Hamburg. Der Sportchef des Basketball-Bundesligaclubs über Kaderplanung, Führungsspieler, Trainer Mike Taylor und schlaflose Nächte.

Als Marvin Willoughby zum Gespräch mit dem Abendblatt auf der Geschäftsstelle der Hamburg Towers am Wilhelmsburger Kurt-Emmerich-Platz 2 Platz nehmen will, klingelt in diesem Moment sein Handy. „Entschuldigung, da muss ich ran. Ein Spieleragent“, sagt der Sportchef des Basketball-Bundesligaclubs. Gut zehn Minuten später kehrt er in den Konferenzraum zurück. „Und: Haben Sie einen weiteren Spieler verpflichten können, etwa einen neuen Center?“, fragen wir. „Nein, nein. Er wollte nur paar Karten für unser Heimspiel an diesem Sonnabend (20.30 Uhr, edel-optics.de Arena/live bei magentasport.de, die Red.) gegen Bayreuth“, sagt Willough­by (41) – und kann sich ein vielsagendes Grinsen nicht verkneifen.

Hamburger Abendblatt: Herr Willoughby, nach sieben Niederlagen in den ersten acht Bundesligaspielen wollten Sie jetzt jeden Stein umdrehen …

Marvin Willoughby: … wer sagt das?

Das haben wir einer Ihrer Pressemitteilungen entnommen.

Willoughby: Da steht manchmal viel Folklore drin. Wir machen jetzt nichts anderes, als wir es immer gemacht haben. Wir analysieren nach jedem Spiel, egal ob Sieg oder Niederlage, im Moment zugegebenermaßen öfter nach Niederlagen, was gut gelaufen ist, was wir besser machen müssen, ob wir auf irgendetwas reagieren sollten. Das ist normales Tagesgeschäft.

Mit dem Mexikaner Jorge Gutiérrez und aktuell mit dem Venezolaner Michael Carrera haben Sie gerade zwei gestandene Profis nachverpflichtet. Ganz normal?

Willoughby: Ganz normal! Im Gegensatz zur Zweiten Bundesliga sind die Kader in der Ersten Liga immer im Fluss. Wir sind ja nicht die Einzigen, die Spieler holen und wegschicken.

Offenbar sind Sie aber erst jetzt zu der Erkenntnis gekommen, dass Ihr bisheriger Kader nicht bundesligatauglich war.

Willoughby: Das wissen Sie also schon nach einem Viertel der Saison, dass unser Kader nicht bundesligatauglich sein soll. Herzlichen Glückwunsch!

Das sagen nicht nur wir, auch ehemalige Bundesligatrainer und Nationalspieler.

Willoughby: Diese sogenannten Experten haben in der vergangenen Saison Aufsteiger Rasta Vechta den sofortigen Wiederabstieg prophezeit. Und: Wo ist Vechta gelandet? Die sind Vierter nach der Hauptrunde geworden und haben es ins Play-off-Halbfinale geschafft. Also hören Sie mir auf mit diesen Experten.

Aber optimal läuft es bei den Towers doch eher nicht?

Willoughby: Ich hatte gehofft, dass wir zu diesem Zeitpunkt vielleicht drei, vier Siege auf unserem Konto hätten und nicht nur einen. Es mag für Sie verwunderlich klingen, aber wir waren nah dran, um zwei oder drei Spiele mehr zu gewinnen. Dazu fehlte in Frankfurt, zu Hause gegen Göttingen und selbst gegen Weißenfels und in Ludwigsburg nicht viel, ein bisschen Glück vielleicht, etwas mehr Erfahrung, ein oder zwei andere Entscheidungen in den kritischen Momenten. Dann würden wir hier nicht sitzen und über angeblich fehlende Bundesligatauglichkeit diskutieren. Womit wir nicht gerechnet hatten – und was uns erschüttert – sind diese hohen Niederlagen wie zuletzt in Ulm (69:102), vor allem die Art und Weise, wie diese zustande kamen. Da habe ich mich manchmal sehr geschämt für unsere Auftritte, konnte danach vor Wut, Scham und Enttäuschung nachts nicht schlafen. Am nächsten Morgen bin ich dann aber wieder voll im Kampfmodus.

Wie erklären Sie denn diese Aussetzer?

Willoughby: Uns fehlte bislang eine klare Hierarchie in der Mannschaft. Spieler, die vorangehen, an denen sich die anderen in diesen schwierigen Situationen orientieren können. Unsere potenziellen Führungsspieler haben in dieser Beziehung unseren Erwartungen noch nicht entsprochen. Das müssen wir so klar sagen. Das mag möglicherweise daran liegen, dass sie bei ihren bisherigen Vereinen nie in ähnlich problematische Konstellationen geraten sind oder sie in solchen Spielsituationen von der Erfahrung ihrer Nebenleute profitiert haben. Bei uns aber sind sie es, auf die es ankommt. Das müssen sie begreifen. Deshalb haben wir reagiert, mit Gutiérrez und Carrera zwei Persönlichkeiten geholt, die dem Team neue Impulse verleihen werden.

Das heißt, der Kader war bisher falsch zusammengestellt? Wir hatten ohnehin den Eindruck, dass Sie vor allem Spieler mit Potenzial, aber kaum jemanden mit Potenz verpflichtet haben.

Willoughby: Vielleicht waren wir im Sommer wirklich etwas zu blauäugig, haben zu sehr auf die Entwicklungsmöglichkeiten dieser Spieler gesetzt, zu wenig darauf geachtet, was sie aktuell bereits leisten können. Ich bin aber nach wie vor davon überzeugt, dass wir die Richtigen geholt haben. Und ich glaube weiter fest daran, dass wir die Klasse halten werden, weil ich die erhoffte Entwicklung in der Mannschaft inzwischen sehe. Da ist noch niemand an seinem Leistungslimit, die meisten sind nicht mal bei 80 Prozent. Unseren Trainer Mike Taylor zeichnet es doch gerade aus, dass er diese Potenziale herauskitzeln kann.

Herr Willoughby, Sie sind Geschäftsführer bei vier Vereinen oder deren Gesellschaften, dazu Sportchef der Towers. Andere Basketball-Bundesligavereine haben einen Sportdirektor, der sich voll auf diese Aufgabe konzentrieren kann.

Willoughby: Andere Bundesligavereine haben auch mehr Geld, können das dann in nachhaltige sportliche Strukturen investieren. Das wird für uns der nächste Schritt in Richtung Professionalisierung sein, möglicherweise zur nächsten Saison. Momentan fehlen uns jedoch die Mittel, um einen Sportchef einzustellen. Wenn wir in den nächsten Wochen oder Monaten Geld für neue Leute ausgeben werden, dann für Spieler. Das hat derzeit Priorität. Zwei Optionen haben wir ja noch.

Haben Sie die sportlichen Herausforderungen, die in der Bundesliga auf Sie zukommen, anfangs unterschätzt? Hätten Sie Spieler wie Gutiérrez und Carrera nicht schon früher engagieren können?

Willoughby: Als Aufsteiger bist du im Sommer in keiner komfortablen Position. Etablierte Bundesligaspieler oder jene Ausländer, die entsprechendes Niveau haben, wollen am liebsten bei einem Club in der Bundesliga oder anderswo in Europa auflaufen, der auch in einem internationalen Wettbewerb unterwegs ist. Solange nicht alle Plätze in diesen Vereinen vergeben sind, warten sie ab. Um solche Spieler schon vor dem Saisonstart verpflichten zu können, musst du sehr viel Geld auf den Tisch legen. Jetzt ist der Markt wieder in Bewegung geraten, und die Preise werden auch für uns allmählich wieder bezahlbar.

Mit einem Etat von rund fünf Millionen Euro, mit dem Sie im Mittelfeld der Bundesliga rangieren, sind Sie nicht konkurrenzfähig, wenn es um die Verpflichtung guter Basketballspieler geht?

Willoughby: Die Etats in der Bundesliga sind schwer zu vergleichen. Welcher Club was genau in seine öffentlichen Angaben einrechnet, ist höchst unterschiedlich. Ich weiß nur, dass ein Spieler, den wir verpflichten wollten, dem wir aber wegen seiner zu hohen Gehaltsforderungen absagen mussten, ein paar Tage später bei einem Bundesligaclub unterschrieb, der angeblich weit weniger Etat haben soll als wir. Und ich vermute mal, dass besagter Spieler seine Forderungen innerhalb einer Woche nicht dramatisch reduziert hat.

Ihrem Kader mangelte es bisher aber nicht nur an Qualität, auch der Zusammenhalt im Team soll zu wünschen übrig lassen.

Willoughby: Wer sagt so was?

Das ist aus der Mannschaft zu hören.

Willoughby: Sie haben das also vom Hörensagen.

Deshalb fragen wir ja nach.

Willoughby: Eine neue Mannschaft in einer neuen Liga braucht ihre Zeit, um zusammenzufinden. Das ist ein ganz normaler Prozess. Das mag schneller gehen, wenn sich der sportliche Erfolg einstellt. Ich bin aber überzeugt, dass bei uns alle an einem Strang und den auch in dieselbe Richtung ziehen. Sollte das nicht so sein, werden wir reagieren. Alle wissen, dass wir nur gemeinsam den Klassenerhalt schaffen können.

War es problematisch für die Entwicklung des Teams, dass Mike Taylor während der Saisonvorbereitung die polnische Nationalmannschaft im August/September bei der WM in China betreute?

Willoughby: Im Nachhinein war das sicherlich nicht optimal. Aber einen Trainer wie Mike können wir uns nur leisten, wenn wir bereit sind, Kompromisse zu machen.

Wann wird sein Vertrag, der am Saisonende ausläuft, verlängert? Sie hatten erste Gespräche zum Jahreswechsel angekündigt.

Willoughby: Die haben im Augenblick, da bin ich mir mit Mike einig, nicht oberste Priorität. Wir müssen erst einmal in der Bundesliga in die Spur finden.

Stellt sich etwa die Trainerfrage?

Willoughby: Sie haben ja gelesen, dass wir jeden Stein umdrehen. Niemand ist bei uns sakrosankt, nicht der Trainer, nicht der Sportchef, kein Spieler. Wir treiben Leistungssport, da gibt es nun mal gewisse Anforderungen. Letztlich müssen Ergebnisse her, das weiß auch Mike. Wir haben keinen Zweifel an seiner Kompetenz. Er ist absolut der richtige Trainer für uns.

Was würde ein Bundesliga-Abstieg für die Towers bedeuten?

Willoughby: Damit beschäftigen wir uns, wenn es so weit sein sollte. Wie gesagt, ich gehe weiter davon aus, dass wir die Klasse halten.

Wäre der Verein existenziell gefährdet?

Willoughby: Ein klares Nein! Die Towers sind „More than Basketball“. Wir sind nicht von Erfolgen oder Misserfolgen abhängig, wir haben sehr gesunde Strukturen, die wir weiterentwickeln werden. Natürlich würden uns bei einem Abstieg Einnahmen von Sponsoren und Zuschauern fehlen. Dass ein Aufsteiger absteigen kann, sollte das Grundvertrauen in unsere Arbeit nicht erschüttern. Mittelfristig, da bin ich mir sehr sicher, haben wir das Potenzial, um uns in der Bundesliga zu etablieren, besonders wenn der von unserem Mitgesellschafter Tomislav Karajica geplante „Elbdome“ in den nächsten vier, fünf Jahren kommen sollte. Nicht alle Wege im Sport führen geradeaus. Ein Verein zeigt gerade darin seine Qualität und Klasse, wie er mit Rückschlägen umgeht. Und alle anderen unserer Aktivitäten sind ohnehin nicht vom sportlichen Erfolg berührt.

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Die da wären?

Willoughby: Wir bauen zum Beispiel gerade mit viel Einsatz unseren Quartierverein in Wilhelmsburg auf. Das für uns zuständige Bezirksamt Mitte hat vor zehn Tagen die avisierten Millionenzuschüsse für unser neues Sportzentrum, das rund 18 Millionen Euro kosten wird, beim Bund in Berlin und bei der Stadt Hamburg formal beantragt. Wir hoffen nun, dass es mit der Realisierung im nächsten Jahr losgeht. Das Grundstück und das Gebäude sollen in eine Stiftung überführt werden, die wir gerade gründen. Eine Stiftung deshalb, damit später niemand auf die Idee kommt, aus unserem Towers e. V. Gelder für die Profimannschaft abzuzweigen. Die Towers bleiben eine Erfolgsstory, auf welchem Gebiet auch immer.