Hamburg. Handball-Torhüter des HSV Hamburg spricht im Interview über seine 25. Profi-Saison, Momente des Zweifels und seine Zukunft.

An seiner linken Augenbraue hängt noch ein Schweißtropfen, als sich Johannes Bitter nach dem Training am Hallenrand auf eine Bank fallen lässt. Vor dem Saisonstart bei der SG Flensburg-Handewitt an diesem Donnerstag (19 Uhr/Dyn) ließ Trainer Torsten Jansen die Bundesligahandballer des HSV Hamburg (HSVH) noch einmal schuften.

Zum Auftakt direkt bei einem Meisterschaftsfavoriten antreten zu müssen, stört Torhüterikone Bitter nicht. Die SG hat sich im Sommer mit Weltklassespielern wie Kay Smits und Simon Pytlick verstärkt. „Auf dem Papier ist das eine Mannschaft, die die Meisterschaft wieder nach Flensburg holen kann. Unsere Chance wird sein, dass sie noch nicht so eingespielt sind“, sagt Bitter. Im Abendblatt spricht der Weltmeister von 2007 über seine Karriere, Momente des Zweifels und die Zukunft.

Handball: Bitter steht vor seiner 25. Profi-Saison

Hamburger Abendblatt: Herr Bitter, Sie werden in eineinhalb Wochen 41 Jahre alt, gehen jetzt in Ihre 25. Saison als Handballprofi. Warum tun Sie sich das noch an?

Johannes Bitter: Ich habe immer gesagt, dass ich sofort aufhöre, wenn ich keinen Spaß mehr habe. Und abgesehen vom Warmmachen habe ich immer noch riesigen Spaß. Es ist geil, wie momentan das Feuer in mir zurückkommt, weil ich mich immer mehr bewegen kann. Das tut gut, weil die Reha-Phase in diesem Sommer die härteste Zeit meiner bisherigen Karriere war.

Sie haben sich 2012 das Kreuzband gerissen, auch 2018 hatten sie mit einem Bandscheibenvorfall monatelang gefehlt. Nun wurden Ihnen Anfang Mai bei einer Arthroskopie freie Gelenkkörper im rechten Knie entfernt. Wieso war diese Verletzung besonders hart für Sie?

Bitter: Die Zeit war nicht nur körperlich, sondern auch psychisch extrem anstrengend. Ich musste sehr geduldig sein, das Knie ruhig halten, immer wieder mit Fingerspitzengefühl agieren. Ich wollte oft mehr machen, als mir die Therapeuten erlaubt haben. Das hat mir mental ziemlich zugesetzt, ich habe ständig die Wochen gezählt, bis ich wieder den nächsten Schritt in der Belastung gehen konnte.

Torhüter Bitter durchlebte harte Reha-Zeit

Haben Sie zwischenzeitlich daran gezweifelt, wieder zu alter Stärke zurückzufinden?

Bitter: Definitiv gab es kurze Momente, in denen ich mich gefragt habe, ob alles wieder so funktionieren wird wie vor der Operation Vor allem als ich wieder in die Belastung in der Halle gegangen bin, habe ich teilweise gedacht: Boah, da funktioniert ja gar nichts. Ich konnte nicht mehr springen, musste dann in den Schmerz reintrainieren. Ich habe es auch nicht wahrhaben wollen, dass ich diese lange Zeit in der Reha brauche, habe mir Sorgen gemacht, ob das Bein wieder richtig gut funktioniert und ich es wieder so austrainieren kann. Geholfen hat mir, dass ich mich auf die kleinen Zwischenerfolge konzentriert und von Woche zu Woche gedacht habe. So habe ich wieder einen klaren Kopf bekommen.

Im Training oder Spiel sind Sie mit Abstand der Lauteste, wirken noch topmotiviert.

Bitter: Wenn das so wirkt, ist das gut. Ich weiß, dass ich das für mein Spiel brauche. Auch uns als Mannschaft tut das gut, mal lauter zu werden. Wir sind eine super Mannschaft, haben viel Spaß miteinander. Ich bin auch sehr harmoniebedürftig, aber das muss nicht hier in der Halle sein. Hier müssen wir uns auch die Wahrheit sagen und ehrlich miteinander sein.

Sie haben bisher 618 Bundesligaspiele gemacht, haben mit ihren Vereinen und der Nationalmannschaft viele große Titel gewonnen. Was treibt Sie noch an?

Bitter: Jeder Wurf auf mein Tor ist ein Duell. Auf die konzentriere ich mich, da will ich möglichst viele gewinnen. Es ist schon immer so gewesen, dass mich jedes einzelne dieser Duelle unglaublich gereizt hat. Natürlich geht es in einem Spiel um das große Ganze, um zwei Punkte nach 60 Minuten. Innerhalb dieses Spiels gibt es aber unzählige kleine Duelle, die ich einzeln betrachte. Daraus resultiert vermutlich auch mein Ehrgeiz.

Bestimmte Routinen entwickelt, um fit zu bleiben

Inwiefern mussten Sie sich in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten anpassen?

Bitter: Wenn ich merke, dass mir bestimmte Dinge guttun, verändere ich meine Routinen relativ schnell. Ich werde bis zum Ende dieser Saison mit Sicherheit nicht jede Handballeinheit mitmachen, weil ich weiß, dass ich das nicht brauche. Wenn ich wieder das Gefühl für mein Spiel habe, trete ich im Training lieber etwas kürzer und arbeite individuell im Kraftraum, um mich in die bestmögliche körperliche Verfassung zu bringen. Die Mobilität ist auch ein großes Thema für mich, da mache ich mittlerweile viel mehr Übungen als früher.

Viele Menschen fragen sich, wie man mit 40 Jahren noch seinen Fuß ans Ohrläppchen bringen kann, um einen Ball zu halten.

Bitter: In dem Punkt war ich früher schon mal besser (lacht). Ich habe aber auch gelernt, dass mein Spiel dadurch nicht besser wird. Es gibt andere Torhüter, zu deren Stil diese Fußabwehren gehören. Ich frage mich hingegen manchmal, wieso der Fuß den Ball da oben halten muss, wenn die Hand das auch kann. Da denke ich lieber effizient.

Inwiefern hat sich der Profihandball in den vergangenen 24 Jahren verändert?

Bitter: Als ich 1999 in Altjührden in der Zweiten Liga meine Profikarriere begonnen habe, waren die Spiele in erster Linie ein großes Ereignis für dieses kleine ostfriesische Dorf. Es gab aber keine nationale Aufmerksamkeit. Nachdem 2004 die Handball-Bundesliga GmbH (HBL) gegründet wurde, ist der Handball in allen Bereichen professioneller geworden. Der HBL setzt viel mehr Kapital um, sodass mehr Menschen mit diesem tollen Sport ihren Lebensunterhalt verdienen können. Im Zuge der Digitalisierung und voranschreitenden Vermarktung macht die Liga den Anschein, gut aufgestellt zu sein. Auch das Spiel an sich hat sich brutal weiterentwickelt. Im Laufe meiner Karriere hat sich die schnelle Mitte (sofortiger Anwurf nach einem Gegentor von der Mittellinie, die Red.) gebildet und gefühlt 15- mal weiterentwickelt. Heute ist man als Torhüter der erste Angreifer, es ist viel mehr Tempo im Spiel. Lange Zeit ging es auch eher darum, aus der Distanz Tore zu werfen, jetzt gibt es wieder mehr kleine, schnelle Spieler und viele Eins-gegen-eins-Situationen.

In der vergangenen Saison wurde der HSVH überraschend Siebter, hat sich nun mit Zoran Ilic und Tomislav Severec weiter verstärkt. Was ist in dieser Saison möglich?

Bitter: Wir müssen ehrlich und realistisch bleiben. Dazu gehört, dass wir zwar eine geile Saison gespielt haben, andere Teams uns aber auch die Möglichkeit dazu gegeben haben. Man wird uns in dieser Saison als Gegner noch ernster nehmen, wir haben ein wahnsinnig schweres Anfangsprogramm. Es kann durchaus sein, dass wir nach drei Spielen null Punkte haben und uns erst einmal von unten befreien müssen. Dem müssen wir uns bewusst sein. Ich traue uns aber wieder große Überraschungen zu, das hat man beim Testspielsieg gegen den THW Kiel am vergangenen Sonntag gesehen.

Neuzugänge bringen mehr Kadertiefe

Welche Entwicklungsschritte ist die Mannschaft in dieser Vorbereitung gegangen?

Bitter: Durch die Neuzugänge haben wir im Rückraum zwei weitere Akteure auf hohem Niveau. Das war wichtig, weil man in der vergangenen Saison gesehen hat, wie schnell sich Spieler verletzen können. Außerdem haben wir unsere Rückzugsbewegung verbessert, da wollen wir deutlich weniger Gegentore kassieren.

Sie haben mit dem HSV Handball vor zehn Jahren die Champions League gewonnen. Haben Sie das Ziel, noch einmal international zu spielen? Es wäre ein Kreis, der sich schließen würde.

Bitter: Mein Kreis ist schon mehrfach geschlossen (lacht). Nein, im Ernst: Für den Verein wäre der europäische Wettbewerb natürlich geil. Wenn es so kommt, würde ich mich auch freuen, aber wir müssen sportlich realistisch an die Aufgaben herangehen. Es wird bei unserem Auftaktprogramm schwer genug, uns von unten fernhalten. Europa ist also nichts, worüber ich mir intensiv Gedanken mache. Wir waren jetzt einmal nah dran, trotzdem ist das internationale Geschäft kein ausgegebenes Ziel. Vielleicht wäre die Belastung für mich mit den vielen Reisen auch zu groß. Unser Kader, unser Verein müsste sich auch noch an vielen Stellen weiterentwickeln, um da gut bestehen zu können.

Im kommenden Sommer kommt in Robin Haug ein neuer Torhüter, Sie duellieren sich in dieser Saison mit Jens Vortmann, dessen Vertrag 2024 ausläuft, um den freien Platz. Ihr Vertrag läuft noch drei Jahre, Sie könnten aber auch schon früher in die angedachte Position des Sportdirektors rutschen...

Bitter: Ich gehe völlig entspannt damit um. Es ist klar kommuniziert, dass sich im Laufe der Saison alle Gedanken darüber machen werden, was das Beste für den Verein ist. Die Vertragslage spricht für mich (lacht). Grundsätzlich bin ich aber nicht so emotional bei dieser Entscheidung. Ich wollte nach der Pleite des HSV Handball schon 2016 aufhören, habe dann aber in Stuttgart gemerkt, dass es mir guttut, nicht zu weit in die Zukunft zu blicken. Ich genieße jeden Moment, den mir der Handball gibt. Ich weiß, dass meine Karriere nicht ewig geht und es auch wehtun wird, wenn sie mal vorbei ist.

Was wird Ihnen nach der Karriere am meisten fehlen? Der Jubel nach einer Parade?

Bitter: Diese Ego-Momente auf dem Feld bekommt man im Alltag natürlich nicht. Ich kann meine Kinder zu Hause nicht dazu zwingen, mir zuzujubeln, weil ich gut gekocht habe (lacht). Diese Momente mit den Zuschauern fehlen jedem Profisportler irgendwann. Aber auch die Gemeinschaft mit den Jungs ist großartig. Hier fühlt sich jede Woche wie eine Klassenfahrt an, sodass ich häufig auch vergesse, wie alt ich schon bin. Es ist ein Privileg und Geschenk, hier noch mitzuspielen.