Hamburg/Linz. Nach neun Jahren geht der Kapitän von Bord. Eines seiner letzten Kapitel war der Prämienstreit, über den er eine klare Meinung hat.
Noch stehen die meisten Möbel und weitere Utensilien in seiner Wohnung in Lokstedt. Doch mit dem Kapitel Hamburg wird Philipp Ziereis spätestens abgeschlossen haben, wenn er Mitte Juli die bisherige Bleibe endgültig räumt und sich der Umzugs-LKW Richtung Oberösterreich in Bewegung setzt. Nach neun Jahren beim FC St. Pauli war der Vertrag des 29 Jahre alten Innenverteidigers, der in der vergangenen Saison auch Mannschaftskapitän war, nicht mehr verlängert worden.
Am 10. Juni unterschrieb er einen Dreijahreskontrakt beim Linzer ASK aus der österreichischen Bundesliga, startete damit einen neuen Abschnitt seiner Karriere und ist derzeit schon mitten in der Vorbereitung auf die neue Saison.
FC St. Pauli: Ziereis zieht Bilanz
Bisher hatte sich Ziereis öffentlich nicht über seinen emotionalen und unfreiwilligen Abschied vom FC St. Pauli geäußert, jetzt aber sprach er mit dem Abendblatt ausführlich und exklusiv über sein knappes Jahrzehnt am Millerntor, den verpassten Aufstieg, die Umstände des Abschieds und über seine neuen Ziele in Österreich.
„Es war eine wunderschöne Zeit in einer sehr geilen Stadt mit einem besonderen Verein“, fasst Ziereis die neun Jahre beim FC St. Pauli zusammen. „Ich habe viele klasse Typen kennengelernt und Freunde gewonnen. Dazu kommt, dass ich in Hamburg Papa geworden bin. Das bleibt hängen“, sagt er weiter. Vom eher schüchternen Jungprofi, der vom SSV Jahn Regensburg aus der heimischen Oberpfalz in den unbekannten Norden kam, entwickelte sich Ziereis im Laufe der Jahre zu einem gestandenen Zweitligaprofi und Führungsspieler. Dazu wurde er im Januar dieses Jahres mit der Geburt seines Sohnes Lio erstmals Vater.
Ziereis erst vier Tage vorher informiert
Um das Ende seiner Zeit in der Hansestadt und beim FC St. Pauli zu verarbeiten, brauchte er doch ein paar Wochen. Dafür war es einfach zu unerfreulich, wie die ganze Sache abgelaufen war. „Ich bin erst vier Tage vor dem Spiel gegen Fortuna Düsseldorf informiert worden, dass es für mich bei St. Pauli nicht weitergeht. Davor gab es auch keine Verhandlungen“, berichtet Philipp Ziereis. Zur Erinnerung: Das Heimspiel gegen Düsseldorf am 15. Mai war das letzte Match der Saison.
Davor habe es lediglich in der Länderspielpause im März ein Gespräch mit Trainer Timo Schultz gegeben. „Da wurde mir mitgeteilt, dass Stand jetzt keine Entscheidung getroffen worden ist. Danach gab es bis vor dem Spiel gegen Düsseldorf kein Gespräch mehr mit mir oder meinem Berater“, berichtet Ziereis und widerspricht damit der vereinsseitigen Darstellung, die betroffenen Spieler hätten lange vor dem Saisonende gewusst, wie es um sie steht und ob sie eine Zukunft am Millerntor haben oder eben nicht.
Natürlich hätte Ziereis in den Wochen vor dem Saisonende auch mal bei Sportchef Andreas Bornemann nachfragen können, ob er denn mit einer Vertragsverlängerung rechnen könne. Das allerdings hätte naturgemäß seine Verhandlungsposition geschwächt. „Ich denke, das kann jeder verstehen. Ich war ja nicht in der Situation, dass ich auf Teufel komm raus bleiben musste. Für mich gab es genügend Optionen. Wenn der Verein mit mir hätte verlängern wollen, wäre ich aber immer gesprächsbereit gewesen“, stellt er klar.
Ziereis trauert verpasstem Aufstieg hinterher
Neben der Art und vor allem dem Zeitpunkt, wie ihm die Nicht-Verlängerung seines Vertrages mitgeteilt wurde, war natürlich auch der verpasste Bundesliga-Aufstieg nach der überragenden Hinrunde (36 Punkte) ein Thema, das es in den Wochen nach Saisonende erst einmal zu verarbeiten galt. „Ich Nachhinein ist es unfassbar schade, dass wir diese große Chance nicht nutzen konnten. Schon mit einer einigermaßen vernünftigen Rückrunde wären wir ein, zwei Spieltage vor Schluss durch gewesen“, sagt er. Doch die in der zweiten Saisonhälfte nur noch 21 zusammengekratzten Zähler (Platz 13) waren eben sechs zu wenig für Platz zwei.
„Wir wollten als Mannschaft unbedingt hoch. Am Ende aber waren es sehr viele verschiedene Gründe, warum wir unsere Leistung der Vorrunde nicht mehr so konstant abrufen konnten. Es gab nicht diesen einen Grund, es war eine Kombination“, sagte Ziereis jetzt.
Einer dieser vielen Faktoren war auch der Rollenwechsel, der nach der kurzen Winterpause allen klar wurde. Als Herbstmeister hatte das Team plötzlich etwas zu verlieren und wurde sich dessen auch bewusst. „Wir haben uns als Jäger immer leichter getan, als wenn man oben steht. Als Gejagter ist man natürlich in einer anderen Rolle“, räumt er ein.
Ziereis sauer über öffentlich gewordenen Prämienstreit
Und dann war da ja im April auch noch das Thema des an die Öffentlichkeit gelangten Gesprächs des Mannschaftsrates mit Sportchef Bornemann über die Pokalprämie für den Sensationssieg über Borussia Dortmund rund drei Monate vorher und eine Aufstiegsprämie. „Dass dieses Gespräch in der Zeitung gelandet ist, geht natürlich gar nicht. Wer immer das war – wir werden es wahrscheinlich nie erfahren“, sagt Ziereis.
Dass allerdings im Nachhinein der Mannschaftsrat öffentlich mehrmals gerügt wurde, überhaupt und ausgerechnet nach dem enttäuschenden 1:1 beim SV Sandhausen wegen der Prämien vorstellig geworden zu sein, war ebenso irritierend. „Man kann sich über den Zeitpunkt sicher streiten, einen idealen Zeitpunkt gibt es nie. Aber es war unsere Aufgabe als Mannschaftsrat, solche Dinge für die gesamte Mannschaft zu regeln. Ich versichere, dass wir keine Unsummen, sondern ganz normale Prämien gefordert haben“, stellt Ziereis klar.
St. Pauli: Warum Ziereis nach Linz wechselt
Ab jetzt aber geht für den Abwehrspieler, der 162 Zweitligaspiele absolviert hat, der Blick nur noch nach vorn. Dabei freut er sich vor allem darauf, eine neue Liga kennenzulernen und die Chance zu besitzen, auch noch einmal auf europäischer Ebene zu spielen. „In der Zweiten Liga habe ich so gut wie alles mitgemacht. Daher habe ich den Schritt nach Österreich auch ganz bewusst gemacht, um mal etwas anderes zu sehen“, sagt er. Das Gesamtpaket habe einfach gestimmt. „Hier beim LASK entsteht richtig etwas, im Februar wird das neue Stadion fertig. Das wird dann richtig top“, schwärmt er schon jetzt. „Ich bin hier, glaube ich, für eine Führungsrolle geholt worden. Die will ich auch ausfüllen. Den Anspruch habe ich an mich selbst.“
Auch wenn die Kennenlernphase mit Trainer Dietmar Kühbauer, dem 55-fachen Nationalspieler des Alpenlandes, noch nicht abgeschlossen ist, ist Ziereis schon von ihm angetan: „Er hat den typischen Wiener Schmäh, ist ein sehr direkter, ehrlicher Typ und immer für einen guten Spruch zu haben. Er kann aber auch dazwischenfunken, wenn es nicht läuft.“
Nach Testspielen gegen 1860 München und Europa-League-Sieger Eintracht Frankfurt steht für Ziereis und den Linzer ASK am 16. Juli das Pokalspiel gegen den SC Schwaz als erste Pflichtaufgabe auf dem Programm. Am selben Tag also, wenn der FC St. Pauli gegen Nürnberg in die neue Saison startet – die erste ohne Ziereis seit 2013.
Lediglich 14 Feldspieler nahmen am Dienstag am Mannschaftstraining des FC St. Pauli teil, dazu die beiden Torhüter Dennis Smarsch und Nikola Vasilj. Neben den verletzten Etienne Amenyido, David Nemeth, Adam Dzwigala und Sören Ahlers fehlten auch Afeez Aremu, Jackson Irvine, Jannes Wieckhoff, Franz Roggow und Niklas Jessen. Christopher Avevor trainierte erneut individuell. Am offiziellen Termin für das Mannschaftsfoto und die Einzelporträts nahmen am Nachmittag aber alle derzeit für die kommende Saison unter Vertrag stehenden Spieler teil.