Hamburg. Toptalente aus dem Land des Weltmeisters stehen auch in Hamburg hoch im Kurs. Was die HSV-Scouts in dieser Richtung unternehmen.
Am Donnerstag schalten sich die HSV-Scouts zusammen. Abteilungsleiter Claus Costa und seine sieben festangestellten Mitarbeiter verbinden sich zu einer digitalen Konferenz. Thema: die U-21-Europameisterschaft, die am Mittwochabend mit der Gruppenphase vorläufig endete, ehe Ende Mai die Endrunde startet.
Die acht Scouts haben sich die 16 Teams der Vorrunde aufgeteilt, jeder hat sich um zwei Mannschaften gekümmert. Am Donnerstag werden die Ergebnisse ausgewertet. 21 Spieler pro Team, 336 Scouting-Berichte. Besprochen werden hauptsächlich die Spieler, die im Sommer als Neuzugang für den HSV infrage kommen.
HSV konzentriert sich auf junge Franzosen
Ein besonderer Blick geht dabei auf die Auswahl Frankreichs. Das U-21-Team des Fußball-Weltmeisters von 2018 ist die international wohl spannendste Mannschaft Europas in diesem Jahrgang. Mit einem Gesamtmarktwert von 457 Millionen Euro ist sie in jedem Fall die teuerste.
Unter den fünf wertvollsten Spielern der EM-Vorrunde befinden sich gleich vier Franzosen, angeführt von Eduardo Camavinga (18/Stade Rennes) und Jules Koundé (22/FC Sevilla), beide mit einem Marktwert von 60 Millionen Euro. Zum Vergleich: Ridle Baku (22/Wolfsburg) ist der einzige DFB-Akteur in der Liste der 50 wertvollsten EM-Spieler. Mit einem Marktwert von 22 Millionen Euro liegt Baku auf Platz 16.
HSV bei Kiki Kouyaté am Ende chancenlos
Mit solchen Zahlen und Werten hat der HSV in seinem dritten Jahr in der Zweiten Liga nichts mehr zu tun. Trotzdem ist auch der Transfermarkt in Frankreich in den vergangenen Jahren immer stärker in den Fokus der HSV-Scouts gerückt. Genauer gesagt die Ligue 2. Die zweite französische Spielklasse gilt aufgrund ihrer großen Auswahl an Toptalenten bei vielen Scouts als hochinteressanter Markt – auch im Volkspark.
Nach Abendblatt-Informationen hatte sich der HSV im vergangenen Jahr um Kiki Kouyaté von ES Troyes bemüht. Durch den verpassten Aufstieg hatten die Hamburger im Rennen um den 23 Jahre alten Innenverteidiger aus Mali aber keine Chance mehr. Kouyaté wechselte schließlich für 3,5 Millionen Euro zum FC Metz.
HSV erstellt 30 Profilberichte pro Woche
„Wir haben das Problem, dass wir nicht wissen, in welcher Liga wir nächste Saison spielen. Dementsprechend ist es nicht so einfach, sich mit potenziellen neuen Spielern zu einigen“, sagte HSV-Chefscout Claus Costa im Gespräch mit dem Abendblatt. Nicht in dieser Woche, sondern im vergangenen Juni drei Spieltage vor Saisonschluss. Doch das Problem aus dem Sommer 2020 ist beim HSV auch das Problem im April 2021.
Im Hintergrund der Kaderplanung läuft ein aufwendiger Scouting-Prozess mit mehr als 30 Profilberichten pro Woche, die fortlaufend aktualisiert werden. Durch die Ungewissheit der Ligazugehörigkeit bleibt den HSV-Verantwortlichen derzeit aber kaum etwas anderes übrig, als an den sogenannten Schattenkadern zu arbeiten.
Costa sagte dazu: „Grundsätzlich versuchen wir möglichst zweigleisig zu planen, dass wir unsere Schattenkader so auslegen, dass wir in jedem Regal vorbereitet sind, was die Qualität und die Profile angeht.“
BVB sticht HSV bei Toptalent Coulibaly aus
Doch nicht nur die fehlende Planungssicherheit erschwert dem HSV die Bedingungen. Auch der geringe finanzielle Spielraum macht es den Kaderplanern kaum möglich, um die Toptalente der U-21-EM mitzubieten. Schon gar nicht um Spieler, die langfristige Verträge haben.
Umso wichtiger ist das Netzwerk der Verantwortlichen. So soll Chefscout Costa vor einiger Zeit von einem Berater den Tipp bekommen haben, dass im Sommer der Vertrag des französischen Toptalents Soumaila Coulibaly (17) aus dem Nachwuchs von Paris St.-Germain ausläuft.
Das Problem in Corona-Zeiten: Aufgrund des frühen Saisonabbruchs in den Jugendligen 2020 gab es kaum aktuelle Videobilder des Innenverteidigers. So fuhr Costa persönlich nach Paris und bemühte sich nach einem Live-Spiel um Coulibaly. Doch Costa war nicht der einzige Interessent. Auch Borussia Dortmund wusste um die Vertragslage und stach den HSV aus. Coulibaly, der sich vor Kurzem einen Kreuzbandriss zuzog, wechselte ablösefrei zum BVB. Gegen so einen namhaften Konkurrenten hat der HSV im Normalfall keine Chance.
HSV hatte auch Wamangituka auf dem Zettel
Die Hamburger leiden heute noch darunter, dass sie mit ihrem Fokus auf junge Toptalente zu spät angefangen haben. 2014 nach der Ausgliederung hätte der HSV die Möglichkeit gehabt, das frische Geld vermehrt in Potenzialspieler zu investieren. So wie es der VfB Stuttgart nach der Umwandlung in eine AG mit den Millionen von Mercedes gemacht hat.
Stuttgarts Sportdirektor Sven Mislintat holte 2019 etwa Silas Wamangituka aus der zweiten französischen Liga vom FC Paris. Den heute 21 Jahre jungen Flügelstürmer aus dem Kongo hatte auch der ehemalige HSV-Chefscout Johannes Spors auf dem Zettel. Finanziell konnten die Hamburger aber schon da nicht mithalten. Wamangituka ging für acht Millionen Euro zum VfB. Mittlerweile ist er 25 Millionen Euro wert.
"Es geht um die Supertalente aus den Banlieues"
Trotz der hohen Preise will der HSV den französischen Markt weiter im Auge behalten. Die Auswahl der Toptalente ist groß, vor allem im Raum Paris. Der deutsche Trainer Peter Zeidler (FC St. Gallen), der vor drei Jahren noch den französischen Zweitligisten FC Sochaux trainierte, erklärt die Vielzahl an Talenten auch mit den sozialen Aufstiegsmöglichkeiten in den sozial schwachen Banlieues von Paris, in denen junge Fußballer gezielt gesichtet und rekrutiert werden.
„Es geht genau um diese Jungs, die Supertalente aus den Banlieues. Die meisten haben afrikanische Wurzeln und verfügen genetisch bedingt über wahnsinnige Fähigkeiten in der Athletik und Schnelligkeit“, sagte Zeidler mal in einem Interview.
Lesen Sie auch:
- Interesse von Schalke 04? Das sagt HSV-Stürmer Terodde
- HSV wollte Nmecha schon zweimal zurück nach Hamburg holen
Der HSV wird mit seinen Scouts weiter versuchen, auch den französischen Markt im Blick zu behalten. Damit es mit einem Transfer klappt, muss aber zunächst noch eine Hürde erklommen werden: der Aufstieg in die Bundesliga.