Hamburg/Rostock. Rostocks Sportvorstand und Ex-HSV-Torwart Martin Pieckenhagen stellt sich vor Bakery Jatta und spricht über einen möglichen Einspruch.
An den 15. Juli vor fünf Jahren dürfte sich Bakery Jatta noch sehr gut erinnern. Der HSV traf im ersten Härtetest der Vorbereitung auf die Saison 2016/17 im mit 11.200 Zuschauern gut gefühlten Ostseestadion auf Hansa Rostock – und der damalige Youngster lief erstmals von Beginn an für den HSV auf. Nach dem 0:0 und Jattas ersten 45 Minuten, nach denen das Talent mit Irokesenhaarschnitt gegen Finn Porath ausgewechselt wurde, schrieb das Abendblatt: „Auf Rechtsaußen zeigte der 18-jährige Gambier, dass er ein spannendes Projekt, aber noch lange keine Verstärkung ist.“
Fünfeinhalb Jahre später ist aus dem spannenden Projekt längst eine echte Verstärkung geworden. In 115 Ligaspielen erzielte Jatta 15 Tore, gemeinsam mit Ersatztorhüter Tom Mickel ist er dienstältester Hamburger und Fanliebling. Und wenn am kommenden Sonntag (13.30 Uhr/Sky) dieser Bakery Jatta erneut auf Hansa Rostock treffen wird, dann gibt es sogar Grund zum Feiern: Es wird Jattas 100. Zweitligaspiel sein.
Ist Bakery Jatta gar nicht Bakery Jatta?
Wirklich zum Feiern ist dem mittlerweile 23-Jährigem aber wohl nicht zumute. Am Montag hatte die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Jatta erhoben: „Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat gegen den Fußballprofi des Hamburger Sportvereins ,Bakery Jatta’, bei dem es sich nach Auffassung der Behörde um Bakary Daffeh handelt, Anklage vor dem Jugendrichter des Amtsgerichts Hamburg-Altona erhoben“, hieß es in einer Mitteilung.
Die Verantwortlichen des HSV brauchten nach der Schock-Nachricht nicht lange, um sich klar zu positionieren. Sportvorstand Jonas Boldt, Sportdirektor Michael Mutzel und Trainer Tim Walter sind sich einig, Jatta auch nach den erneuten Beschuldigungen weiterhin einzusetzen.
Wegen Jatta: Legt Rostock Protest ein?
Die spannende Frage, die sich nach den Geschehnissen aus der Vergangenheit stellte, lautet: Wie wird Gegner Hansa Rostock reagieren? Vor zweieinhalb Jahren, als es erstmals Wirbel um einen mutmaßlichen Identitätsschwindel gab, legten der 1. FC Nürnberg, der KSC und der VfL Bochum umgehend Protest gegen die Wertung der HSV-Spiele mit Jatta ein.
Ein vergleichbarer Vorgang scheint dieses Mal allerdings eher unwahrscheinlich. Zwar will Hansas Sportvorstand Martin Pieckenhagen in der aktuellen Ausgabe des Abendblatt-Podcasts „HSV – wir müssen reden“ einen möglichen Protest auf mehrfache Nachfrage nicht kategorisch ausschließen, sagt aber auch, dass er und Hansa sich nicht „mit irgendwelchen Regressforderungen von Clubs“ beschäftigen würden: „Darauf verschwende ich keine Energie. Der Fall Jatta wird auch ohne den FC Hansa Rostock entschieden werden.“
Ihm täte vor allem Jatta selbst leid. „Ich finde es verrückt, dass der Junge immer wieder damit konfrontiert wird, obwohl es schon öfters hieß, dass alles abgeschlossen sei. Es kommt dann immer wieder einer um die Ecke. Für den Jungen ist das nicht einfach. Der Junge soll seine Ruhe haben und sich auf Fußball konzentrieren.“
Fall Jatta: HSV-Gegner haben zwei Tage Zeit für Protest
Mit Abpfiff der Partie hätten Rostocks Verantwortliche ohnehin nur 48 Stunden Zeit, um formal Einspruch gegen die Wertung der Partie einzulegen. Bis dahin ist aber noch nicht einmal die Frist verstrichen, bis zu der Jattas Anwalt Thomas Bliwier Einspruch gegen die Anklage der Staatsanwaltschaft legen kann. „Mir fehlt die sachliche Kenntnisse, aber da scheine ich nicht der einzige zu sein. Sonst könnte man das Ding ja irgendwann mal beenden“, sagt Pieckenhagen, der die Möglichkeit eines Protestes bislang noch gar nicht in Erwägung gezogen hat. „Das ist ein Thema, mit dem wir uns gar nicht beschäftigen.“
Im Podcast verrät der frühere Hansa-Keeper, der zwischen 2001 und 2005 das HSV-Tor hütete, welche Themen ihn derzeit wirklich umtreiben. Und das ist in erster Linie das erste Nordderby zwischen dem HSV und Hansa seit 2008. Pieckenhagen ist als Gegnerscout noch regelmäßig im Volkspark zu Besuch, zuletzt sah er das 1:1 gegen Düsseldorf. Entsprechend ist die Rückkehr für ihn auch keine Nostalgiereise. „Ich bin kein Fußballtourist. Mir geht es darum, Punkte zu holen. Ich bin ähnlich angespannt wie ich es als Spieler auch war. Diese Eigenschaft habe ich mir erhalten“, sagt Pieckenhagen, der Hansa vor zwei Jahren übernahm und den Club nach neun Jahren zurück in die Zweite Liga führte.
HSV-Rivale St. Pauli solidarisiert sich mit Bakery Jatta
Hinter Pieckenhagen liegen schwere Monate der Corona-Pandemie – und jetzt auch wieder vor ihm. Die Begrenzung der Zuschauerzahlen treffen Hansa hart. Bislang hat der Club im Ostseestadion einen Schnitt von rund 15.000. Und während diese Zahl in Hamburg und beim HSV ab sofort noch zugelassen ist, durfte Rostock schon am vergangenen Sonnabend gegen Ingolstadt nur noch 1000 Zuschauer ins Stadion lassen. „Das ist für uns ein absolutes Minusgeschäft“, sagt Pieckenhagen. Hansa würde somit ein höherer sechsstelliger Betrag pro Heimspiel fehlen. „Wir sind krisenerprobt. Das wird uns nicht umhauen.“
Weitere Jatta- und HSV-Berichte:
Dank einer Impfquote von 100 Prozent in der Mannschaft kann sich Hansa voll auf das Ziel Klassenerhalt konzentrieren. Dem HSV traut Pieckenhagen den Aufstieg zu. „Es ist durchaus möglich, dass der HSV am Ende mit oben steht. Die Statistik sagt ja auch, dass die Herbstmeister in der Regel große Probleme haben, aufzusteigen.“ Pieckenhagen glaubt aber, dass der Herbstmeister und Hansa-Rivale FC St. Pauli bis zum Ende unter den ersten drei bleibt.
Und der Kiezclub? Der gab am Dienstag noch ein klares Statement ab. St. Paulis Worte auf Twitter zum Fall Jatta: „Kein Mensch ist illegal“.