Hamburg/Kiel. Kiels Lee hat sich bereits entschieden. Und Thioune schwärmt von dem Koreaner, den er in der kommenden Saison trainieren will.
Als Jae-sung Lee das bislang letzte Mal beim HSV im Volksparkstadion war, machte er nach dem Spiel ein Erinnerungsfoto. „Wer weiß, wann ich mal wieder hier bin. Deswegen habe ich das Bild als Andenken gemacht“, schrieb Lee auf seiner Instagram-Seite zu dem Foto, das ihn an der Mittellinie Arm in Arm mit dem früheren HSV-Talent Young-jae Seo zeigt. Es war der 9. Juni 2020, ein Montagabend. Holstein Kiel hatte gerade ein 3:3 in Hamburg geholt.
Kiel lehnte Zwei-Millionen-Offerte vom HSV für Lee ab
Was Lee zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Hätte er in der vierten Minute der Nachspielzeit nicht noch den Ausgleich erzielt, wäre das Volksparkstadion womöglich in dieser Saison sein neues Zuhause geworden. So aber fehlten dem HSV am Ende der Saison nicht nur die zwei Punkte zur Rückkehr in die Bundesliga, sondern auch das nötige Geld, um Wunschspieler Lee nach Hamburg zu holen.
Das vorläufige Ende der Geschichte: Der HSV gab trotzdem noch ein Angebot von zwei Millionen Euro ab, doch Kiel lehnte ab und verzichtete auf die letzte Chance, für den Südkoreaner noch eine lohnenswerte Ablösesumme zu erzielen.
Transfer? Lee will zum HSV wechseln
Neun Monate später, wieder ein Montagabend, ist Lee erneut zu Gast im Volksparkstadion. Wieder geht es im Allgemeinen um entscheidende Punkte im Aufstiegsrennen – und wieder geht es im Speziellen um die persönliche Zukunft von Lee.
Der wohl beste Spieler der Zweiten Liga hat bereits vor Monaten bekannt gegeben, dass er in der kommenden Saison unbedingt erstklassig spielen möchte. Nach Abendblatt-Informationen am liebsten mit dem HSV in Hamburg. Bleibt nur ein Haken: Dafür müsste der HSV an diesem Montagabend gegen Kiel und Lee gewinnen. Denn: Bei einem Holstein-Sieg wären die beiden Aufstiegsränge eins und zwei für den HSV bereits sechs Punkte entfernt.
Lee spricht weder Deutsch noch Englisch
Grund genug also, um vor dem brisanten Nordduell das Gespräch mit Holsteins Topspieler zu suchen, was sich allerdings aus einem ganz profanen Grund als schwierig herausstellt. Der 28-Jährige spricht auch nach zweieinhalb Jahren an der Förde weder Deutsch noch Englisch. „Eine Fremdsprache zu lernen ist nicht so einfach. Und ehrlich gesagt habe ich das Lernen auch ein wenig schleifen lassen“, gibt er im Interview zu, das von Kiels Dolmetscherin übersetzt wird. „Ich muss mich bemühen, weiter zu üben. Wichtig ist aber, dass wir uns auf dem Platz verstehen, und das klappt.“
Nun, auf dem Platz verstehen sich Lee und seine Kieler Kollegen in diesem Jahr sogar besser als erwartet. In der Theorie könnte Holstein an diesem Montag mit einem Kantersieg gegen den HSV sogar Tabellenführer Bochum überholen, zudem steht Kiel im Pokal-Halbfinale. „Ehrlich gesagt hätte ich nicht gedacht, dass wir so eine Saison spielen. Aber je mehr wir zusammen spielten und miteinander gearbeitet haben, ist das positive Gefühl gewachsen“, sagt Lee. „Nun bin ich sehr zuversichtlich, dass wir bis zum Ende dabeibleiben und eine große Chance haben, wenn wir genau so weitermachen.“
Nicht nur der HSV: Zwei Bundesligisten wollen Lee
Und dann? Selbst bei einem Aufstieg in die Bundesliga gilt es als äußerst unwahrscheinlich, dass Kiel Lee doch noch halten kann. „Wir alle wissen nicht, was die Zukunft bringt. Ich konzentriere mich auf das Hier und Jetzt und auf unsere Ziele mit Kiel, und ich will dafür immer das Beste geben, was möglich ist“, sagt der Umworbene höflich. Neben dem HSV soll er auch das Interesse von Werder Bremen und 1899 Hoffenheim auf sich gezogen haben. Zudem sollen seiner englischen Agentur Unique Sports Management Anfragen von der Insel vorliegen, die nach dem Brexit allerdings wenig Chancen auf Erfolg haben.
Der Hintergrund: Ein Wechsel in die Premier League ist für ausländische Spieler schwieriger denn je. Ein kompliziertes Punktesystem (abhängig auch von Erfolgen und Ligazugehörigkeit des abgebenden Clubs) entscheidet nun darüber, ob der Profi eine Arbeitsgenehmigung in Großbritannien bekommt.
HSV-Profi Klaus Gjasula, der für Albanien spielt und mit Paderborn in der Bundesliga war, würde demnach gerade noch eine Genehmigung bekommen. Bei Lee, der zwar gemeinsam mit Superstar Heung-min Son Deutschland bei der WM 2018 rausgeschmissen, aber noch nie in Europa in einer Ersten Liga gespielt hat, sieht das wohl anders aus.
Lee erkundigte sich bei Son über den HSV
Und genau das ist auch Hamburgs Chance. Seit Monaten stehen die Verantwortlichen des HSV, Lee und dessen Berater in Kontakt. Lee hat sich sogar schon beim früheren HSV-Star Son nach dem Club und der Stadt erkundigt. „Son ist ein Freund von mir. Er hat mir erzählt, dass der HSV ein toller Verein mit einem großartigen Umfeld und Hamburg eine tolle Stadt ist“, lobt Lee, der offenbar ganz genau bei Sons Schwärmereien über die alte Wahlheimat zugehört hat. Nach Abendblatt-Informationen will Lee notfalls auch bis Mitte Mai warten, um im Aufstiegsfall zum HSV zu wechseln.
Im Idealfall würde er dann auf einen Trainer treffen, der sich am Tag vor dem Spitzenspiel als echter Fan geoutet hat. „Ich bin auch Fußballer und sehe Lee gerne kicken. Ich mag den Spieler“, sagte HSV-Coach Daniel Thioune am Sonntag. „Er hat eine unfassbar hohe Ballqualität, ist ein Ausnahmespieler in dieser Liga.“
Ein Ausnahmespieler, der vom Sommer an definitiv nicht mehr in dieser Liga spielen wird. Doch die Frage nach einem möglichen Wechsel nach Hamburg umdribbelt der Regisseur so elegant wie sonst seine Gegenspieler. „Die Zukunft ist noch vollkommen offen. Ich bin jetzt Spieler der KSV, und für mich zählen nur die restlichen Spieltage“, sagt er.
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Lee träumt vom Pokal-Finale mit Kiel
Bis zum Sommer ist ja auch noch viel Zeit. Möglicherweise sogar so viel Zeit, dass sich für den Südkoreaner auch noch die Möglichkeit ergibt, ein ganz besonderes Foto im Berliner Olympiastadion zu schießen.
Der Einzug ins Pokal-Halbfinale sei jedenfalls schon mal ein „historisches Ereignis für den Verein“, sagt Lee, der in dieser Saison nur zu gerne weiter an der Geschichtsschreibung des KSV werkeln würde. „Natürlich wäre das Finale in Berlin ein großer Traum für uns alle und ein ganz besonderer Moment für mich persönlich.“
Von der kommenden Saison an will Lee eine neue Geschichte schreiben.