesichert. Und das Foto vom angeschnallten Spielball neben Glatzel ging dann sogar noch schneller um den Globus als er zuvor für seine ersten drei Tore gebraucht hatte.

Darmstadt 98: Schuhen – Bader (78. Ronstadt), P. Pfeiffer, Isherwood (46. Riedel), Holland – Gjasula (70. Schnellhardt) – Skarke, Kempe, Marvin Mehlem (46. Honsak) – L. Pfeiffer (46. Seydel), Tietz.

HSV: Heuer Fernandes – Heyer, Vuskovic, Schonlau, Muheim – Meffert – Kinsombi (86. Krahn), Reis (78. David) – Jatta (78. Tschakqetadse), Glatzel, Alidou (70. Wintzheimer).

Schiedsrichter: Matthias Jöllenbeck (Freiberg am Neckar). Zuschauer: 1000.

Tore: 0:1 Glatzel (5./Foulelfmeter), 0:2 Glatzel (10.), 0:3 Glatzel (13.), 0:4 Wintzheimer (76.), 0:5 Glatzel (88.). Gelbe Karten: Gjasula (8). Statistik: Torschüsse: 15:14, Ecken: 9:5, Ballbesitz: 40:60 Prozent, Zweikampfquote: 42:58 Prozent, Passquote: 76:82 Prozent, Fouls: 13:5., Laufleistung: 113,7:118,4 Kilometer.