Hamburg. Nach zehn Jahren können Fußballerinnen aus Volkspark zurück ins Profigeschäft. Relegationshinspiel gegen Turbine Potsdam am Sonntag.
Es dauert nur wenige Minuten, ehe Anne van Bonn an den Landungsbrücken genauso ein Touristenmagnet ist wie der Alte Elbtunnel oder die Hafenbarkassen. Die Fußballerin steht direkt am Kai und lässt einen Ball auf ihren beiden Füßen tanzen. Einmal, zweimal, fünfmal, zehnmal. Die Touristen, die es sich auf der Treppe der Brücke Nummer zehn gemütlich gemacht haben, sind begeistert. Dazu feuert der Fotograf die 36-Jährige noch zusätzlich an: „Ein bisschen höher“, ruft er – und van Bonn gehorcht und kickt den Ball hoch in die Luft und fängt ihn direkt neben der Elbe mit ihrem rechten Fuß wieder auf.
Anne van Bonn ist lange genug im Geschäft dabei, um zu wissen, dass Frauenfußball auch Spektakel sein kann. Die Wahlhamburgerin hat 2004 im U-19-WM-Finale vor 42.000 frenetischen Fans in Thailand gespielt, sie stand vor 23.000 Zuschauern und Zuschauerinnen im Champions-League-Finale, und sie war im ausverkauften DFB-Pokalendspiel in Köln dabei.
HSV: Fußballerinnen wollen Geschichte schreiben
Nach Kerstin Garefrekes ist sie mit 332 Bundesligaspielen (für Duisburg, Leipzig, Gütersloh, Sand) die Profispielerin mit den meisten Bundesligaspielen überhaupt. Nun, an den kommenden beiden Sonntagen, stehen ihre beiden letzten Spiele als aktive Fußballerin auf dem Programm – in den Relegationsspielen gegen Turbine Potsdam II zur Zweiten Liga will sie nicht mehr und nicht weniger als mit dem HSV Frauenfußball-Geschichte schreiben.
„Wir können einen historischen Fehler korrigieren“, sagt sie wenig später, als sie sich im nahe liegenden Beachclub Strand Pauli einen Cappuccino bestellt. Mit „wir“ meint sie sich, ihre Mannschaft und vor allem den HSV. Ziemlich genau zehn Jahre ist es her, dass die damalige Vereinsführung entschied, die HSV-Frauen wegen dem Vernehmen nach fehlender 100.000 Euro abzumelden. „Der Vorstand bedauert sehr, die Bewerbung aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen für die Saison 2012/13 zurückgeben zu müssen“, erklärte damals HSV-Chef Carl Jarchow.
Aus für Frauenmannschaft wegen finanziellen Gründen
Nur ein Jahr nach der Heim-WM von Deutschlands Fußballfrauen war die Entscheidung des HSV verheerend für die gesamte Entwicklung des deutschen Frauenfußballs. „Ich habe den Prozess der Abmeldung nur aus der Ferne mitbekommen, aber für mich war es schockierend, dass ein großer Club wie der HSV aus finanziellen Gründen seine erste Frauenmannschaft abmeldet“, sagt van Bonn. „Die Zahlen, die damals kursierten, empfand ich einfach nur als traurig.“
Um van Bonns Enttäuschung zu verstehen, muss man wissen, woher der Frauenfußball in Deutschland eigentlich kommt. Während im WM-Jahr (der Herren) natürlich und berechtigterweise auch die Situation von Frauen in Katar kritisch thematisiert wird, vergessen viele, dass es vor 1982 auch in Deutschland noch keine Frauennationalmannschaft gab. Erst 1970 wurde Frauenfußball überhaupt offiziell vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) erlaubt.
HSV-Vorstand steht hinter den Frauen
In den 1990ern und 2000ern war „Frauenfußball made in Germany“ ein Gütesiegel, ehe man nach der WM im eigenen Land die weitere Entwicklung komplett verschlief. „Vor rund zehn Jahren hätte der DFB die Lizenzvereine der Herren-Proficlubs ein wenig anstacheln müssen, auch Frauenfußball zu unterstützen“, sagt van Bonn im szenischen Beachclub. „Diese Chance hat der DFB fahrlässig verpasst.“
Der Niedergang des deutschen Frauenfußballs geschah in etwa parallel zum Niedergang des HSV-Frauenfußballs. Erst 2020 entschied das HSV-Präsidium, dass sich der HSV des Projekts Frauenfußball wieder annehmen sollte. „Die Verantwortlichen um Marcell Jansen, Jonas Boldt und Horst Hrubesch stehen total hinter uns und fördern den Bereich weiter“, sagt van Bonn. „Der Erfolg spricht für sich.“
Relegationshinspiel gegen Berlin
Am Sonntag gewannen die HSV-Frauen bereits das Hamburger Pokalfinale gegen den ETV vor 1800 Zuschauern in Barmbek, nun soll an den kommenden beiden Wochenenden der ultimative Beweis angetreten werden, dass der HSV eben doch aufsteigen kann. Der Gegner wie bei den Männern: Berlin – zumindest fast. Bei der zweiten Mannschaft von Turbine Potsdam erwarten die HSV-Verantwortlichen erneut knapp 2000 Zuschauer und vor allem rege Beteiligung der HSV-Ultras.
„Der Support der aktiven Fanszene war gigantisch“, sagt van Bonn über die Unterstützung der Treusten der Treuen vom HSV, die bereits beim Pokalfinale eine Choreo bastelten und lautstark anfeuerten. „Beim Pokalfinale mussten die Jüngeren plötzlich lernen, wie man mit Lärm der Fans auf dem Feld kommuniziert.“
Van Bonn half junge Mannschaft zu entwickeln
Neben ihr gibt es nur noch eine HSV-Ü-30-Spielerin, der Rest der Rasselbande gehört in die Kategorie Kindergarten. „Natürlich hat eine 16-Jährige in der Kabine andere Themen als eine 36-Jährige“, sagt die Norderstedterin, die aber genau diese Voraussetzungen vor ihrem Wechsel vor zwei Jahren so spannend fand. „Für mich war nach meiner Karriere in der Bundesliga klar, dass ich auf gutem Niveau weiterspielen wollte. Der Spaß sollte dabei im Vordergrund stehen – und ich wollte helfen, eine junge und talentierte Mannschaft zu entwickeln“, sagt die Bauingenieurin. „In den Gesprächen mit dem HSV habe ich schnell gemerkt, dass das passt.“
Van Bonn ist zwar erst zwei Jahre beim HSV, kennt den Club, das Umfeld und die Vereinsführung aber mittlerweile schon gut genug, um vor den beiden Relegationsspielen auf die Euphoriebremse zu treten. Zur Zielsetzung nach einem möglichen Aufstieg sagt sie: „Es kann in der Zweiten Liga nur um den Klassenerhalt gehen. Die Entwicklung ist richtig gut, aber darauf dürfen wir uns nicht ausruhen.“
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90.000 Zuschauer wie in den vergangenen Monaten mehrfach im Camp Nou vom FC Barcelona wird es ihrer Meinung nach so bald auch nicht in Deutschland geben. „Die Entwicklung in Barcelona ist schön, spiegelt aber leider nicht den Status quo des Frauenfußballs in Europa wider“, sagt sie und erwähnt Borussia Dortmund als Beispiel. Ihre Lieblingsmannschaft bei den Männern ist bei den Frauen eine peinliche Geschichte. Aktuell spielen die Borussinnen in der Kreisliga.
Auf eine ähnliche Liga in Hamburg hat van Bonn auch als Zuschauerin keine Lust. Sie will aufsteigen – und dann aufhören. „Ab nächstem Monat werde ich nur noch pöbelnde Zuschauerin sein.“ Natürlich in der Zweiten Liga.