Hamburg. Der Quarterback erklärt, warum seine Leistungskurve nach oben zeigt und warum seine Zeit in den USA wirklich endete.
Er hätte sagen können: Wenn ich die besten Statistiken der Liga abgeliefert habe. Oder: Wenn wir in jedem Spiel alles für den Sieg getan haben. Was man eben so sagt, um die Erwartungen an sich selbst hoch und an die Mannschaft gleichzeitig nicht so ausufernd zu formulieren, dass unnötiger Druck entsteht.
Doch Salieu Ceesay antwortet auf die Frage, wann er persönlich die laufende Saison der Hamburg Sea Devils in der American-Football-Profiliga ELF als eine erfolgreiche bezeichnen würde, mit einem Satz, der ins Ziel geht wie ein Touchdown-Pass. „Erst wenn wir den Ring haben, ist es eine erfolgreiche Saison.“ Den Ring bekommt der ELF-Champion am 25. September in Klagenfurt.
Sea Devils: Seesay kennt die Schattenseiten des Sports
Meister zu werden also, nichts anderes zählt. Wer so spricht, der muss sich seiner Sache sicher sein. Und lässt gleichzeitig tief blicken auf die Einstellung, mit der er ans Werk geht. Denn wer stets nach dem Höchsten strebt, kann tief fallen. Andererseits wird, wer sich nicht Großes vornimmt, auch klein bleiben.
Insofern passt die Antwort des 24 Jahre alten Quarterbacks der Hamburg Sea Devils auf das, was ihn in seiner bisherigen Karriere begleitet hat, perfekt. Denn hätte der Spielmacher nicht gelernt, seine Zweifel zu besiegen und sich auf das zu konzentrieren, was er beeinflussen kann, dann würde er jetzt nicht als junger deutscher Quarterback das Spiel des Vizemeisters der ELF-Premierensaison 2021 lenken.
Ceesay wirkte zu Beginn bei den Sea Devils nervös
Viel war geredet und geschrieben worden zu Saisonbeginn über den in Lübeck geborenen Sohn einer Deutschspanierin und eines Gambiers. Ob einer, der wegen Corona nicht einmal in der deutschen Topliga GFL für die Elmshorn Fighting Pirates seine Qualitäten nachweisen durfte, auf höchstem kontinentalen Niveau Pässe werfen oder Touchdowns erlaufen könne?
Die ersten Wochen der Spielzeit 2022 gaben den Zweiflern viel Nahrung. Ceesay wirkte nervös, er traf unter Druck zu oft die falsche Entscheidung, weil er sich zu sehr auf seine flinken Beine verlassen anstatt den einfachen Pass zum Mitspieler anbringen wollte.
Doch als die Unkenrufe lauter wurden, schaltete Cheftrainer Charles Jones auf Durchzug. „Sally spielt sicherlich noch nicht das, was wir von ihm erwarten dürfen. Aber ich werde an ihm festhalten bis zum Ende der Saison, egal was kommt“, sagte der US-Amerikaner, der sich bei seiner Amtsübernahme im Winter bewusst für Salieu Ceesay entschieden hatte.
Hamburg Sea Devils: Trainer setzt auf Ceesay
Und spätestens seit vergangenem Sonntag, als dieser ausgerechnet im direkten Duell mit seinem Vorgänger Jadrian Clark, hinter dem er in der vergangenen Saison als Back-up agierte, vier Touchdowns zum 40:16-Sieg bei Düsseldorf Rhein Fire beisteuerte, wissen alle, was der Headcoach in seinem jungen Anführer sieht.
Ceesay selbst bleibt, obwohl ihm der Wind nun in den Rücken statt ins Gesicht bläst, angenehm gelassen. Er sei grundsätzlich nicht der Typ, der seinen Namen google oder Zeitungen nach Artikeln über sich scanne. „Ich habe einiges zugeschickt bekommen, aber ich lasse mich davon weder im Positiven noch im Negativen beeinflussen. Ich ziehe meine Motivation daraus, dass ich mir selbst positiven Druck mache, denn wenn ich bequem werde, suche ich keine Veränderung mehr. Ich weiß, was in mir steckt und was ich kann. Und ich bin noch lange nicht am Ende meiner Entwicklung angekommen“, sagt er.
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Angefangen hat diese Entwicklung im Jugendfootball, in dem er bis auf Offensive Line alle Positionen spielte, aber sich oft ärgerte, so selten den Ball zu bekommen. Sein damaliger Trainer bei den Lübeck Cougars sagte ihm: „Du bist gut auf den Beinen und wirfst den Ball stark. Du solltest Quarterback werden.“ Also wurde der heute 194 Zentimeter große Topathlet Spielmacher – und er ist überzeugt, „dass es in Deutschland nicht viele gibt, die so gute Beine und so einen starken Arm haben wie ich“.
Ceesay muss traumatisches Ereignis verarbeiten
Weil die Talentsichter seine Meinung teilten, wechselte Salieu Ceesay mit 16 an eine Highschool in San Bernardino (Kalifornien) – mit dem Traum im Hinterkopf, es in die US-Eliteliga NFL zu schaffen. Nach zwei Jahren ging es ans Azusa Pacific College, wo er Psychologie studierte. Doch ein traumatisches Erlebnis beendete seine Träume jäh, als er an seinem 21. Geburtstag in Begleitung seines Gastbruders in einer wohlsituierten Wohngegend von einer Jugendbande mit vorgehaltener Schusswaffe ausgeraubt wurde.
Körperlich hinterließ der Vorfall zum Glück keine Spuren, seelisch aber umso mehr. „Es war eine Verkettung verschiedener Vorfälle, die dazu geführt haben, dass ich nach Deutschland zurückwollte, aber dieses Erlebnis war der Auslöser“, sagt er.
Bei seinem Heimatverein half man ihm mit der Verarbeitung des Geschehenen, dort fasste er wieder Mut, an seiner Footballkarriere zu arbeiten – und kam in Kontakt mit Max Paatz, der damals in Elmshorn arbeitete und heute Sea-Devils-Geschäftsführer ist. „Dass man mir in dieser Saison die Chance gegeben hat, als Starting Quarterback zu spielen, ist eine große Ehre und ein Geschenk, das ich nutzen möchte“, sagt Salieu Ceesay, der in Lübeck vormittags als Fitnesstrainer in einem Studio arbeitet.
Ceesay ist es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen
Was ihn zu einem Anführer macht, glaubt der Basketball-Fan aus den Reaktionen seiner Mitspieler herauslesen zu können. „Ich denke, dass ich ein sehr guter Teamspieler bin“, sagt er. Fehler suche er niemals bei anderen zuerst, sondern stets bei sich selbst. „Mir ist durchaus bewusst, dass ich als Quarterback im Fokus der Öffentlichkeit stehe und alle Augen auf mich gerichtet sind. Aber ich weiß genauso gut, dass ich ohne meine Mitspieler gar nichts wäre. Das ist die Voraussetzung dafür, Verantwortung für eine Mannschaft übernehmen zu können“, sagt er.
In all seinen Mannschaften habe er Führungsrollen innegehabt. „Das gibt mir jetzt das Selbstvertrauen, es auch in der besten Liga Europas schaffen zu können“, sagt er.
Zwei Gründe hat er für den Höhenflug der vergangenen Wochen ausgemacht. Zum einen hat er kürzlich seine Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer abgeschlossen, die viel Energie gefressen habe. Zum anderen ist mit John Shoop seit einigen Wochen ein NFL- und College-erfahrener Spezialtrainer im Stab von Charles Jones dabei, der sein Spiel auf ein anderes Level gehoben habe. „Ich bin seit 15 Jahren im Football, aber er sagt mir Dinge, die ich vorher noch nie gehört habe. Dadurch bin ich auf dem Feld viel ruhiger geworden und mache die einfachen Dinge richtig. Diese Konzentration hatte mir anfangs manchmal gefehlt“, sagt er.
An diesem Sonntag (15 Uhr, Stadion Hoheluft) will Salieu Ceesay im Heimspiel gegen die Istanbul Rams daran anknüpfen. Dass die Türken mit dem Team, das den Sea Devils vor drei Wochen mit 0:70 unterlegen war, nach einer Entlassungswelle nur noch wenig gemein haben, interessiert ihn nicht. „Wir bleiben bei uns und wissen, dass wir unseren Job machen müssen“, sagt er. So lange, bis dieser Ring an seinem Finger steckt.