Grassau. Das sind die Baustellen im HSV-Trainingslager. Die größte Lücke klafft im Sturm. Tim Walter muss auf einige Profis verzichten.

Die Passagiere des Lufthansa-Fluges LH 2059 staunten nicht schlecht, als plötzlich der HSV-Tross mit Spielern, Trainerteam, Medienvertretern und Sportdirektor Michael Mutzel an Gate C15 am Hamburger Flughafen auftauchte. Aufmerksame Beobachter zückten ihr Smartphone, machten ein schnelles Foto. Doch dann legte sich die Freude wieder.

Bevor der Flieger mit einer Verspätung von 17 Minuten um 13.32 Uhr nach München abhob, mussten fünf Passagiere draußen bleiben – weil der Flug überbucht war. Vom HSV war jedoch keiner betroffen, und so ging es nach erfolgreicher Landung in der bayrischen Landeshauptstadt mit dem bereits am Airport wartenden Mannschaftsbus weiter nach Grassau am Chiemsee.

Mit 24 Profis ist der HSV ins Trainingslager nach Oberbayern gereist. Darunter befinden sich auch die vier Torhüter Daniel Heuer Fernandes (28), Tom Mickel (32), Leo Oppermann (19) und Steven Mensah (18) aus der U19. Auch Mittelfeldtalent Anssi Suhonen (20) und Abwehrspieler Maximilian Rohr (26) aus der U21 dürfen sich während des neuntägigen Trips bei den Profis beweisen.

Die HSV-Sorgen im Trainingslager

Trainer Tim Walter entschied sich bewusst dagegen, die derzeit überschaubare Trainingsgruppe mit Nachwuchsspielern aufzufüllen. Und das, obwohl ihm derzeit wegen angeschlagener Profis nicht alle Feldspieler zur Verfügung stehen. In der vergangenen Woche waren es phasenweise nur acht bis elf.

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In Grassau könnte sich die Lage fast täglich bessern. Den Anfang machte Jeremy Dudziak (Sprunggelenk), der bei der ersten Einheit am Dienstagabend wieder ins Mannschaftstraining einstieg. Miro Muheim (Zerrung) und Sebastian Schonlau (Wade) sollen im Laufe der Woche folgen. Robert Glatzel und Amadou Onana sind wegen ihrer Corona-Infektionen dagegen gar nicht erst mitgereist.

HSV: So kämpft Walter gegen Personalmangel

Optimal ist die personelle Situation daher nicht. „Ich brauche kein ,elf gegen elf’ im Training. Die strukturellen und prinzipiellen Dinge kriege ich auch in kleineren Gruppen vermittelt. Das geht oft sogar besser“, kontert Walter, der die bislang holprige Vorbereitung sportlich nimmt. „Es ist egal, ob einer noch taktisch eine Position auffüllt. Ich kann auch mit 14 oder 17 Spielern trainieren.“

Sonny Kittel (l.) und Jan Gyamerah bei ihrer Ankunft im HSV-Trainingscamp in Grassau am Chiemsee.
Sonny Kittel (l.) und Jan Gyamerah bei ihrer Ankunft im HSV-Trainingscamp in Grassau am Chiemsee. © Witters | Unbekannt

Einer der Neuen trainierte erstmals am späten Dienstagabend in Grassau mit seinen neuen Mitspielern. Ludovit Reis (21) darf sich seit Montag HSV-Profi nennen. Nach einer tagelangen Hängepartie hat sein bisheriger Club, der FC Barcelona, die letzte noch fehlende Unterschrift kurz vor dem Start ins Trainingslager nachgereicht.

„Ich hätte gerne schon eher mit den Jungs trainiert“, sagte Reis, der im Hotel Grand Elysée auf den Vollzug des Transfers wartete und schließlich persönlich bei den Katalanen nachhakte. „Ich habe Barça darum gebeten, sich zu beeilen. Jetzt bin ich hier, das ist das Wichtigste. Es fühlt sich gut an.“

Reis: HSV ist ein Erstligaclub

Diese sich gut anfühlenden Worte sagt Reis auf Englisch. Im Gegensatz zu vielen seiner Landsleute spricht der niederländische U-21-Nationalspieler kaum Deutsch. Doch das soll sich ändern. „Ich werde auf jeden Fall wieder Deutschunterricht nehmen“, verspricht der in der vergangenen Saison an den VfL Osnabrück verliehene Mittelfeldspieler, der sein Schuldeutsch, das er in Barcelona verlernte, wieder auffrischen will.

Denn Reis hat nicht ohne Grund einen Vierjahresvertrag in Hamburg unterschrieben. „Der HSV ist von seinen Möglichkeiten her ein Erstligaclub. Ich will irgendwann dort mit ihm spielen“, sagt der Youngster, der Andrés Iniesta als sein Vorbild und die Sechs als seine Lieblingsposition bezeichnet. HSV-Trainer Walter plant mit Reis allerdings auf der Acht, wie der Coach kürzlich sagte. „Ich kann überall im Mittelfeldzentrum spielen. Nur ein Rechtsverteidiger bin ich bestimmt nicht“, scherzt Reis.

HSV-Transfers in Grassau?

Der Niederländer soll nicht der letzte Neuzugang bleiben. Möglicherweise wird der HSV noch während des Trainingslagers einen neuen Spieler verpflichten. Bedarf gibt es genug: ein Torwart, ein Flügelspieler und ein Stürmer. Zudem wurde Jan Gyamerah vom Club ein Wechsel ans Herz gelegt. Geht der Rechtsverteidiger, müsste Ersatz gefunden werden.

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„Wir verfügen mit dem jetzigen Kader über ein gutes Potenzial, aber die Transferperiode geht ja noch eine Weile“, sagt Walter. Ein Fragezeichen, und damit die nächste Trainingslager-Baustelle, steckt weiter hinter der Zukunft der beiden Youngster Onana oder Josha Vagnoman.

Neue HSV-Rolle für Jatta?

Ein Verkauf eines der beiden Toptalente soll dem HSV die erhofften Millionen bringen, mit denen der Kader weiter umstrukturiert werden könnte. So hätte der Club im Fall der Fälle ein größeres Budget, um noch einen Torjäger zu verpflichten. Auf dieser Position klafft momentan die größte Lücke – und das nicht erst seit des corona-bedingten Ausfalls von Neuzugang Glatzel.

Mangels Alternativen zieht Walter inzwischen sogar in Erwägung, Flügelstürmer Bakery Jatta ins Angriffszentrum zu ziehen. Einen Kandidaten für 24 Saisontore, die Simon Terodde in der abgelaufenen Saison geschossen hatte, wird aber auch Walter aus Jatta nicht mehr formen.

Einen ersten Vorgeschmack, welche Rolle Jatta in Walters System einnehmen soll, können sich die Fans am Mittwoch beim Testspiel gegen den österreichischen Zweitligisten Wacker Innsbruck (16 Uhr/HSVtv) machen. Auch Reis wird dann sein Debüt geben.