Hamburg . HSV-Handball-Trainer Michael Biegler im Interview über sein Image, Kabinenansprachen und warum der HSV noch kein Spitzenteam ist.
Die HSV-Handballer wecken wieder das Interesse des Publikums. Mehr als 7000 Eintrittskarten sind für das Spitzenspiel am Sonnabend (19 Uhr, Barclaycard-Arena, Sylvesterallee) gegen Tabellenführer Rhein-Neckar Löwen verkauft. Bei den Hamburger fehlen weiter Tom Wetzel (Reha nach Muskelfaszienriss), Alexander Feld (Kreuzbandzerrung) und Ilija Brozovic (Außenbandriss). Ersatztorhüter Justin Rundt ist beim Zweitligaclub SV Henstedt-Ulzburg im Einsatz.
Ärger gibt es beim HSV wieder mal ums Geld. Das Team Tvis Holstebro wartet immer noch auf die erste Rate der Ablösesumme (insgesamt 50.000 Euro) für ihren Spielmacher Allan Damgaard, der im Sommer nach Hamburg wechselte. „Wir werden nächste Woche die ersten 25.000 Euro überweisen“, sagte HSV-Geschäftsführer Christian Fitzek zu NDR Info. HSV-Trainer Michael Biegler, 54, irritieren derartige Unruhen im Umfeld nicht. „Mich interessiert die sportliche Entwicklung der Mannschaft, und da sehe ich uns inzwischen auf einem sehr guten Weg.“
Hamburger Abendblatt: Herr Biegler, lesen Sie, was über Sie geschrieben wird?
Michael Biegler: Eher weniger. Zwar erhalte ich jeden Tag einen Pressespiegel, aber die veröffentlichten Meinungen interessieren mich eigentlich nicht mehr. Mir sind meine Familie, meine zwei Freunde und meine Mannschaft weit wichtiger. Deren Meinung zählt.
Dennoch nervt Sie offenbar Ihr bärbeißiges Image, das die Medien gern über Sie verbreiten.
Biegler : In Deutschland hat man schon lange eine Schublade für mich gefunden. Das ist nicht mein Problem. Ich bin mit einer Sportjournalistin liiert, ich weiß, wie das System funktioniert, für mich ist das eine Parallelwelt. Grundsätzlich finden Sie von mir keine normalen Pressefotos, Bilddarstellungen sind immer rufend oder schreiend. Als ich in Hamburg angekommen bin, gab es als erstes die Fragen nach dem „harten Hund“. Mein komisches Gesicht lässt sich nach 54 Jahren nicht mehr ändern. Aber belasten kann mich dieses Image längst nicht mehr.
Wenn man Ihre Spieler oder Ihren langjährigen Wegbegleiter Stefan Kretzschmar fragt, halten diese große Stücke auf Sie und sprechen von einem „lieben Menschen“ und „guten Freund“.
Biegler : Das mag so sein. Ich bin definitiv nicht Everybody’s Darling, bin 1961 geboren, gehöre nicht zur „Wir haben uns alle lieb“-Generation. Man muss auch nicht 24 Stunden nett sein. Meine Hauptaufgabe besteht darin, aus meinen Spielern Leistung rauszukitzeln. In meiner Überzeugung gehören zu einer Weiterentwicklung kritische Töne. Meine Spieler wissen, dass Geradlinigkeit, vor allem Glaubwürdigkeit, die ohne Ehrlichkeit nicht funktionieren würde, mir sehr wichtig sind. Sie sehen ein Bild von mir ohne Fassade. Sie sehen, wann ich sauer oder zufrieden bin, da muss man nicht erst den Putz abbröckeln.
Nach mehr als 100 Tagen beim HSV: Wie fällt Ihre erste Bilanz aus?
Biegler : Angetan bin ich von dem, was dieser 20er-Kader bewegt. Diese neuformierte Mannschaft leistet grandiose Trainingsarbeit, ist jeden Tag hungrig und will Neues dazulernen. Und sie hat nach dem Pokal-Aus in Nordhorn und der Auftaktniederlage in der Bundesliga in Leipzig schon ganz schnell schlechte Zeiten gesehen und sich da rausgefightet. Dafür gebührt der Mannschaft großer Respekt. Sicherlich hatte sie auch ein wenig Glück, dass sie schnell einige Aha-Erlebnisse durchleben konnte.
Wie meinen Sie das?
Biegler : Zum Beispiel muss eine Mannschaft schnell Vertrauen zu den angebotenen Periodisierungsmodellen entwickeln. Zu Beginn ist es für die Spieler ungewohnt, wenn sie donnerstags hochbelastet und physisch kaputt sind. Glücklicherweise haben sie schnell gemerkt, dass sie am Spieltag dann gut vorbereitet waren. Andreas Thiel hat sich vor langer Zeit mal in der Nationalmannschaft, als ich dort Co-Trainer war, lautstark in der Kabine bei seinem Torwartkollegen Jan Holpert beschwert, als ich zufällig reinkam: „Der macht uns kaputt, der Beagle!“ Er hat daraufhin jedoch ein fantastisches Länderspiel absolviert. Auf der Rückfahrt habe ich ihn gefragt: „Und, wie war’s nun?“ Er hat nur gegrummelt.
Jetzt empfangen Sie den Tabellenführer. Ist der HSV schon ein Topteam?
Biegler : Nein! Es liest hier keiner eine Tabelle, die uns eh nicht interessiert. Bei uns wackeln viele Dinge noch. Wir haben – mal von Flensburg abgesehen (21:22) – auch noch nicht gegen die Topclubs gespielt. Wir müssen erst einmal die ganze Hinserie abwarten, dann sehen wir, wohin unsere Reise geht. Jetzt bekommen wir es mit dem ungeschlagenen Tabellenführer zu tun, das ist noch mal eine ganz andere Hausnummer. Was aber sehr wohl begeistern kann, sind die 15 Punkte, die wir schon haben – in der Kürze der Zeit. Nach der Niederlage in Leipzig habe ich schon erste Stimmen gehört: Wenn wir uns so präsentieren, steigen wir ab. Für einen Absteiger haben wir schon ganz schön viele Punkte gesammelt. (lächelt)
Waren Sie in Ihrer Vita als Bundesligatrainer schon jemals Tabellenvierter?
Biegler : Das weiß ich nicht genau, glaube aber, die damalige Mannschaft vom SC Magdeburg hat sogar mal höher gestanden. Aber in einem Punkt haben Sie sicherlich recht: Es entspricht nicht meinem normalen Profil. Man spricht mich nicht an, um Topteams zu trainieren. Meine Qualität ist es eher, aus wenig etwas mehr zu machen. Ich bin ja nicht gestern vom Himmel heruntergefallen, ich bin seit 30 Jahren dabei und habe Sicherheit darin, in einer Umbruchphase, einer schwierigen Situation, einer Mannschaft zu helfen und sie zu entwickeln, weniger die Sicherheit, sechzehn Megastars zu trainieren.
Sie haben auch mal gesagt, Titel interessierten Sie nicht und auch nicht das Bespaßen von Superstars. Wenn der HSV nun aber schneller als gedacht wieder ein Spitzenteam würde, was dann?
Biegler : Hätte, wenn, würde. Wir sind kein Spitzenteam! Und so schnell werden wir auch keins.
Zuletzt hat HSV-Geldgeber Andreas Rudolph öffentlich gesagt, er sei „stolz“ auf das von Ihnen geformte Team. Haben Sie den Eindruck, dass Herr Rudolph mit Ihrer Arbeit zufrieden ist?
Biegler : Ob Herr Rudolph zufrieden ist, müssen Sie ihn bitte selber fragen. Ich stehe nicht im ständigen Austausch mit ihm. Er ist ein Geschäftsmann, der sehr schwergewichtig ist mit seinen ganzen Unternehmen. Ich weiß gar nicht, was er alles zu regeln hat. Ich weiß aber, wenn ich mich mit ihm unterhalte, dass ich mit einem Handballer spreche, der selber gespielt hat. Das ist für mich immer interessant. Und wenn er da ist, besprechen wir Dinge und tauschen gegenseitige Einschätzungen aus, die Mannschaft betreffend.
Sie schätzen also das HSV-Vereinsmodell mit einem einflussreichen Geldgeber?
Biegler : Da ich doch schon sehr lange dabei bin, habe ich auch die Vergangenheit mit überragenden Machern und Persönlichkeiten in der Liga miterlebt, Eugen Haaß in Gummersbach, Klaus Schorn bei TuSEM Essen oder Ulrich Backeshoff beim TSV Milbertshofen.
Rudolph hat ja öfter Ansprachen in der Kabine gehalten, eine lautstarke beim letztjährigen Lemgo-Heimspiel (28:32), nach der Christian Gaudin drei Tage später entlassen wurde. Bei der Aussprache mit den Fans im Januar sagte Rudolph, dass sich die Trainer, selbst Martin Schwalb, diese Kabinenansprachen gewünscht hätten. Wie stehen Sie dazu?
Biegler : Wenn Sie mich fragen, was sich führende Persönlichkeiten rausnehmen können, bin ich der Meinung: Wenn solche, mit handballerischer Kompetenz ausgestattete, Menschen eine Ansprache halten möchten, habe ich zuzuhören. Früher sind auch in anderen Vereinen die Türen aufgegangen, und dann hörte man als Trainer zu, und erst danach war man wieder selbst an der Reihe. Da gibt es eine klare Hierarchie, genauso wie ich eine Mannschaft führe. Es wäre aber etwas anderes, wenn ich sagen würde, wir laufen links herum, und Andreas Rudolph würde dafür sorgen, dass alle rechts herumlaufen. So etwas ist bislang nicht passiert, und ich erwarte Derartiges auch nicht. Gegen seine Anwesenheit in der Kabine ist doch gar nichts einzuwenden.
Beeinflusst die weiter angespannte finanzielle Lage des HSV Ihre Arbeit?
Biegler : Überhaupt nicht, die interessiert mich auch gar nicht.
Sie sind ein weltweit anerkannter Fachmann in der Handball-Trainingslehre und halten international Vorträge. Im Trainingslager in Sölden und im Volkspark haben Sie ihr Team mit der HandballCross-Methodik fitgemacht. Was ist das besondere daran?
Biegler : Die Cross-Methode hat für die Spieler einen hohen motivationalen Faktor, und ich bekomme die Spieler damit sehr gut vorbereitet. Sie führt dazu, dass meine Mannschaft physisch komplett auf der Höhe ist und wir im Moment gegen Ende der 60 Minuten noch zulegen können. Und was entscheidend ist: Bei dieser harten Arbeit im Physischen möchte ich meinen Spielern keine Langweile bieten.
Wie viele Stunden verbringen Sie täglich beim HSV Handball?
Biegler : Das kann man nicht genau festlegen. Das Einarbeiten in ein neues Umfeld und mit einer neuen Mannschaft benötigt nun mal sehr viel Zeit.
In Ihrer Jackentasche steckt noch ein zweites iPhone mit einer roten Handyschale. Das ist ihr Diensthandy des polnischen Verbandes. Wie bekommen Sie Ihre Doppeltätigkeit bis zur EM (15. bis 31. Januar 2016) unter einen Hut?
Biegler : Bestimmte Arbeitspunkte verbinden sich automatisch. Ich habe schließlich eine Nationalmannschaft zu trainieren mit dem Endziel EM 2016 im eigenen Land, aber wir sind schon sehr, sehr weit, und wir schlagen ja auch unser Trainingslager mit den Polen hier in Hamburg vom 14. bis 23. Dezember auf. Man kann nicht sagen: Ich arbeite so und so viele Stunden für den HSV und so und so viele für die Polen. Ich lege aber darauf Wert zu sagen: Die Polen dürfen sich gut aufgehoben fühlen, zum Beispiel war ich am vergangenen Wochenende auch in Warschau und Plock, habe mir das Spiel gegen Flensburg in der Halle angeschaut, mit meinen Spielern Gespräche geführt und hatte dann am Montag auch noch Gesprächstermine mit der polnischen Federation.