Der ehemalige Hamburger soll heute bei der WM Portugals Superstar Cristiano Ronaldo stoppen. Sein großer Vorteil: Er weiß, wie das geht. Dennoch sieht sich der 25-Jährige lieber in der Innenverteidigung.
Santo André. Dank Cristiano Ronaldo weiß die Welt, dass Mann eitel sein darf. Der Portugiese lackiert sich gern die Fußnägel schwarz und stylt sich um, wenn ihm der Sinn danach steht. Und macht sich der Sinn in der Halbzeitpause bemerkbar, dann wird sich kurzerhand auch neu frisiert. Die Eitelkeit hat natürlich immer einen Grund: So erzählte Ronaldo, er rasiere sich das Hinterteil – allein der reinen Aerodynamik halber, versteht sich: „Es kommt auf Kleinigkeiten an, um noch schneller zu werden“, sagte der 29-Jährige.
Ronaldo ist also der Typ Superstar, den seine Superkräfte irgendwie in eine andere Realität verfrachtet haben. Bei solchen extravaganten Zeitgenossen ist es aber nun mal so, dass jede noch so kleine Kleinigkeit zur Nachricht wird. Zuletzt waren es meist größere Kleinigkeiten über seinen Gesundheitszustand, die für helle Aufregung sorgten: Wird Ronaldo rechtzeitig fit für das erste Gruppenspiel gegen Deutschland an diesem Montag (18 Uhr/ARD, Liveticker bei abendblatt.de), fragten die Beobachter? Erst zickte die Hüfte ein bisschen. Dann war es das Knie.
Vor wenigen Tagen ging ein Bild um die Welt, das den Flügelspieler vom Champions-League-Sieger Real Madrid mit einem dicken Eisbeutel auf dem Gelenk zeigte. Das Training brach er ab, und wie zum Beweis der Dramatik jenes Sachverhalts folgte eine weitere Fotografie, auf der Ronaldo die Hände vor das Gesicht hielt. Das Problem mit Ronaldo ist nämlich, dass sich unter der ganzen Extravaganz ein Spieler verbirgt, der seinesgleichen sucht. Könnte der Weltfußballer also gegen das Team von Bundestrainer Joachim Löw nicht auflaufen, hätte Portugal den Großteil seines Schreckens verloren.
Jérôme Boateng hat das ganze Vorgeplänkel kaltgelassen. Der 25-Jährige weiß, dass solch vermeintliche Hiobsbotschaften gern zur Inszenierung vor großen Spielen dazugehören. Dass Ronaldo nun selbst sagt, er sei zu 99,9 Prozent fit, hat Boateng darin bestätigt. Er hat sich einfach weiter mit ihm beschäftigt und das Dossier durchgearbeitet, das ihm die Sporthochschule Köln über den Portugiesen zur Verfügung gestellt hat. Darin haben die Analytiker alle Fakten zu Ronaldo zusammengetragen: Die 100 Meter legt er in 10,3 Sekunden zurück, steht dort geschrieben. Sein Körperfettanteil liege bei unter zehn Prozent. „Er hat einen super Schuss, links wie rechts, ist kopfballstark und hat sehr gute Laufwege“, sagt Boateng.
Boateng will lieber in der Innenverteidigung spielen
Die intensive Beschäftigung mit Portugals Koryphäe hat seinen Grund: Im ersten deutschen Gruppenspiel gegen die Iberer – das 100. WM-Spiel der DFB-Auswahl insgesamt – wird auf den Abwehrspieler vom FC Bayern die Aufgabe zukommen, Ronaldo in Schach zu halten. Weil Löw Kapitän Philipp Lahm im zentralen Mittelfeld benötigt, muss Boateng den Posten rechts in der Viererkette übernehmen.
Einfach wird das nicht für Boateng. Zum einen wegen Ronaldos Extraklasse selbst – natürlich. Zum anderen aber auch, weil der gebürtige Berliner eine gesamte Saison lang in München ausschließlich als Innenverteidiger auflief. „Das ist ein ganz anderer Rhythmus“, sagt Boateng über die neue Aufgabe. Gern lasse er sich nicht nach rechts verpflanzen, sagt er. „Jeder weiß, dass ich lieber innen spielen würde. Dort fühle ich mich pudelwohl. Aber ich versuche, der Mannschaft bestmöglich zu helfen.“
Trotz der ungünstigen Umgewöhnung für Boateng hat sich Löw entschieden, den Sohn einer Deutschen und eines Ghanaers, der einst bei Hertha BSC zum Bundesligaprofi reifte, rechts aufzubieten. Bei Hertha und dem HSV begann Boateng seine Karriere als Außenverteidiger und rückte erst später ins Abwehrzentrum.
Wie man Ronaldo aus der Partie nimmt, weiß er allerdings bestens. Beim ersten deutschen Gruppenspiel der EM 2012 in Polen und der Ukraine gewann Löws Team auch deshalb 1:0, weil Boateng Ronaldo nahezu komplett im Griff hatte.
Löw fordert einen „Auftakt nach Maß“
Für Boateng war der starke Auftritt 2012 gegen Ronaldo wichtig, denn zuvor war er wegen eines Damenbesuchs etwas in Ungnade beim Bundestrainer gefallen: „Jérôme hat das damals gegen Ronaldo sehr gut gemacht“, sagt Löw heute. Nun erwartet er nicht weniger als die Wiederholung der Heldentat, was die Chancen auf einen erfolgreichen Start ins Turnier steigern würde. „Es wäre gut, wenn wir gleich zu Beginn ein Ausrufezeichen setzen könnten“, sagt Löw. Ein Sieg würde Kraft freisetzen. „Ich wünsche mir einen Auftakt nach Maß.“
Löws Respekt vor Portugal und Ronaldo ist groß: „Portugal ist der Weltmeister des Konterspiels“, sagt er. Zehn der letzten zwölf Tore erzielten sie nach rasanten Gegenstößen. Dem pfeilschnellen Ronaldo komme dabei eine zentrale Rolle zu. Er sei ein Spieler, den man, habe er erst einmal den Ball am Fuß, kaum aufhalten könne. „Deshalb muss bei uns in der Abwehr immer die Frage sein: Was macht Ronaldo? Wo ist Ronaldo?“ Es sei eine „Frage der Wachsamkeit“, so der 54-Jährige.
Auch bei Boateng hat Ronaldo zuletzt mächtig Eindruck hinterlassen. Im Champions-League-Halbfinale düpierte er mit den Madrilenen die Münchner, und auch Boateng sah wenig souverän aus. „Aus meiner Sicht hat Ronaldo noch einmal Fortschritte gemacht, ist besser geworden. So einen Superspieler kann man nicht 90 Minuten lang ausschalten. Einer allein schon gar nicht. Wir müssen als Mannschaft zusammenarbeiten, um ihn in Schach zu halten“, sagt Boateng. Dass Ronaldo noch nie ein Spiel gegen Deutschland gewonnen hat und nicht einmal ein einziges Tor erzielten konnte, erwähnt er nicht.
Ohnehin könnte es sein, dass die Fokussierung auf „CR7“ ein wenig fahrlässig ist. Denn seit 2003 haben die Portugiesen 57 Prozent ihrer Länderspiele gewonnen, wenn Ronaldo mitmischte. 54 Prozent waren es, wenn er fehlte. Mit Ronaldo gelangen in jenem Zeitraum durchschnittlich 1,95 Tore pro Spiel – ohne ihn 1,93. Der Faktor Ronaldo, so scheint es, ist also gar nicht so groß. Boateng geistert er dennoch im Kopf herum. Er sei nicht umsonst Weltfußballer geworden, sagt der Münchner.
Aber ist er deshalb auch der beste der Welt? „Nein!“, antwortet Boateng. „Für mich ist und bleibt Lionel Messi der Beste!“ Der Argentinier ist der Dauerrivale Ronaldos um die Etikette als anerkannt weltbester Kicker. „Aber das ist meine persönliche Meinung: Ich bin einfach Messi-Fan“, sagt Boateng. Sollte Ronaldo von dieser Einschätzung Wind bekommen, dürfte es ihn noch einmal zusätzlich motivieren. Die Eitelkeit wird ihn antreiben.