Hamburg. Raoul Korner brennt auf seine neue Aufgabe als Trainer der Hamburg Towers und möchte Identifikation stiften. Wie es jetzt weitergeht.

Raoul Korner verwendet die Adjektive „strukturiert“ und „diszipliniert“ zwar inflationärer als die steigenden Preise gerade das Aktienportfolio des leidenschaftlichen Börsianers in Mitleidenschaft ziehen, doch die Anekdote, wie er mit Basketball in Berührung gekommen ist, deutet darauf hin, dass er als Jugendlicher noch als Revoluzzer Raoul unterwegs gewesen war.

Wie jeder Junge seines Alters spielte der Wiener zunächst Fußball. Als seine Freunde sich der Basketball-Neigungsgruppe seiner Schule anschlossen, folgte er ihnen nur äußerst widerwillig und fasste einen Plan: Das Training von innen heraus zu boykottieren, um sich fortan wieder auf Fußball konzentrieren zu können. Dies misslang in etwa so wie einst das Investment in Aktien der Deutschen Telekom.

Hamburg Towers: Raoul Korner ist der neue Coach

Gute 30 Jahre später ist Korner etwas Unwahrscheinliches gelungen: Er ist immer noch beim Basketball und seit 23 Jahren am Stück als Cheftrainer aktiv, ohne jemals entlassen worden zu sein – noch dazu als Österreicher. Wie unwahrscheinlich das ist? „Ein Österreicher kommt ungefähr so oft zum Basketball wie ein Senegalese zum Skifahren“, sagt Korner bei seinem ersten offiziellen Termin als neuer Coach der Hamburg Towers. Ein Wiener Trainer in Hamburg, das ging unter Ernst Happel beim HSV schon mal gewaltig gut. Doch von Meisterschaften oder gar Europapokaltiteln will Korner noch nicht sprechen. „Ich denke nicht ergebnis-, sondern prozessorientiert“, fadisiert der Trainer.

 „Es geht sich aus“, wienert der Österreicher und meint damit: Wir haben Zeit. Wohl etwas zu viel Zeit, wenn es nach seinem hyper-ehrgeizigen Vorgänger Pedro Calles ging, der die Trainingsbedingungen und eine mangelnde Perspektive kritisierte. „Ich habe sechs Jahre in Bayreuth und elf in Österreich verbracht, mich kann nichts schrecken“, entgegnet der 48-Jährige auf den Umstand, dass den Towers in dieser Saison keine Trainingshalle uneingeschränkt zur Verfügung stand. Häufig musste weit draußen, in Wandsbek, trainiert werden. Für die kommende Spielzeit ist nach Abendblatt-Informationen eine Halle in Harburg, wo auch Korner wohnen wird, als Übergangslösung gefunden, die ab Oktober permanent verfügbar sein soll.

Korner erstellt Anforderungsprofile für jede Position

Schon bis zum 8. August sollen sich alle Spieler in Hamburg einfinden, um sich einzugewöhnen und Tests zu absolvieren. Ein Mannschaftsdinner – Korner ist ein großer Liebhaber der österreichischen Küche – soll dem Trainingsauftakt am 13. August vorausgehen. Bis dahin muss Korner zusammen mit Sportdirektor Marvin Willoughby mindestens acht weitere Spieler für den erst vier Akteure zählenden Kader verpflichten. Zehn davon sollen Bundesliganiveau besitzen, zwei Talente an dieses herangeführt werden.

Bei der Rekrutierung spielt der sonst so sympathische Korner aber den knallharten Kibara (Wienerisch für Polizist). Zunächst erstellt er Anforderungsprofile für jede Position, die er an die Agenten weiterleitet. Sportlich muss es passen. Noch viel mehr: charakterlich. „Wir können uns nicht den perfekten Spieler leisten, bei der Größe, Erfahrung und Verletzungshistorie mache ich daher vielleicht Abstriche. Bei Charakter und Einstellung bin ich nicht dazu bereit“, so Korner. Bei Spielern, die „dumm, faul und egoistisch“ seien, betätigt er sich direkt als Bumpfinebara (Totengräber). Gemeinsam mit Co-Trainer Benka Barloschky – ein weiterer Assistent wird noch zum Stab hinzustoßen – fliegt der Meistertrainer aus Österreich (2009) und den Niederlanden (2012) im Juli zur Sommerliga der NBA, um US-Amerikaner zu sichten.

Korner blickt optimistisch auf Saisonstart

Bei diesen hatte Korner in der Vergangenheit häufig ein gutes Händchen. Reihenweise lotste der Pünktlichkeitsfanatiker Importspieler für ein Taschengeld nach Bayreuth, die dann so leiwand (super) spielten, dass sie in Folge andernorts den großen Reibach machten. Ein Investmentexperte besitzt seine Qualitäten offenbar auch auf dem Spielermarkt.

Doch während die Börse im Bärenmarkt ist, stiert Korner, der seine Basketballphilosophie auf 110 Seiten niedergeschrieben hat, optimistisch auf den Saisonstart. Die internen Ziele wolle er, prozessorientiert wie er ist, zwar nicht kommunizieren, kommuniziert sie dann aber doch: „Sie würden uns für vollkommen deppert halten, aber man muss auf die Sterne zielen, wenn man den Mond erreichen will.“ Heißt (diesmal nicht aus dem Wienerischen) übersetzt: Man möchte weit in die Play-offs vorstoßen, ohne zu sagen, dass man überhaupt erst mal locker in die Play-offs vorstoßen werde.

Hamburg Towers: Bayreuth hat die Tradition voraus

In Bayreuth habe Korner, der seinen Coachingstil als modern, aber keineswegs basisdemokratisch beschreibt, gelernt, dass die Gesetze des Finanzmarkts erst Recht im Sport zutreffen. „Man kann nicht ewig überperformen. Der Erfolg muss Nachhaltigkeit auslösen. Bei Bayreuth sind wir letztlich nur noch mit dem Kopf gegen die Decke geklatscht, was viel Frust bei mir verursacht hat.“ Die Herausforderung, nach zwei Saisons, in denen mehr geleistet wurde, als es das Potenzial hergibt, sieht Korner zwar auch bei den Towers, doch das Risiko dabei sei gering. „Es gibt eine ganz klare Richtung, in die der Verein möchte. Ich möchte dabei helfen, sie zu erreichen.“

Was Bayreuth, der Deutsche Meister von 1989, Hamburg allerdings voraus hat, ist die Tradition. „Die man nicht unterschätzen darf“, so Korner. Sowohl intern, wenn herausfordernde Situationen bereits bekannt sind, als auch extern. „Wenn wir Alba Berlin geschlagen haben, musste ich eine Woche lang in keinem Lokal bezahlen. Jeder dort kennt die Mannschaft. Hier müssen wir ihr dringend ein Gesicht geben, die Fans müssen sich mit den Spielern identifizieren können.“ Mehr Towers-Trikots braucht das Stadtbild. Oder auf Wienerisch: S’ Gwandl macht’s Mandl.