Hamburg. Der neue Coach setzt in seiner ersten Woche viele neue Reize. Gute Chancen hat nun auf einmal Talent Jonas David.
Am Ende der Einheit fehlte ein Ball. Das Training des HSV war am Dienstag bereits vorbei und die ersten Spieler auf dem Weg Richtung Kabine. Doch Tim Walter pfiff seine Profis zurück und schickte sie zur Ballsuche geschlossen in den Wald. Nach zehn Minuten kam das Team erfolglos zurück. Bislang mussten die jungen Spieler in solchen Fällen die Kosten ersetzen.
Walter will künftig alle Spieler zur Verantwortung ziehen. Eine kleine Geschichte, die beispielhaft demonstriert, wie der neue HSV-Trainer Veränderungen vornimmt. Kleinigkeiten, die in der Gesamtheit eine große Wirkung haben sollen. Und die zeigen, wie der 45-Jährige tickt.
Wer Walter in seiner ersten Woche beobachtet hat, der merkt schnell, auf welche Dinge er Wert legt: Disziplin, Respekt und Kommunikation. Als ein Spieler bei einer der ersten Einheiten am Morgen drei Minuten zu spät zum Treffpunkt erschien, musste er für drei Minuten ins Eisbecken. Eine beispielhafte Bestrafung, die Walter im täglichen Training immer wieder als Mittel nutzt, um die Spieler zu reizen.
Walter nimmt seine Spieler auch in den Arm
Walter kann hart sein, aber er nimmt seine Spieler auch in den Arm. So spürte er schnell, dass er Xavier Amaechi auf seinem Weg nicht mitnehmen kann. Der 20 Jahre junge Engländer vermittelte ihm den Eindruck, dass er Heimweh habe. Und so entschieden sich die sportlichen Verantwortlichen beim HSV dazu, den Flügelstürmer erneut zu verleihen.
Amaechi, der vor zwei Jahren als 18-Jähriger für 2,5 Millionen Euro vom FC Arsenal aus London kam, konnte die Erwartungen bislang nicht erfüllen. Der HSV arbeitet daran, für den U-20-Nationalspieler einen Verein in seinem Heimatland zu finden.
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Für Walter war schnell klar, dass der HSV in der Personalie Amaechi handeln müsse, nachdem er mit dem Spieler gesprochen hatte. Wer den Trainer und sein Handeln verstehen will, muss vor allem die eigene Geschichte des Fußballers Tim Walter kennen. Der gebürtige Bruchsaler war als Spieler unter anderem beim ASV Durlach in der Verbandsliga Baden aktiv.
Neue HSV-Chance für David unter Walter?
Ein technisch hochveranlagter Fußballer, der aber nicht immer die nötige Bereitschaft mitgebracht hat. Auch, weil er nicht den Trainer hatte, der diese von ihm einforderte. Diese Erfahrung hat ihn geprägt. Walter will heute der Trainer sein, den er selbst nie hatte. Der fordert und fördert. Der ständig mit seinen Spielern kommuniziert. Der von ihnen jeden Tag einfordert, sich entwickeln zu wollen. Der sie auffordert, aktiv und mutig zu sein, Fehler zu machen. Einer seiner Grundsätze als Trainer: Mut ist das Vertrauen in die eigene Stärke.
Genau diese Eigenschaft will Walter auch beim HSV leben. Für manch einen Spieler bietet sich dadurch eine große Chance. Jonas David etwa darf sich nach den ersten Trainingseinheiten Hoffnungen machen, im vierten Anlauf endlich eine wichtige Rolle bei den Profis zu spielen. Walter ist angetan, wie sich der junge Innenverteidiger im Training präsentiert. Der 21-Jährige könnte dank seiner Fähigkeiten im Spielaufbau einer der Gewinner der gerade erst begonnenen Vorbereitung werden.
Warum HSV-Coach Walter in Stuttgart scheiterte
Wie viel Mut aber traut sich Walter am Ende wirklich? In Stuttgart wurde ihm sein riskanter Fußball schnell zum Verhängnis. „Ich bin ein anderer Trainer geworden“, sagt Walter nach seiner eineinhalb Jahre langen Pause. Der ehemalige Kieler und Stuttgarter Coach hat gewartet, bis der passende Club kam. Einen Abstiegskandidaten zu trainieren, kam für ihn nicht infrage. Dazu passt seine Spielidee nicht.
Diese will er zwar modifizieren. Grundsätzlich verändern aber will er sie nicht. Schon in seiner Zeit als Jugendtrainer beim Karlsruher SC orientierte sich Walter an den ganz Großen. Seinen Ballbesitzfußball schaute er sich vor allem beim damaligen Barcelona-Trainer Johan Cruyff ab. Aber auch die defensive Organisation von Arrigo Sacchi beim AC Mailand imponierte ihm. Sein aktuelles Vorbild ist der Fußball der italienischen Nationalmannschaft.
HSV-Coach Walter flunkerte über Urlaub
Verbessern will sich Walter auch in der Außendarstellung. Was über ihn geschrieben wird, ist ihm eigentlich egal. So sagte er bei seiner Vorstellung bewusst, dass er erst einmal in den Urlaub fahre. Eine Aussage, die ihm nach der langen Pause nicht gerade positiv ausgelegt wurde. Walter aber war fast durchgehend im Volkspark – weil er ungestört arbeiten wollte. Trotzdem will er künftig nach außen klarer kommunizieren, weil er sich in der Vergangenheit oft auch falsch verstanden fühlte.
Sein großes Selbstbewusstsein, das ihm nachgesagt wird, wurde in der ersten Woche aber schon deutlich. Dass er es hasst zu verlieren, werden die HSV-Fans noch merken. Und dass er jeden Spieler gleich behandelt und keine Eitelkeiten duldet, werden auch die nächsten Neuzugänge erfahren, wenn mal wieder ein Ball in den Büschen verschwindet.