Hamburg. Auf ihre Anhänger können sich die HSV-Handballer in der schwersten Krise der Vereinsgeschichte verlassen. Auch heute in Lübbecke.

Der Bus nach Lübbecke war schon lange gebucht gewesen. Er bringt den HSV-Handball-Fanclub Störtebeker zu jedem Auswärtsspiel, bis hinunter nach Wetzlar, nur zu den noch weiter entfernten Spielorten geht es mit dem Zug. An diesem Mittwoch geht es zum Tabellenletzten, wo um 20.15 Uhr Anpfiff ist. Alle 50 Plätze im Bus sind ausgebucht, Absagen hat es trotz der Insolvenz der Profimannschaft keine gegeben. „Da sieht man mal, wie die Fans hinter dem HSV stehen“, sagt Peter Hausendorf, der Vorsitzende der Störtebeker.

Hausendorf ist ein Anhänger der ersten Stunde. Er war dabei, als die Handballer nach dem Umzug aus Bad Schwartau im Herbst 2002 ihre ersten Spiele in der Sporthalle Hamburg austrugen, weil die heutige Barclaycard-Arena noch nicht fertiggestellt war. Seither habe er vielleicht zehn Spiele verpasst. Der Fanclub, im Frühjahr 2003 gegründet, zählt heute knapp 250 Mitglieder. „Und ich darf behaupten, dass wir liquide sind“, sagt Hausendorf. Zu Saisonbeginn haben die Störtebeker Dauerkarten im Wert von 3000 Euro erworben und an soziale Einrichtungen weitergegeben, um ihrem Club zu helfen, der seit dem Rückzug auf Raten von Mäzen Andreas Rudolph immer tiefer in die Finanzkrise rutschte.

Genutzt hat es nichts. Am Dienstag vergangener Woche musste der HSV Insolvenz anmelden. Hausendorf hat dafür bei aller Solidarität nur bedingt Verständnis: „Es ist enttäuschend, was aufseiten der Geschäftsführung des HSV in den vergangenen Jahren passiert ist. Am meisten nervt, dass man nicht weiß, wie der Kontostand ist.“

Stationen der Krise beim HSV Handball

2002

Mit dem Bau der neuen Multifunktionsarena im Volkspark übernahmen die Hamburger im Handball die Lizenz des zum damaligen Zeitpunkt finanziell angeschlagenen VfL Bad Schwartau. Ab der Saison 2002/03 startete der Handball Sportverein Hamburg in der Bundesliga.

Dezember 2004

Andreas Rudolph, der das Handball-Urgestein Heinz Jacobsen auf dem Präsidenten-Stuhl der Hamburger ablöst, rettet mit seinem Geld (weit mehr als 30 Millionen Euro) den Verein vor dem Untergang.

11. Mai 2011

Nach der ersten Meisterschaft für den HSV Hamburg stehen personelle Wechsel an: Martin Schwalb wird Präsident, Per Carlén neuer Trainer. Doch das Experiment misslingt: Schwalb kehrt auf die Bank zurück, Matthias Rudolph, der Bruder von Andreas wird Chef.

19. Juni 2013

Ex-Nationalkeeper Frank Rost wird als neuer Geschäftsführer präsentiert. Der vermeintliche Coup mit dem Fußballer im Handball-Club erweist sich schnell als 43-Tage-Irrtum von Hamburg.

16. November 2013

Andreas Rudolph ist wieder Präsident, nachdem sein Bruder Matthias die Brocken hingeworfen hatte.

18. Februar 2014

Andreas Rudolph erklärt den HSV Hamburg zum „Sanierungsfall“.

8. Mai 2014

In einer E-Mail erklärt Andreas Rudolph seinen Rücktritt und kündigt später an, kein privates Geld mehr in den Club stecken zu wollen.

15. Mai 2014

Die HBL verweigert dem HSV Hamburg in erster Instanz die Lizenz. Die Begründung: Ein Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist nicht erbracht.

1. Juli 2014

In der letzten Instanz (vier Minuten vor Ablauf der Frist durch eine erneute Millionen-Bürgschaft von Andreas Rudolph) erhalten die Hamburger doch noch die Lizenz.

3. Juli 2014

Trainer Martin Schwalb, der einen Tag später entlassen werden soll, erleidet einen Herzinfarkt. In einer Notoperation retten die Ärzte das Leben des Coaches.

6. August 2014

Christian Fitzek, ehemaliger sportlicher Leiter, Co- und Cheftrainer kommt als Geschäftsführer vom VfL Bad Schwartau nach Hamburg zurück.

23. Oktober 2014

Der Reiseunternehmer Karl Gladeck, der schon seit Monaten den HSV unterstützt, wird satzungsgemäß vom Aufsichtsrat zum neuen Präsidenten und Nachfolger von Frank Spillner ernannt.

4. Dezember 2014

Das Arbeitsgericht erklärt die mittlerweile ausgesprochene Kündigung von Martin Schwalb für unwirksam. Der Ex-Trainer soll Nachzahlungen in Höhe von fast 300 000 Euro erhalten.

9. Dezember 2015

Spieler und Angestellte des Vereins warten auf ihr Geld. Ein Krisengipfel tags zuvor mit Hauptgeldgeber Andreas Rudolph brachte kein Resultat.

16. Dezember 2015

Die Gerichtspressestelle Hamburg bestätigt einen Insolvenzantrag des HSV Hamburg.

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„Das zehrt schon an den Nerven“

Auch Lutz Hauser, Hausendorfs Vorgänger als Fanclub-Vorsitzender, hat schon manche HSV-Krise miterleben müssen: 2004/05 wären die Handballer fast zwangsabgestiegen, 2014 hätten sie fast die Lizenz verloren, jetzt sind sie insolvent. „Das zehrt schon an den Nerven“, sagt Hauser, „ich hoffe sehr, dass es das letzte Mal ist.“ Und das bestimmt nicht, weil im neuen Jahr alles vorbei ist. Hauser ist da ganz zuversichtlich: „Es gibt doch Sponsoren, die nur darauf warten, dass sich Andreas Rudolph zurückzieht. Ich gehe fest davon aus, dass es weitergeht.“

Die HSV-Fans haben ihren Teil dazu beigetragen. Zum Spiel gegen Magdeburg am vergangenen Sonntag kamen mehr als 9000 Zuschauer in die Barclaycard-Arena, für das Heimspiel gegen Göppingen am kommenden Sonntag (15 Uhr) sind 8000 Karten verkauft. Nicht so viele wie zu besten Zeiten, als die Halle mit ihren 13.000 Plätzen um die Weihnachtszeit herum gegen jedweden Gegner ausverkauft war. Aber doch zu viele und zu laute, um sich vorstellen zu können, dass Handball in Hamburg keine Zukunft hat. Hauser sagt: „Die Sponsoren sollen merken, dass der HSV nicht tot ist.“

Spieler und Mitarbeiter des HSV haben inzwischen eine erste Monatsrate Insolvenzgeld erhalten. Die Mannschaft des Tabellenfünften droht auseinanderzubrechen. Sollte die Sanierung der Betriebsgesellschaft nicht gelingen, wäre der Zwangsabstieg die Folge. Hauser schreckt das nicht: „Wir wären auch in der Dritten Liga dabei.“ Natürlich würden ihm die Auswärtsfahrten gerade im Europapokal fehlen. „Aber der Aufstieg wäre doch eine Perspektive.“

Peter Hausendorf, schon in seiner Heimat Düsseldorf Handballfan von TuRU und der HSG, geht sogar noch weiter: „Uns ist nicht wichtig, die Bundesliga zu sehen. Uns geht es um den Handball und den HSV. Und wenn es die U 23 in der Oberliga ist.“