Hamburg. Für den HSV Hamburg ist das Zweitligaspiel gegen Lübeck-Schwartau ein Duell mit der Vergangenheit. Was beide Clubs verbindet.

Nein, es ist nicht Kiel gegen Flensburg. Und dennoch ist es ein Handball-Hit im Norden. „Endlich wieder ein echtes Derby“, sagt Michael Friedrichs vor dem Zweitligaduell des VfL Lübeck-Schwartau heute (20 Uhr/Sportdeutschland.tv) beim Handball Sport Verein Hamburg. In den vergangenen Jahren hatte der Geschäftsführer der Ostholsteiner Fahrten nach Wilhelmshaven oder Rostock als Derbys verkaufen müssen. 58 Kilometer Luftlinie liegen zwischen der Lübecker Hansehalle und der Sporthalle Hamburg – zwischen Kiel und Flensburg sind es 68 Kilometer. Das Duell ist gleichzeitig eine Premiere. Um Punkte ging es zwischen beiden Teams noch nie. Die Verbindung Hamburg–Schwartau–Lübeck ist dennoch eine historisch einzigartige.

Vergangenheit: Am 1. Juli 2002 gehen die HSV-Handballer einst offiziell aus der SG Bad Schwartau-Lübeck hervor. Die Erstligalizenz des verschuldeten Pokalsiegers von 2001 geht an den HSV, Club und Spieler ziehen in die große Hansestadt, bespielen fortan die Color Line Arena (heute Barclaycard). „Der VfL ist Teil unserer Geschichte“, sagt HSVH-Vizepräsident Martin Schwalb heute. 2007 kooperieren beide Clubs „mehr schlecht als recht“, wie Jan Schult sagt. Der junge Hamburger kommt als Förderlizenzspieler unter Ex-HSV-Profi Thomas Knorr vornehmlich beim VfL zum Einsatz, schafft mit Schwartau 2008 die Zweitligarückkehr und wirft mit 32 Jahren noch heute seine Tore für den VfL aus dem linken Rückraum. Als Torschütze (7 Treffer) glänzt er 2010 im DHB-Pokal-Viertelfinale im bislang einzigen offiziellen Aufeinandertreffen. Der HSV gewinnt 36:29.

Als der ehemalige HSV nur noch auf Topstars setzt, Meisterschaft (2011) und Champions League (2013) gewinnt, läuft die Kooperation stillschweigend aus. Erst am 15. Januar 2016 wird es noch einmal brisant. Nach der Insolvenz des HSV soll die Zweite Mannschaft die Oberligameisterschaft für den Neustart in Liga drei holen. Der Auftakt beim 33:29 bei Schwartau II gelingt.

Gegenwart: „Für die Spieler von heute ist die Vergangenheit kein Thema“, sagt Torsten Jansen. Im Gegenteil: Man kennt sich. Jansen und sein Gegenüber Torge Greve sind sich „sehr sympathisch“, wie der VfL-Trainer sagt. „Wir liegen auf einer Wellenlänge“, ergänzt Hamburgs Coach. Ende Oktober gab es ein gemeinsames Training in der Hansehalle. „Eine interessante Option“, wie Jansen betont, der sich mit Zweitligakenner Greve (seit 2012 im Club) über kommende Gegner austauscht. Einige Spieler pflegen Freundschaften, etwa HSVH-Kreisläufer Marius Fuchs, der in der „Neuzeit“ als bislang Einziger die Seiten wechselte, Schwartau 2017 in Richtung Hamburg verließ.

Fans: Wenn Martin Schwalb von Überbleibseln der Vergangenheit spricht, dann meint er vor allem „die vielen Schwartauer Fans, die uns treu geblieben sind“. Das Derby ist mit 3570 Fans ausverkauft, darunter 300 Gästeanhänger. „Es gibt Gesichter, die habe ich schon in beiden Hallen gesehen. Die haben mich in Lübeck verabschiedet und in Hamburg begrüßt“, erzählt Fuchs. Mit 1960 Zuschauern verbuchte der VfL als letztjähriger Tabellendritter den höchsten Schnitt seiner Zweitligahistorie. Der HSVH, der für das Vorweihnachtsspiel am 23. Dezember in der Barclaycard Arena gegen TuSEM Essen bereits 7500 Karten abgesetzt hat, kam als Drittligameister auf 3600 Zuschauer im Schnitt. „Vor allem die Fans beider Vereine haben dieses schöne Derby verdient“, sagt VfL-Geschäftsführer Friedrichs. Die eigene Hansehalle soll im kommenden Jahr für zwei Millionen Euro ertüchtigt werden. Für eine neue Arena in Lübeck mit Platz für bis zu 4500 Fans liegt eine Machbarkeitsstudie vor. Der VfL denkt in Hamburger Verhältnissen.

Vereinspolitik und Finanzen: Den Erstligaaufstieg bis zum Jahr 2020 haben sie sich in Schwartau auf die Fahnen geschrieben. „Aber sportlich planbar ist das nicht“, sagt Friedrichs, „da kommt viel zusammen. Du musst frei von Verletzungen bleiben, brauchst auch das nötige Glück“. So dicht wie im vergangenen Jahr werden sie in dieser Saison wohl nicht mehr herankommen. Die notwendigen Grundlagen im Hintergrund sollen dennoch gelegt werden. „Viele Punkte meiner Agenda habe ich bereits umgesetzt, einige warten noch“, sagt Friedrichs. Finanzielle Altlasten habe man alle beseitigen können, die GmbH des „mittelständischen Unternehmens“ in eine Co. KG gewandelt. Das Einlagevermögen der Kommanditisten helfe „frisches Geld zu generieren“. Das „Bad“ ist aus dem Vereinsnamen verschwunden, stattdessen ist das klare Bekenntnis zu „Lübeck“ und möglichen Sponsoren in der Hansestadt hinzukommen. Als die Namensänderung im November öffentlich wurde, habe ihn kurz die Vergangenheit eingeholt. „Einige sagten: ,Jetzt verkauft der Friedrichs wieder die Lizenz‘. Aber das waren Unkenrufe einiger weniger“, erzählt der Manager.

Der Etat soll bei rund 1,2 Millionen Euro liegen – und damit unter dem des Aufsteigers aus Hamburg (geschätzt 1,8 Mio.). Der HSVH hat für die Zweitligarückkehr viel investiert, trägt noch Altschulden mit sich herum und muss sich finanziell wie sportlich erst einmal in der Zweite Liga etablieren. Dafür weist er strukturell mehr Professionalität auf. Stichwort Hauptamtlichkeit: Beim VfL ist etwa Geschäftsführer Friedrichs, im Hauptjob leitender Angestellter bei einem Energieunternehmen, nur nebenberuflich tätig. „Ein weiterer Punkt auf meiner Agenda“, sagt er, „das gilt es anzupacken“.

Personal: „Für mich sind beide Ausbildungsvereine“, sagt VfL-Urgestein Thomas Knorr, heute Trainer des Norddrittligisten HSG Ostsee Neustadt/Grömitz, als Außenstehender. Er meint: Wenn Erstligisten kommen, müssten beide Clubs ihre besten Spieler abgeben. Auf Hamburger Seite hat es nach recht kurzer Aufbauarbeit von zweieinhalb Jahren solche Begehrlichkeiten noch nicht gegeben. Schwartau musste schon schmerzhafte Abgänge verkraften. Als nächstes zieht es nach der Saison den bisherigen Toptorschützen Antonio Metzner (Rückraumrechts) zum Erstligisten HC Erlangen. Während der HSVH blutjung daherkommt, deutet sich beim VfL in den kommenden Jahren ein Umbruch an. „Aber auch den kann man gezielt angehen, steuern und lenken“, sagt Friedrichs. Die Vereinsziele – Erste Liga – seien dadurch nicht in Gefahr. Auf dem Transfermarkt seien sich beide Clubs bisher nicht in die Quere gekommen. Einen Toptransfer seitens des HSVH in Richtung Lübeck dürfte es angesichts des Hamburger Selbstverständnisses – immer besser werden – sowie der Gehälter beim HSVH – sehr gut –vorerst nicht geben.

Favoritenrolle: „Für 60 Minuten wird die Freundschaft ruhen“, sagt HSVH-Trainer Jansen, für den die abwehrstarken Schwartauer „leicht favorisiert sind, aber wir wollen die Initiative ergreifen“. Fehlen werden Philipp Bauer (Schulter) und Dominik Axmann (Muskelfaserriss) sowie nach erneuter Kniearthroskopie beim Spezialisten in Köln bis zum Jahresende Torhüter Justin Rundt. Wie zuletzt in Hagen (26:21) droht der Ausfall weiterer Spieler (Fuchs, Jan Forstbauer, Jan Kleineidam, Blazenko Lackovic, Kevin Herbst). „Wir wollen die Nummer eins im Norden bleiben“, sagt Schwartaus Schult – wohlwissend um die Auswärtsschwäche (nur ein Sieg aus sieben Spielen). Doch bei 58 Kilometern Luftlinie sollten Anreisestrapazen nicht als Ausrede herhalten müssen.