Hamburg. Der Hamburger Königstransfer Casper Mortensen spricht im Interview über Druck, Verantwortung und seine Heimat Dänemark.
Casper Mortensen wählt die bequeme Variante, als er am Mittwochmittag zum Interviewtermin in einem Konferenzraum auf der Geschäftsstelle des HSV Hamburg (HSVH) erscheint. „Moin! Lasst uns dort auf das Sofa setzen“, sagt der 31 Jahre alte Däne zur Begrüßung.
Mortensen, kurze Sporthose, weiße Tennissocken, dunkle Kappe, war Ende Juli vom Champions-League-Sieger FC Barcelona nach Hamburg gewechselt. Auf seinem schwarzen Kapuzenpullover steht in weißen Versalien: „More than an athlete.“ Und genau das ist sein Anspruch.
Nachdem der Linksaußen in der Vorbereitung nach zwei schweren Meniskusverletzungen nur auf der Bank gesessen hatte, kämpfte er sich schrittweise in Richtung Startaufstellung. Seinem Knie gehe es wieder sehr gut, sagt er.
Wenn am Sonntag (16 Uhr/Sky) mit den Rhein-Neckar Löwen das erste Spitzenteam der Handball-Bundesliga in der Barclays Arena gastiert, will Mortensen von Anfang an dabei sein.
Hamburger Abendblatt: Herr Mortensen, in Barcelona haben Sie in der vergangenen Saison 61 von 61 Spielen gewonnen. In den ersten beiden Bundesligaspielen mussten Sie jetzt mit zwei Niederlagen klarkommen. Quälen Sie sich gern selbst?
Casper Mortensen: Natürlich nicht! Ich wusste, dass es hier anders als in Barcelona sein würde. Das ist jetzt ein neues Projekt, auf das ich große Lust habe. Wir haben eine junge Mannschaft mit einem Riesenpotenzial. Trotzdem brauchen wir Zeit, um eine Einheit zu werden. Wenn man jung ist, muss man aus seinen Fehlern lernen und es besser machen. In Barcelona ging es darum, die Champions League zu gewinnen. Hier geht es um etwas ganz anderes.
Ist dieses Entwicklungspotenzial ein Antrieb gewesen, um nach Hamburg zu kommen?
Es war eine tolle Möglichkeit, mit einer neuen Rolle nach Hamburg zu kommen und den Jungs bei ihrer Entwicklung zu helfen. Wir wissen alle, dass es in diesem Jahr ums Überleben geht. Natürlich macht es auch Spaß, 61 Spiele in Folge zu gewinnen. Das Projekt hier finde ich aber super cool, ich mag Herausforderungen.
War es Ihnen wichtig, wieder der Topstar einer Mannschaft zu sein? In Barcelona waren sie einer von vielen…
Ich mag es, Verantwortung zu übernehmen. Das habe ich schon in meiner ganzen Karriere gemacht, seit ich mit 16 Jahren in Kopenhagen in der Ersten dänischen Liga angefangen habe. In Barcelona hatte ich auch eine wichtige Rolle. Hier ist es natürlich noch ein bisschen mehr Verantwortung.
Als Sie 2015 das erste Mal nach Hamburg gekommen sind, hat Ihnen Ihr Landsmann Hans Lindberg sehr geholfen. Mit dem erst 22 Jahre alten Frederik Bo Andersen gibt es nun einen dänischen Neuzugang, der in einer ähnlichen Situation ist wie Sie damals. Wie können Sie ihm helfen?
Ich möchte allen helfen, nicht nur Frederik. Es ist mir wichtig, dass sich die Jungs ordentlich entwickeln. Trotzdem möchte ich persönlich auch Topleistungen zeigen, damit helfe ich der Mannschaft am meisten.
Um dann auch wieder in die dänische Nationalmannschaft zu kommen?
Ja, das ist auch ein Traum von mir. Ich war acht Jahre lang bei der Nationalmannschaft dabei, habe 2016 Olympia und 2019 die Weltmeisterschaft gewonnen. Natürlich habe ich wieder Bock.
Sie gelten als Weltklassespieler. Wo können Sie sich persönlich dennoch weiterentwickeln?
Man kann immer besser werden. Ich bin nie zufrieden, trainiere jeden Tag viel. Ich will eine Top-Wurfquote haben, schnell sein und in der Abwehr keine Fehler machen. Nach dem Spiel beim Bergischen HC hat mir unser Athletiktrainer gesagt, dass ich mit 28,5 km/h der schnellste Spieler auf der Platte war und mit 128 km/h den härtesten Wurf hatte. Damit war ich ganz zufrieden. Wenn ich einen Wurf aber nicht treffe, bin ich stinksauer. Nach dem ersten Spiel in Göppingen, in dem es nicht gut lief, habe ich im Training viele Würfe genommen und mit meinem Bruder, der mein Mentaltrainer ist, gesprochen. Beim BHC habe ich dann besser getroffen. Ich versuche immer etwas zu finden, das ich verbessern kann.
Wie hilft Ihnen ihr Bruder konkret?
Er ist zehn Jahre älter als ich und ehemaliger Fußballprofi. Er arbeitet in Dänemark mit vielen Topsportlern zusammen, aus dem Fußball, Handball, aber auch mit Einzelsportlern. Ich habe ihn und seine Erfahrung im Profisport immer schon genutzt. Wenn ich etwas brauche, spreche ich mit ihm. Er kennt mich total gut.
Wie viel Potenzial sehen Sie im mentalen Bereich?
Wenn man denkt, dass man schon gut ist, und sich damit zufrieden gibt, kommt sofort jemand und überholt einen. Man muss sich immer verbessern wollen, egal in welchem Bereich. Es geht immer darum, Vollgas zu geben.
Leistungssportler sind hohem Druck ausgesetzt. Wie gehen Sie damit um?
Ich liebe den Druck. Sonst wäre ich nicht hier.
Es gibt aber auch Weltklassesportler, die den Druck hassen…
Ich bin den Druck gewohnt, seitdem ich 16 Jahre alt bin. Das ist alles nur in deinem Kopf. Man muss den Druck akzeptieren, ohne Druck wäre es langweilig. Ich bin seit 15 Jahren Profi, ich habe schon fast alles erlebt. Es kann nichts mehr kommen, was mir Probleme bereitet. Nervosität ist okay, vor wichtigen Spielen darf man Schmetterlinge im Bauch haben. Am Ende aber macht Handball Spaß und wir sollten froh sein, dieses Privileg zu haben.
Mit dieser Einstellung hätten Sie es wahrscheinlich auch im Einzelsport weit geschafft. Warum sind Sie Mannschaftssportler geworden?
Ich liebe dieses familiäre Gefühl im Team. Man kann sich immer gegenseitig helfen. Bei Olympia in Rio haben wir im olympischen Dorf mit vielen anderen Athleten gesprochen. Die Tennisspielerin Caroline Wozniacki hat zu uns gesagt: ,Das muss so schön sein, dass ihr euch immer gegenseitig zur Unterstützung habt.‘ Da musste ich ihr recht geben. Im Individualsport ist man viel alleine.
Was machen Sie zusätzlich zum Mannschafts- und Mentaltraining noch, um sich zu verbessern?
Ich habe in Dänemark meine private Physiotherapeutin. Ich habe auch vor und nach dem Training immer fünf, sechs Dehnübungen, die ich mache. Ich komme oft als einer der Ersten und gehe als einer der Letzten. Ich bin Vollprofi und weiß, was ich brauche.
Zählt dazu auch die Nähe zu Dänemark, die Sie in Hamburg nun wieder genießen? Wie nah das dänische Volk zusammensteht, hat man zuletzt bei der Fußball-EM nach dem Kollaps von Christian Eriksen gesehen.
Das stimmt. Für mich ist die Nähe ein großer Vorteil. Meine Frau braucht nur zwei Stunden zu ihrer Arbeit als TV-Moderatorin. Für uns als Paar ist das viel besser, sie kann so öfter zu Hause sein und ist nicht auf das Flugzeug angewiesen. Auch meine Eltern können am Wochenende einfach zu den Spielen kommen. Das ist perfekt.
Woher kommt das Zusammengehörigkeitsgefühl in Dänemark und dieses Liebe zum Sport, die so viel größer scheint als in Deutschland?
Wir sind ein kleines Land mit knapp sechs Millionen Menschen. Wenn ein großes Event ansteht, stehen alle zusammen, in allen Sportarten. Als wir 2019 die WM in Dänemark gewonnen haben, war das unfassbar. Als Profiathlet wird man von den Leuten dort sehr respektiert. Auch als Dänemark 1992 die Fußball-EM gewonnen hat, war es total krass. Wir Dänen lieben einfach Sport.
Zu Ihrem Sport gehört leider auch der Schmerz. Wie gehen Sie damit um?
Natürlich muss man immer auf seinen Körper achten. Wenn man auf der Platte steht, sind die Schmerzen aber völlig egal.
Der enge Spielplan steht trotzdem oft in der Kritik. Wünschen Sie sich angesichts der hohen Belastung weniger Spiele? Oder sind Sie froh, dass Sie in Hamburg wenigstens die Champions League nicht mehr haben?
Definitiv. In Barcelona haben wir jeden dritten Tag gespielt. Das ist viel zu viel. Man kann fast gar nicht trainieren, macht nur taktische Einheiten. Krafttraining ist in der Saison fast nicht möglich. Dafür ist die Bundesliga deutlich anspruchsvoller als die spanische Liga, man muss hier in jedem Spiel Vollgas geben. Das Thema Überbelastung ist aber leider ein politisches Thema.
Was könnte man dagegen tun?
Das ist schwer, weil jeder Verein alle Spiele gewinnen will und die besten Spieler auf der Platte stehen sollen. Man könnte die Ligen verkleinern. Das wäre aber auch schwer umsetzbar. Am Ende müssten die Spieler öfters Nein sagen, auf Einsätze verzichten. Das macht aber niemand. Jeder will immer spielen.
Sie waren 2015 schon einmal in Hamburg, kennen deshalb den alten und seit einigen Wochen auch den neuen HSVH. Was hat sich in den fünfeinhalb Jahren verändert?
Ich weiß, dass alle den Verein mit den alten Zeiten vergleichen. Das ist hier aber ein neues Projekt, ein neuer Verein. Nur die Halle und die Geschäftsstelle sind gleich. In Hamburg habe ich damals schon viel Liebe gespürt. Als es vorbei war, war ich hier noch nicht fertig. Deshalb bin ich mit großer Liebe zurückgekehrt.
Wenn Sie am Ende auf die Saison zurückblicken werden: Womit wären Sie zufrieden?
Wenn wir es geschafft haben, in der Bundesliga zu bleiben. Und ich eine Topleistung in jedem Spiel abgeliefert habe.