Dank eines cleveren Schachzugs von Bondscoach Louis van Gaal steht Oranje wieder im Halbfinale einer WM. Der Matchwinner muss allerdings Konsequenzen befürchten.
Salvador da Bahia. Erst zauberte er den Helden des Abends aus dem Hut, dann genoss Magier „Louis van G(eni)aal” den rauschenden Beifall seiner Kritiker. „Ich bin ein bisschen stolz, dass dieser kleine Trick uns weitergebracht hat”, sagte der Bondscoach der Niederlande nach seinem Trainer-Kunststück der besonderen Art, für das ihn die belgische Zeitung Het Laatste Nieuws mit der leichten Abänderung seines Namens in großen Lettern feierte.
Als die herkömmlichen Mittel zum Halbfinaleinzug nicht gereicht hatten, überraschte der ehemalige Bayern-Coach mit einem WM-Novum und wechselte Sekunden vor Schluss seinen Ersatztorhüter ein. Tim Krul, seit Wochen im Sondertraining, wurde mit zwei Paraden beim 4: 3 im Elfmeterschießen gegen Costa Rica prompt zum Matchwinner.
„Goldene Wahl” titelte De Telegraaf, und Volkskrant schrieb vom „Meisterstück” und der „soundsovielten wundersamen Geschichte” über das „Genie” van Gaal. All die, die den eigenwilligen Trainer wegen seiner umstrittenen Defensivtaktik gerügt hatten, applaudierten. Der General, der schon in drei der vier WM-Spiele zuvor den Siegtorschützen eingewechselt hatte, hatte wieder alles richtig gemacht. Jetzt steht Oranje am Mittwoch (22.00 Uhr MESZ/ARD) gegen Argentinien im Halbfinale.
Ein persönlicher Triumph über die Kritiker sei dies aber nicht, meinte der in den höchsten Tönen Gelobte, „das habe ich nicht nötig”. Beinahe hätte der Zaubertrick auch gar nicht funktioniert. Krul, 26, erst seit dieser Saison die Nummer eins beim englischen Premier-League-Klub Newcastle United, hatte sich schon lange warmgemacht, als die Zeit knapp wurde. Erst in der Nachspielzeit der Verlängerung, als es immer noch 0:0 stand, kam es doch noch zum Wechsel. „Das war ein bisschen knifflig”, gab van Gaal zu.
Allerdings handelte sich Krul auch Ärger ein. Weil er auf die Schützen einredete und wild vor ihrer Nase gestikulierte, droht ihm eine Untersuchung der FIFA.
Der in den Plan nicht eingeweihte Stammtorwart Jasper Cillessen, der in seiner Karriere noch nie einen Elfmeter gehalten hat, reagierte wütend, kickte eine Wasserflasche um und fühlte sich „schwer getroffen”. Doch als Krul die Schüsse von Bryan Ruiz und Michael Umana abgewehrt hatte, war der Keeper von Ajax Amsterdam einer der ersten, die dem Elfmetertöter um den Hals fielen. 7,6 der 16 Millionen Niederländer waren um 0.47 Uhr TV-Zeugen.
„Wahnsinn”, meinte auch Bayern-Star Arjen Robben, der wie Robin van Persie, Wesley Sneijder und Dirk Kuyt seinen Elfer souverän verwandelt hatte, „heute hat Tim für uns gewonnen.” Gar nicht mehr anzutreten brauchte der letzte Schütze Klaas-Jan Huntelaar. „Gute Freunde lassen mich eigentlich schießen”, flachste der Schalker, „aber er hat zweimal gehalten. Da kann ich ihm nicht böse sein.”
Der Held aus dem Hut war völlig außer sich. „Ich begreife es nicht”, sagte Krul, „ein Kindheitstraum ist wahr geworden.” Weil er sechs Zentimeter größer ist als Cillessen, hatte van Gaal ihn eingewechselt, „wenn es nicht funktioniert hätte, hätten mich alle für verrückt erklärt”.
Dass die Nummer auch schiefgehen kann, erlebte der damalige Fürther Trainer Mike Büskens im DFB-Pokalhalbfinale 2012: Vom eigens für das Elfmeterschießen eingewechselten Jasmin Fekciz prallte Sekunden vor Schluss ein Pfostenschuss zum 0:1 gegen Dortmund ins Tor.
Kein Glück im Elfmeterschießen hatte diesmal Keylor Navas, der erneut überragende Torhüter der Ticos, der den Favoritenschreck überhaupt erst ins Viertelfinale geführt hatte. „Diesmal hat es leider nicht geklappt”, sagte der Keeper, der mit mehreren Glanzparaden vor allem gegen Sneijder ein Aus schon in den ersten 90 Minuten verhindert hatte.
„Trotzdem bin ich dankbar, dass wir unser Land so gut vertreten haben”, fügte er an. Nach dem historischen ersten WM-Viertelfinale war das Fußball-Märchen der Mittelamerikaner zu Ende - durch einen Zaubertrick von Louis van G(eni)aal.