Hamburg. Cheerleader mischen bei den Spielen des Hamburger Zweitligisten das Publikum auf. Trainerin Katja Baumgärtner ist weit gereist.

„Schreiben Sie bloß nicht, ich sei die alleinige Chefin“, betont Katja Baumgärtner. Das sei immer noch Janice Mannke. Doch die Trainerin hat inzwischen zwei kleine Kinder und erst einmal die Prioritäten auf die Familie verlagert. Deshalb hat sie ihre Gruppe der ehemaligen Kunstturnerin und Choreografin Baumgärtner übergeben. Und die feilt seit Anfang dieses Jahres am Feinschliff für die Auftritte des Hamburg Towers Dance Teams, einer Gruppe tanz- und turnbegabter junger Frauen, die die Zuschauer bei den Spielen von Hamburgs bester Basketballmannschaft, den Towers, mit viel tänzerischer Akrobatik unterhalten. Cheerleading heißt, was sie tun. Die nächste Vorstellung: am heutigen Sonnabend (19.30 Uhr) beim Heimspiel der Hamburger gegen die Niners Chemnitz.

Dehnen ist wichtig
Dehnen ist wichtig © HA | Roland Magunia

Cheerleading also. Winken mit glitzernden Puscheln, Pompons genannt, Tanzmariechen-Schritten und Dauerlächeln. So jedenfalls das Klischee, das den jungen Frauen anhaftet, die als Pausenfüller zu Musik vor allem bei Basketball-, Football- oder Eishockeyspielen auftreten. Baumgärtner wird zwar nicht sauer, wenn sie solche Beschreibungen liest oder hört, aber sie räumt energisch auf mit den Vorurteilen: „Cheerleading ist harter Sport. Wer das nicht glaubt, kann ja mal versuchen, bei uns mitzumachen.“

Seit vier Jahren gehört das Team zu den Basketball-Riesen aus Wilhelmsburg. 24 Frauen, offizielles Mitmachalter ist 18 Jahre. „Das muss so sein wegen der manchmal sexy Outfits bei den Auftritten“, sagt Baumgärtner (26) mit einem Augenzwinkern. Trainiert wird in der Spielstätte der Towers, der edel-optics.de Arena, zweimal in der Woche, jeweils zwei Stunden lang. Weil aktuell fünf Turnerinnen im Team sind, ist das Niveau noch einmal gestiegen.

Cheerleading wurde von Studenten erfunden

Die internationale Messlatte liegt allerdings hoch. Profiteams aus aller Welt zeigen komplizierte Turnfiguren wie Pyramiden, spektakuläre Sprünge sowie Tanzeinlagen in Perfektion. Turnelemente wie Handstandüberschlag, Flickflack, Salti und Schrauben, manchmal in bis zu fünf Metern Höhe und von den Kolleginnen aufgefangen, sind die Krönung körperlicher Beherrschung. Die Wurzeln des Cheerleading liegen in den USA. Die erste Gruppe entstand angeblich schon 1898 – und es war ein Mann, der sie gründete.

Mix aus Tanz und Akrobatik: Die Cheerleader beim Training
Mix aus Tanz und Akrobatik: Die Cheerleader beim Training © HA | Roland Magunia

Ein Student wollte die kriselnde Footballmannschaft seiner Universität effektiv unterstützen. Deshalb animierte er mit viel Geschrei das Publikum, die Spieler durch Schlachtrufe zu motivieren. Weil es allen Beteiligten Spaß machte und half, entstanden die „Yell-Captains“, die bei jedem Heimspiel die Stimmung mit viel Tamtam anheizten. Sogar Präsidenten machten mit. George W. Bush war 1964 Cheerleader an der Phillips Acadamy Andover in Boston. Sein Markenzeichen war natürlich ein männliches Accessoire: das Megafon.

Erst in den 1920er-Jahren durften auch Studentinnen mitmachen. Sie brachten choreografierte Darstellungen ins Spiel, und in den 50er-Jahren war es für US-Studentinnen ein Muss, in einer Cheerleadergruppe mitzumachen. Heute hat jede Highschool, jedes College ein eigenes Team. Cheerleading ist eine Trendsportart, die auf Weltmeisterschaften ihre Besten ermittelt.

Verbindung von Tanz und Akrobatik als Reiz

Die Szene in Deutschland ist überschaubarer. Fußball, die hierzulande alles beherrschende Sportart, ist an der Unterhaltung durch akrobatisch tanzende Mädchengruppen nicht interessiert. Blut, Schweiß und Tackling sowie in der Halbzeitpause Zeitlupenanalysen und Fachgespräche über Spielsysteme genügen dem traditionellen Fußballfan. Immerhin: Inzwischen gibt es in Deutschland etwa 400 Teams und 20.000 aktive Cheerleader. Allein in Hamburg haben sich zehn Gruppen gegründet. Die meisten machen den Sport um des Sports willen. Sie wollen an Meisterschaften teilnehmen.

Alles für die Choreo: Trainerin Katja Baumgärtner
Alles für die Choreo: Trainerin Katja Baumgärtner © HA | Roland Magunia

Bevor Baumgärtner zu den Towers kam, war sie bereits Trainerin und Ice-Girl bei den Hamburg Freezers. Als sich das Eishockeyteam im vergangenen Jahr auflöste, suchte sie Ersatz. „Ich liebe Tanzen und Turnen“, sagt sie. „Dieses Gemeinschaftsgefühl beim Cheerleading, das Sich-aufeinander-verlassen-können, das macht Spaß und ist herausfordernd.“

Infiziert wurde sie nach dem Abitur. Damals ging sie für ein paar Monate nach Los Angeles. „Ich habe mich total blauäugig in die Stadt verliebt“, erzählt sie. Per Zufall kam sie mit der Cheerleaderszene in Berührung und stellte fest, dass es eine Sportart gab, die sowohl Athletik als auch ihr geliebtes Tanzen miteinander verband. „Es war perfekt. Es war cool.“

Von Timberlake-Choreografen gelernt

Die Cheerleader trainieren auch am Spielort der Towers in der Inselparkhalle
Die Cheerleader trainieren auch am Spielort der Towers in der Inselparkhalle © HA | Roland Magunia

Wieder zurück in Hamburg begann sie ein Studium als Modedesignerin, parallel bildete sie sich sportlich und künstlerisch weiter. Immer mal wieder reiste sie für ein paar Wochen nach L.A., die Stadt ihrer Träume. Dort machte sie Praktika bei angesagten Modefirmen wie dem schwedischen Label Lotta Stensson, bei dem Stars wie Angelina Jolie und Katy Perry einkaufen. In einer Dance-Company traf sie den Choreografen von Jus­tin Timberlake und lernte viel von ihm. Inzwischen hat Baumgärtner ihr Studium beendet. Beinahe hätte sie auch einen Job bei einer Modefirma in Los Angeles gehabt. Alles war klar, dann wurde ihr das Visum verweigert. „Ich weiß nicht, warum es dieses Mal nicht klappte. Ich war siebenmal in den USA. Ohne Probleme.“

Für das Towers Dance Team ist das Hierbleiben seiner Trainerin perfekt. Auch wenn sie die Mädchen nicht nur im Training an ihre Grenzen bringt. „Ich verlange Joggen und Krafttraining zusätzlich“, sagt die ehemalige Leistungssportlerin. Für die Auftritte ist auch Kondition unerlässlich. Inzwischen ist die Gruppe nicht nur bei den Basketballspielen gefragt. Auch bei den Cyclassics und am Christopher Street Day wurde sie gebucht. Und bei den europäischen Meisterschaften in diesem Sommer sind sie Fünfte geworden. Vielleicht geht ja noch mehr.