Hamburg. Der HSV gibt viel Qualität ab – und holt Talente als Ersatz. Ein interessanter Weg, den man eigentlich schon eher gehen wollte.
Vor neun Jahren hat Jürgen Klopp im Hörsaal der Uni Köln einen Vortrag gehalten. Der damalige Trainer von Borussia Dortmund war gerade mit dem BVB zum zweiten Mal in Folge deutscher Meister geworden und hatte im Pokalfinale den FC Bayern München mit 5:2 besiegt. Klopp erklärte sein Erfolgsrezept und nannte nicht etwa seine Kreativspieler wie Shinji Kagawa, Mario Götze oder Ilkay Gündogan. Klopp sagte: „Der beste Spielmacher ist das Gegenpressing.“
HSV geht mit Transfers ins Risiko
HSV-Trainer Tim Walter und die sportlichen Verantwortlichen um Jonas Boldt und Michael Mutzel dürften sich an Klopp und seinen Weg erinnert haben, als sie nun entschieden, trotz der Abgänge von Aaron Hunt, Jeremy Dudziak und Amadou Onana mit dem jungen Engländer Tommy Doyle (19/Manchester City) nur noch ein Talent für das zentrale Mittelfeld zu leihen.
Junge Balleroberer wie Ludovit Reis (21) und Anssi Suhonen (20) sollen an der Seite von Sonny Kittel, dem letzten verbliebenen Künstler, künftig das Spiel machen. Es ist eine gleichsam mutige wie riskante Entscheidung des HSV, seinen Qualitätsverlust trotz nur sechs Punkten in fünf Spielen letztlich mit zwei geliehenen Talenten auszugleichen. Der Club macht damit deutlich: Der Aufstieg bleibt ein Ziel, ist aber kein Muss mehr. Denn dafür bräuchte diese Mannschaft Zeit.
Entwicklung: HSV hält verspätet Wort
Ähnlich wie der FC St. Pauli hat der HSV auf dem Transfermarkt vor allem eines getan: vernünftig gewirtschaftet. Ein Transferüberschuss von rund vier Millionen Euro ist ein gutes Ergebnis, geht aber auch mit einem Substanzverlust einher. Anders als vor einem Jahr spricht der HSV nicht mehr nur von Entwicklung, er handelt endlich auch so.
Nach langer Zeit zeigen die Neuzugänge im Volkspark zudem, dass der Club über eine breit aufgestellte Scoutingabteilung verfügt. Neun Spieler aus acht Ländern hat der HSV verpflichtet. Zwar kannte man Robert Glatzel (27/Cardiff City) und Reis (FC Barcelona) bereits aus Deutschland – von Doyle, Mikkel Kaufmann (20/FC Kopenhagen), Marko Johansson (23/Malmö FF), Miro Muheim (23/FC St. Gallen) und Mario Vuskovic (19/Hajduk Split) hatten dagegen vermutlich nur absolute Transferinsider gewusst.
Warum St. Pauli besser als der HSV ist
Dass St. Pauli auf dem Transfermarkt einen scheinbar besseren Job gemacht hat, liegt allein an der Tatsache, dass der Club weniger machen musste. Die Säulen (Becker, Kyereh, Burgstaller) sind geblieben.
Weil St. Pauli im Winter ruhig geblieben ist, hat der Kiezclub jetzt ein eingespieltes Team mit einem gestärkten Trainer Timo Schultz. Und mit Daniel-Kofi Kyereh hat St. Pauli ein Jahr nach dessen ablösefreier Verpflichtung den aktuell wohl besten Spielmacher der Liga, der seinen Club zu einem der Aufstiegskandidaten macht. So einen hätte sicher auch der HSV gerne gehabt. Klar ist: Ganz ohne Kreative wäre auch Klopp nicht Meister geworden.