Hamburg. Warten auf den Heimsieg: Auf Towers-Spielmacher Jorge Gutiérrez lastet heute gegen Crailsheim die größte Erwartungshaltung.

Jorge Gutiérrez kann sich in diesen Tagen auch an den kleinen Dingen des Lebens erfreuen. „Ah, endlich mal wieder etwas Sonne“, sagt der Spielmacher der Hamburg Towers, kneift die Augen zusammen und schaut einen kurzen Moment gen Himmel, ehe sich dichte Wolken vor die Sonne schieben. Ähnlich wechselhaft wie das Hamburger Wetter im Februar waren zuletzt auch die Leistungen des mexikanischen Spielmachers in der Basketball-Bundesliga.

Vor der zweiwöchigen Länderspielpause wirkte der 31-Jährige, der Anfang November von seinem Heimatclub Capitanes Ciudad de Mexiko nachverpflichtet worden war und bisher pro Partie 27:47 Minuten auf dem Court stand, überspielt und ungewohnt fahrig. Gerade in der Schlussphase gegen Göttingen (83:86) und in Crailsheim (98:101) unterliefen ihm Ballverluste, die den Towers in letzter Minute das Genick brachen. „Das war inakzeptabel, und das tut mir immer noch sehr weh. Ich wurde hier nicht ohne Grund verpflichtet. Deshalb erwarte ich mehr von mir. Ich muss einfach besser spielen. Punkt, aus, keine Diskussion“, gesteht der ehemalige NBA-Profi (53 Einsätze) vor dem Heimspiel an diesem Sonnabend (20.30 Uhr, edel-optics.de Arena) gegen den Tabellenvierten Crailsheim Merlins. Im Hinspiel stand Gutiérrez in 35:15 von 40 Spielminuten auf dem Parkett – persönlicher Rekord.

So viel Einsatzzeit ist für Gutiérrez Neuland

Ohnehin ist für Gutiérrez so viel Einsatzzeit Neuland, und das mag sein Problem sein. In seinen bisherigen Clubs hatte der Profi häufig nur eine Rolle als Ergänzungsspieler, der kaum mehr als zehn Minuten pro Partie aufs Feld durfte. Nun lastet erstmals eine ungemeine Erwartungshaltung auf Gutiérrez, der als einziger nicht zu ersetzender Profi beim Wilhelmsburger Bundesliga-Aufsteiger gilt. Manchmal wirkt es so, als wolle er zu viel zeigen. „Ich muss meinen Kopf mit meinem Körper in Einklang bringen“, scherzt Gutiérrez: „So wohl wie hier habe ich mich seit Jahren nicht gefühlt. Ich genieße meine Rolle und wünschte, ich könnte dem Team noch mehr helfen. Das beschäftigt mich sehr. Meine Saison ist okay bisher. Das reicht mir aber nicht“, sagt Gutiérrez, der bisher im Schnitt 14 Punkte und sechs Assists pro Begegnung beisteuerte.

In den vergangenen beiden spielfreien Wochen konnte Gutiérrez seine Akkus wieder aufladen und sich vor allem von seiner leichten Gehirnerschütterung erholen, die er sich beim 66:77 in Bamberg zugezogen hatte. „Das war keine schlimme, aber leider nicht meine erste Gehirnerschütterung“, sagt der wendige Spielmacher, der seine Länderspielreise nach Mexiko absagen musste. „Die Ärzte waren der Meinung, es wäre besser, wenn ich mich hier auskuriere. Ich wäre sehr gern geflogen, auch, um meine Familie zu sehen“, sagt der Leistungsträger, dem man die Enttäuschung darüber anmerkt. Seine Familie hatte er zuletzt im vergangenen Sommer gesehen. Die Spiele der Hamburg Towers verfolgen seine Liebsten im Internet. „Ich habe mich sehr auf meine Familie gefreut. Aber es tat auch gut, dem Körper mal etwas Ruhe zu gönnen.“

Positiv bleiben

Gutiérrez wäre nicht Gutiérrez, wenn er Negativerlebnisse nicht einfach ausblenden und weitermachen würde. Der Nationalspieler weiß, dass er womöglich der größte Schlüssel zum Klassenerhalt ist. Auf dem Court als Taktgeber, vor allem aber auch als Führungsfigur in der Kabine. „Natürlich ist es frustrierend, wenn man immer sagt, dass man gut gespielt, am Ende aber verloren hat. Das nervt ungemein“, gibt er zu. „Aber es ist wichtig, dass wir alle positiv bleiben. Zu Saisonbeginn haben wir häufig in den Spielen den Arsch versohlt bekommen, mit 20 oder 30 Punkten verloren.

Jetzt sind wir konkurrenzfähig. Der nächste Schritt ist, einfach mal zu gewinnen. Klingt einfach, oder?“, sagt der verlängerte Arm von Trainer Mike Taylor. Der 47 Jahre alte US-Amerikaner verzeiht dem heimlichen Kapitän der Towers dessen Fehler, wohl wissend, dass er für den Klassenerhalt einen starken Gutiérrez benötigt. „Ich mache mir überhaupt keine Sorgen um Jorge“, sagt Taylor: „Er präsentiert sich fantastisch. Jorge ist unser General auf dem Feld, fungiert als Mentor für junge Spieler wie Justus Hollatz. Das macht er überragend, und er wird ein Schlüsselspieler für das Erreichen unseres Saisonziels“, lobt der Towers-Trainer.

„Jede Minute ist wichtig“

14 Partien bleiben dem Tabellenvorletzten noch, um die nötigen Punkte für den Klassenerhalt zu holen. „Die Spiele im Abstiegskampf sind jetzt unsere Play-offs“, gibt Gutiérrez die Marschrichtung vor. „Man kann sich in keinem Spiel zurücklehnen, jede Minute ist wichtig. Wir müssen unser Topniveau konstant abrufen. Das haben wir bisher noch nicht geschafft“, meint der Musterprofi. Dass die Abstiegskonkurrenten aus Weißenfels in Sachsen-Anhalt (Mitteldeutscher BC), Bonn, Frankfurt am Main und Gießen zunehmend ihre Form finden, beunruhigt den Towers-Leader nicht. „Am Ende des Tages geht es einzig und allein darum, wie viele Spiele wir gewinnen. Wir entscheiden, ob wir in der Liga bleiben oder nicht“, so der Mexikaner.

Ein Anfang wäre der erste Bundesliga-Heimsieg in der Vereinsgeschichte. Das würde Gutiérrez weit mehr freuen als vereinzelte Sonnenstrahlen in seiner Wahlheimat Hamburg.