Kiel. Die Bundesliga-Handballer kassieren beim 28:40 beim THW Kiel die höchste Niederlage seit dem Aufstieg 2021.

Niklas Weller hatte sich am frühen Sonntagabend schon fast in Richtung Dusche verabschiedet, als er noch etwas klarstellen wollte. „Doch, natürlich ärgere ich mich maßlos“, sagte der Kreisläufer des HSV Hamburg (HSVH). „Es bringt aber nichts, wenn ich mich stundenlang auf­rege. Der eine oder andere inklusive mir wird sicherlich nicht gut schlafen.“

In den Minuten zuvor hatten Weller und seine Mitspieler die 28:40 (14:21)-Klatsche beim THW Kiel zwar mit hängenden Köpfen, aber überraschend nüchtern wegmoderiert, um die höchste Niederlage seit dem Aufstieg in die Handball-Bundesliga im Sommer 2021 nicht tiefer ins eigene Selbstverständnis kriechen zu lassen.

HSV Hamburg: Frust über Chancenlosigkeit

Sowohl Trainer Torsten Jansen („Ich kann meiner Mannschaft keine großen Vorwürfe machen“), Torhüter Johannes Bitter („Wir haben gesehen, dass der THW überlegen war, ein tolles Spiel gemacht hat und einen Kader hat, dem wir aktuell nicht standhalten können“) als auch Linksaußen Casper Mortensen („Wir müssen jetzt das Video anschauen und dann geht es weiter“) wussten die handballerische Lehrstunde schnell einzuordnen.

Der Frust über die eigene Chancenlosigkeit sollte die Vorbereitung auf das anstehende Auswärtsspiel bei der TSV Hannover-Burgdorf am Donnerstag (19.05 Uhr/Sky) nicht beeinträchtigen.

HSVH-Kapitän Niklas Weller (M.) hatte einen schweren Stand gegen Kiels Eric Johansson (l.) und Patrick Wiencek (r.).
HSVH-Kapitän Niklas Weller (M.) hatte einen schweren Stand gegen Kiels Eric Johansson (l.) und Patrick Wiencek (r.). © imago/Eibner | IMAGO/Eibner-Pressefoto/Marcel von Fehrn

HSV Hamburg in Kiel: Fatale Statistiken

Tatsächlich waren die Hamburger im Nordderby hoffnungslos unterlegen. Allein die Wurfquote des deutschen Rekordmeisters (82 Prozent) bewegte sich in einer anderen Sphäre als die des HSVH (52 Prozent). Erheblichen Anteil daran hatte THW-Keeper Niklas Landin. Der zweifache Welthandballer verzeichnete 17 Paraden (38 Prozent gehaltene Bälle), sein Gegenüber Johannes Bitter hielt lediglich fünf Bälle (15 Prozent). „Kiel hat exorbitant gut geworfen“, sagte Bitter.

Eine weitere Statistik, die den Unterschied zwischen den Mannschaften zeigte, ist die Anzahl der fernen Rückraumtreffer: Kiel 13, Hamburg null. „Das sind eigentlich Würfe, die ich gerne habe. Am Ende waren es aber gefühlt sieben oder acht Dinger, die über die Latte oder den Pfosten reingegangen sind“, sagte Bitter, der auch zu sehr allein gelassen wurde.

Kieler Würfe knallen wie Peitschenhiebe

Das Hamburger Blockverhalten wirkte zeitweise derart harmlos, als hätte sich das Kieler Zebra-Maskottchen „Hein Daddel“ mit seinem kegelförmigen Bauchansatz in ein HSVH-Trikot gequetscht. „Hinten haben wir über weite Strecken nicht zusammen verteidigt. Wir haben viele Tore kassiert, auf die wir uns eigentlich vorbereitet hatten“, sagte Weller.

Die kaum existente Gegenwehr nutzten Kiels Rückraumschützen Harald Reinkind, Eric Johansson (beide sieben Tore), Karl Wallinius (fünf) und Nikolay Bilyk (vier) gnadenlos aus, ihre Würfe schlugen unter dem Jubel der 10.285 Zuschauer in der Kieler Wunderino Arena wie Peitschenschläge neben Bitter ein.

Kiel gegen HSVH: Notfall auf der Tribüne

„Man muss aber auch mal sehen, was die Alternative ist“, sagte Weller. „Sie machen das Spiel unfassbar breit, allein kann man im Eins-gegen-eins teilweise nicht bestehen. Wenn dann jemand hilft, der Ball aber schnell weitergespielt und in den Giebel gehauen wird, muss man auch anerkennen, dass es einfach sehr gut gespielt ist.“

Auch von einer halbstündigen Verzögerung nach der Halbzeitpause ließen sich die Gastgeber nicht beirren. Auf der Tribüne war ein Zuschauer zusammengebrochen, musste notfallmedizinisch versorgt werden. Andere Besucher hatten zwischenzeitlich einen Sichtschutz um den Mann herum aufgebaut. Nachdem der Fan wieder bei Bewusstsein war, brachten ihn Notärzte ins Krankenhaus, die Mannschaften waren während der Unterbrechung in ihre Kabinen zurückgekehrt.

Eine nüchterne Erkenntnis für den HSVH

Das Spiel war zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon entschieden, etliche Hamburger Fehlwürfe hatten den THW vor der Pause enteilen lassen. „Wir haben uns eigentlich gar nicht so schlecht gefühlt. Durch die Fehlwürfe liegen wir dann aber schon sieben Tore zurück“, sagte Weller, der neben Mortensen bester Hamburger Werfer war (beide sieben Tore).

Als Rückschritt in der Entwicklung wollte der HSVH-Kapitän die Partie allerdings nicht sehen. „Das war heute ein Warnzeichen, dass es in vielen Situationen zu wenig ist. So einen Warnschuss nehme ich aber lieber in so einem Spiel als in einer Partie, in der wir auf Augenhöhe sind“, sagte Weller.

Am Ende blieb somit nur die nüchterne Erkenntnis, dass der HSVH mit dem Kader des THW schlichtweg nicht mithalten kann, das Ergebnis aber dennoch zu hoch ausgefallen war. „Man sollte niemals mit mehr als zehn Toren verlieren, egal wie schlecht man spielt“, sagte Mortensen.

Tore HSVH: Mortensen 7, Weller 7, Andersen 6, Valiullin 4, Baijens 2, Lassen 2. Tore TWH: Johansson 7, Reinkind 7, Wallinius 5, Øverby 5, Bilyk 4, Ekberg 3, Duvnjak 2, M. Landin 2, Wiencek 2, Battermann 1, N. Landin 1, Schwormstede 1.