Hamburg. Nach dem Nordderby ist vor dem Pokal-Hit gegen den Karlsruher SC. Ex-HSV-KSC-Werderaner verrät, wer am Mittwoch gewinnen wird.
Das Wochenende im Hause Todt darf durchaus als außergewöhnlich bezeichnet werden. Zum einen, weil Tochter Lotta und Ehefrau Imke coronabedingt in den Keller der Familienresidenz in Potsdam verbannt wurden. Zum anderen, weil der frühere Hamburger, Bremer und Karlsruher Jens Todt in den Tagen zwischen den HSV-Spielen gegen Werder am Sonntag und gegen den KSC am Mittwoch (18.30 Uhr/Sky) natürlich ganz genau das Geschehen im Volkspark verfolgte.
Hauptgesprächsthema ist und war aber auch bei den Todts in diesen Tagen der Krieg in der Ukraine. „Gerade meine Kinder nehmen dieses Thema stark wahr“, sagt Todt am Montagmorgen im Abendblatt-Podcast und berichtet von Tochter Lotta, die das Fach „Soziale Arbeit“ studiere, gerade erst ihre Bachelorarbeit abgegeben habe und nun in der Nachbarschaft die Flüchtlingshilfe und Hilfslieferungen organisiere. „Auch wir überlegen, ob wir möglicherweise jemanden aufnehmen aus der Ukraine“, sagt Todt.
Wie soll man in diesen Tagen über Fußball sprechen? Einerseits schwierig, glaubt der frühere HSV-Sportchef, der mittlerweile die Seiten gewechselt hat und als Spielerberater arbeitet. Andererseits sollte man in Deutschland auch nicht die Opferrolle annehmen. „Es gibt viele Leute, denen es viel schlechter geht“, betont Todt. „Wir sind in der komfortablen Situation, dass wir möglicherweise helfen können. Wir sind nicht direkt bedroht.“
Todt versucht ehemalige Mitspieler aus der Ukraine zu kontaktieren
Doch auch er hat am Wochenende versucht, Kontakt zu alten Mitspielern aus der Ukraine herzustellen. Mit Viktor Skripnik zum Beispiel. Oder mit Juri Maksimov. Mit beiden hat Todt 1999 für Werder Bremen den DFB-Pokal gewonnen. 6:5 nach Elfmeterschießen hieß es am Ende gegen Bayern München. Und so schlimm die Ereignisse in der Welt in diesen Tagen auch sein mögen, so sehr glaubt Todt daran, dass sich niemand schämen muss, wenn man versucht, sich beim Fußball ein wenig abzulenken.
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Er selbst hat das Nordderby am Sonntag im Fernsehen verfolgt („ein tolles Spiel“), will das Pokalspiel seiner beiden Ex-Clubs am Mittwoch nicht verpassen und hat sich sogar vorgenommen, den HSV am Sonnabend beim Spitzenspiel der Zweiten Liga in Nürnberg live vor Ort zu sehen. „Der HSV hat eine Riesenchance“, sagt Todt, der das sowohl für die Liga als auch den Pokal meint. „Ich bin schon als Zehnjähriger mit dem HSV-Trikot in Nienburg rumgelaufen. Mein größter Wunsch ist es, dass der HSV aufsteigt und Pokalsieger wird.“
Todt hatte im Werder-Spiel ein Deja-vu-Erlebnis mit HSV-Profi Jonas Meffert
Doch Fußball ist natürlich kein „Wünsch dir was“. Das weiß auch Todt, der durch die Geschehnisse des Nordderbys ein 2015er-Déjà-vu hatte. „Es tat mir wahnsinnig leid für Jonas, dass er wieder angeschossen wurde“, sagt Todt, der sich natürlich an das Spiel und die entscheidende Szene zwischen dem KSC und dem HSV vor sieben Jahren erinnerte.
Damals wurde Jonas Meffert in der letzten Minute aus kurzer Distanz ebenfalls am Arm angeschossen. Marcelo Díaz trat anschließend zum Freistoß an – und der Rest ist Geschichte. „Das war natürlich genauso wenig ein Handspiel wie am Sonntag gegen Bremen. Ich finde es absurd, welche Elfmeter gegeben werden“, sagt Todt, der seinerzeit Sportchef beim KSC war. „Diese beiden Dinger kannst du nicht pfeifen. Es ist wirklich bitter, wenn du dadurch das Spiel verlierst. Wir haben ja heute schon die Situation, dass Verteidiger ihre Hände auf den Rücken legen, um nicht angeschossen zu werden. Das ist lächerlich.“
Nur eine Stunde nach dem Podcast-Gespräch steht Jonas Boldt bei herrlichem Winterwetter am Trainingsplatz und springt seinem Vorvorgänger zur Seite. „Auch ich bleibe dabei, dass man diesen Strafstoß nicht geben darf“, sagt der HSV-Sportvorstand. Im Rahmen seiner Funktion bei der DFL-Kommission Fußball sieht Boldt sogar grundsätzlichen Handlungsbedarf. Erst in der vergangenen Woche habe sich die Kommission digital getroffen, bei der nächsten Zusammenkunft wolle er das umstrittene Thema „Hand im Strafraum“ erneut ansprechen. „Wir brauchen da eine klare Regel“, sagt Boldt. „Ich bin ein Freund davon, wenn wir dahin kommen, dass Hand immer Hand ist. Dann würde es natürlich auch mehr Elfmeter geben. Solange wir diese Regel nicht haben, ist eine Szene wie mit Meffert kein Handspiel.“
Für HSV-Vorstand Boldt kommt KSC-Spiel zur richtigen Zeit
Abgehakt. Knapp 75 Stunden lang haben die HSV-Protagonisten nun Zeit, das 2:3 gegen Werder, die strittigen Situationen und all die anderen Geschehnisse vom Wochenende hinter sich zu lassen. „Das Schönste ist, wenn man drei Tage nach so einer Niederlage wieder spielen kann“, sagt Boldt. „Ich bin optimistisch. Die Einstellung stimmt.“
Das sieht auch Ex-Sportchef-Kollege Todt ganz ähnlich. „Trotz des Dämpfers gegen Werder sehe ich den HSV ganz klar als Favoriten. Die Chance ist so groß wie nie. Die muss man unbedingt nutzen, mit allem, was man hat.“
Einer der größten Trümpfe des HSV sei aus Todts Sicht ein alter Bekannter von ihm: Trainer Tim Walter. Er hat unter Todt den Nachwuchs beim KSC trainiert, später hat er seinen Wechsel zum Rekordmeister nach München ausverhandelt. „Es gibt wenige Trainer im deutschen Fußball, die sich so klar zu einer bestimmten Spielweise bekennen. Er zieht das einfach durch“, lobt Todt. „Der HSV braucht als Trainer eine gestandene Persönlichkeit, die nicht so leicht umzupusten ist.“
Sollten Walter und der HSV ihrer Favoritenrolle am Mittwoch gerecht werden, würde nur noch ein Sieg bis Berlin fehlen. Und Todt hofft sehr, dass den Hamburgern 23 Jahre nach seinem Pokaltriumph Ähnliches gelingen kann. „Ich habe tolle Erinnerungen an den Abend, weil unsere Tochter Lotta kurz vorher geboren wurde und es ein cooles Foto gibt von ihr im DFB-Pokal. Man braucht auch mal ein Angeber-Foto“, sagt der 52-Jährige – und wird fast ein wenig wehmütig. Aus seinem kleinen Pokalbaby ist heute eine junge Frau geworden, die aus dem eigenen Keller die Fluchthilfe für die Ukraine organisiert. „Es gibt Wichtiges als Fußball“, sagt Todt. Auch in dieser Woche.