Hamburg. Die Wilhelmsburger Bundesliga-Basketballer müssen dreimal in Folge gegen Bonn gewinnen, um doch noch ins Halbfinale einzuziehen.
Am späten Donnerstagabend durfte Justus Hollatz schon mal einen Eindruck davon gewinnen, was es bedeutet, Geschichte zu schreiben. Der Spielmacher der Hamburg Towers ist großer Fußballfan. Neben dem FC St. Pauli schlägt sein Herz für Eintracht Frankfurt. Und so feierte der 21-Jährige vor dem Fernseher enthusiastisch den historischen Europa-League-Triumph der hessischen Adler.
Eine gute Vorbereitung auf Spiel drei des Play-off-Viertelfinals gegen die Telekom Baskets Bonn am Freitag (19 Uhr/MagentaSport) in der Wilhelmsburger edel-optics.de Arena. Denn auch den Hamburgern, die ihre beiden Spiele im Rheinland verloren haben, muss in der Best-of-5-Serie nichts weniger als Historisches gelingen, um den Einzug ins Halbfinale doch noch zu schaffen.
Hamburg Towers stehen kurz vor Spiel drei der Play-off-Viertelfinals
Seit Einführung des Modus, in dem drei Siege zum Weiterkommen nötig sind, ist es erst vier Mannschaften der Basketball-Bundesliga (BBL) gelungen, einen 0:2-Rückstand noch in ein 3:2 zu verwandeln. Kurioserweise zuletzt ausgerechnet Bonn, und zwar gleich zweimal: 2002 gegen Bamberg und 2003 gegen Leverkusen. Einem Club, der kein Heimrecht in einer entscheidenden fünften Begegnung besitzt, so wie es auch die Towers in einem möglichen Entscheidungsspiel in Bonn am 25. Mai nicht hätten, glückte dieses Kunststück sogar noch nie.
„Das ist ein richtig dickes Brett“, sagt Stefan Koch. Der zweifache BBL-Trainer des Jahres, der mittlerweile als Kommentator und Kolumnist arbeitet, sieht es aber dennoch nicht als gegeben an, dass die Amtszeit von Trainer Pedro Calles an diesem Wochenende endet. „Hamburg war in beiden Partien nicht weit entfernt. Zumal es keine taktischen Probleme waren, die zu den Niederlagen geführt haben, sondern die Ausführung fundamentaler Dinge“, so der 58-Jährige, der damit eine niedrige Freiwurfquote, schlampige Ballverluste und schwaches Reboundverhalten meint.
Towers wirkten unkonzentriert
Die Norddeutschen wirkten häufig unkonzentriert gegen den Hauptrundenzweiten, vor allem Topspieler Caleb Homesley leistete sich mit durchschnittlich sieben weggeworfenen Bälle eine hohe Anzahl an Fehlern. „Ihre physische Spielweise macht es uns schwer, in unsere Systeme zu kommen. Dazu haben wir mit Justus nur einen echten Aufbauspieler. Caleb kommt eigentlich von einer anderen Position“, nimmt Calles den US-Amerikaner in Schutz.
Streicheleinheiten allein genügen jedoch nicht, um Play-off-Serien zu drehen. Koch glaubt, dass es wichtig werde, „wie sehr die Teams an die Dramaturgie der Auftaktbegegnungen glauben“. Bonn begann stets schwach und kam zum Ende stark auf – ein Szenario, das Hamburg nicht heraufbeschwören dürfe, so der Experte. „Auf der Website des Vereins habe ich gelesen, dass in der zweiten Halbzeit von Spiel zwei passierte, was zu befürchten war. Genau der falsche Ansatz. Dieses psychologische Muster müssen die Towers dringend lösen.“ Koch erinnert sich an einen Fehler aus eigenen Trainertagen: „Auch mir ging es oft so, dass wir zur Halbzeit mit 15 Punkten geführt haben und ich davor gewarnt habe, dass der Gegner nun versuchen wird, extrem stark zurückzukommen. Damit redet man sich nur schwach. Ich würde heutzutage immer die eigenen Stärken aufzeigen, weswegen man so deutlich vorne liegt.“
Parker Jackson-Cartwright dominierte die Hamburg Towers
Doch Psychologie ist nur ein Teilaspekt, die Wahrheit liegt – wie auch bei der Frankfurter Eintracht – auf dem Platz. „Und dort muss es uns endlich gelingen, Parker Jackson-Cartwright einzuschränken. Was einfacher gesagt als getan ist. Er hat eine Qualität, die wir bislang in der BBL noch nicht gesehen haben“, sagt Hollatz ehrfurchtsvoll über den wertvollsten Spieler der Liga. Der Bonner Star legt einen gewaltigen Punkteschnitt von 38,5 auf, dominiert die Hanseaten nach Belieben und traf 16 seiner 29 Dreier. „Es kann nicht sein, dass er so viele Versuche von der Dreierlinie bekommt, die Anzahl muss mindestens halbiert werden“, meint Koch.
Dass zwischen Spiel zwei und drei vier Tage Pause zum Trainieren lagen, sieht der gebürtige Licher als Vorteil für die Towers an. „So bestand letztmalig die Möglichkeit, strategische Anpassungen vorzunehmen, die sich einüben lassen. Später ist die Serie so eng getaktet, dass man nur noch etwas Neues im Spiel versuchen kann und hoffen muss, dass es funktioniert.“
Trainer Calles scheint ein letztes Ass im Ärmel zu haben
Basketballtrainer unterscheiden im Taktischen zwischen zwei Schulen: „Vereinfachung und Durchführung“ sowie „Veränderung und Überraschung“. Calles ist ein Verfechter der ersten, hat den Towers eine eindeutige Identität verpasst. Eine Strategie, die während der regulären Saison Dividenden abwirft. „In den Play-offs kann die zweite Schule aber eine größere Rolle spielen“, so Koch.
Und wieder spricht er aus Erfahrung. Als er die Gießen 46ers (2004 bis 2006) trainierte, lag er selbst mit 2:0 in den Play-offs in Front. „Meine Strategie hat in Spiel eins super funktioniert, in Spiel zwei noch so gut, dass es zum Sieg gereicht hat. Da hätte ich erkennen müssen, dass wir etwas ändern müssen. Doch ich war passiv, habe nichts getan. Der Gegner hat sich auf uns eingestellt und die nächsten beiden Partien gewonnen.“
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Umso besser, dass Calles ein womöglich letztes Ass im Ärmel zu haben scheint. „Ich bin zufrieden mit unserer bisherigen Leistung und auch meinen Entscheidungen. Nun werden uns die Fans zusätzliche Energie geben. Es kann gut sein, dass ich auch noch einen Plan habe, aber den werde ich nicht verraten“, sagt der Spanier verschmitzt grinsend.
Eine finale Überraschung, um Geschichte zu schreiben? Wenn jemand weiß, wie es geht, dann Hollatz. Schließlich hat zu Saisonbeginn auch kaum jemand erwartet, dass Eintracht Frankfurt die Europa League gewinnt.