Sandhausen. Der Kiezclub verschenkt den Sieg beim SV Sandhausen in letzter Minute. Schultz übt Kritik an der Körpersprache seiner Elf.

Timo Schultz stand noch lange nach Spielende mit seinen Co-Trainern Loic Favé und Fabian Hürzeler nahe des Mittelkreises im Sandhäuser BWT-Stadion. Das Trio beriet sich, Hürzeler gestikulierte immer wieder, alle vereint in tiefer Frustration.

„Ich höre mir nach einem Spiel immer ihr Feedback an. Manchmal steigen wir direkt in die Analyse ein. Heute haben wir uns zusammen geärgert“, sagte Schultz. Und was gab es als Grund zum Ärgern! Völlig unnötig verschenkte der FC St. Pauli beim schwachen SV Sandhausen in der Nachspielzeit einen Pflichtsieg. Die Spieler des Aufstiegskandidaten schlichen nach dem 1:1 wie Verlierer vom Platz. Einfacher als am Ostersonnabend wird es in dieser Saison nicht mehr.

FC St. Pauli ließ sich von Sandhausen einlullen

Selbst Trainer Schultz hielt nur in der Pressekonferenz an seiner „Wir haben wieder einen Punkt mehr auf dem Konto“-Durchhalteparole fest. Anschließend gestand er: „Gefühlt sind es fünf Punkte weniger, wir haben uns das selbst zuzuschreiben.“ Und wie.

Der Ausgleichstreffer war dabei mehr Symptom denn Ursache. Rechtsverteidiger Adam Dzwigala, der bis dahin eine gute Leistung gezeigt hatte, hätte die Ecke vor dem 1:1 verhindern können, setzte aber nicht entschieden nach. Sinnbildlich für den Auftritt in der zweiten Hälfte. Sandhausen lullte St. Pauli ein, St. Pauli ließ sich widerstandslos einlullen.

St. Pauli nahm sich Beispiel an Sandhausen

Kurz nach Wiederbeginn schrieb Guido Burgstaller noch eine Einladung zum Toreschießen in Schönschrift an Marcel Hartel (49.), doch dieser konnte sie nicht lesen. Von da an stellte der Tabellendritte das Fußballspielen weitgehend ein und nahm sich damit ein Beispiel an den Gastgebern.

Technische Fehler, fahrige Konter, mangelnder Punch. Letztgenannter Fakt hat schon Tradition ohne Daniel-Kofi Kyereh, der mit Oberschenkelproblemen fehlte, und ohne den die Braun-Weißen in nun vier Zweitligaspielen drei Punkte eingefahren haben. Am Montag absolvierte der Unverzichtbare immerhin wieder lockere Lauf- und Ballübungen.

"Körpersprache minütlich schlechter geworden"

In Sandhausen hätte St. Pauli aber auch ohne seinen Spielmacher gewinnen können, gewinnen müssen. Den Rüffel gab es vom Coach auch nicht fürs Spielerische, sondern fürs Mentale. „Nach einer guten Stunde ist unsere Körpersprache minütlich schlechter geworden, wir haben uns das Loch selbst gebuddelt.“ Tatsächlich wirkt es so, als verkrampfe St. Pauli in der entscheidenden Saisonphase. Die Zeit des unbeschwerten Hurrafußballs ist vorbei.

Timo Schultz hat es die gute Laune verschlagen: St. Paulis Trainer hatte einiges zu bemängeln.
Timo Schultz hat es die gute Laune verschlagen: St. Paulis Trainer hatte einiges zu bemängeln. © Witters

Es scheint, als hätten einige Spieler realisiert: Verdammt, nun geht’s um etwas, nun müssen wir liefern. Dass es für nicht weniger als neun Akteure sowie beide Co-Trainer, denen Schultz sehr nahesteht, um einen neuen Vertrag geht, dürfte einen kleinen Anteil daran tragen. Da kommt das Gerücht, dass laut 1860-München-Blog „dieblaue24“ Löwen-Sechser Dennis Dressel auf dem Zettel der Kiezkicker stehe und sich vergangene Woche in Hamburg mit Verantwortlichen des Vereins getroffen habe, sicherlich auch zur unpassenden Zeit.

Schultz präsentiert sich als variabler Übungsleiter

Der Zeitpunkt, die schwache Rückserie – in der Rückrundentabelle ist St. Pauli nur Zwölfter – am Trainer festzumachen, ist definitiv noch nicht gekommen. Schultz präsentiert sich als variabler, aber keineswegs aktionistischer Übungsleiter. Als sich in den Februar
hinein die Gegentore häuften, passte er sein System an, ließ fortan etwas vorsichtiger agieren, ohne den Fokus auf die spielstarke Offensive zu verlieren.

Auch die Dreierkette wird immer wieder versucht. In Sandhausen überraschten die Hamburger in der ersten Hälfte mit Flanken in Richtung von Simon Makienok, der bei der Montagseinheit fehlte. Als dieser Ansatz nicht fruchtete, wurde auf den bewährten Stil zurückgegriffen. Allein, die Spieler waren nicht durchweg in der Lage, diesen konsequent und vor allem kreativ genug umzusetzen.

Dennoch: Aller Schwierigkeiten zum Trotz ist die Ausgangssituation nach wie vor vielversprechend. Der Aufarbeitungsprozess des bitteren Unentschiedens begann direkt beim Montagstraining. Köpfe frei bekommen, Verkrampfung lösen. Die spielerischen Übungsreihen waren zum geringsten Teil zielführend für die kommende Entscheidungspartie gegen den viertplatzierten SV Darmstadt 98, sondern orientierten sich eindeutig daran, den Spielern wieder Spaß und Freude zu vermitteln.

Sie werden beides brauchen. Schultz wird es brauchen. Er möchte sich auch künftig gern mit seinen Co-Trainern, deren Verträge voraussichtlich in den nächsten Wochen verlängert werden, direkt nach Spielende gemeinsam im Mittelkreis ärgern. Doch nur bitte nicht im Sandhäuser Hardtwald. Der Freiburger Schwarzwald soll auch schön sein.

Die Statistik:

  • Sandhausen: Drewes – Ajdini (84. Kinsombi), Dumic, Zhirov, Okoroji – Zenga, Trybull (84. Kutucu) – Soukou (90.+1 Deville), Bachmann, Seufert (90.+1 Esswein) – Testroet.
  • St. Pauli: Vasilj – Dzwigala, Ziereis, Medic, Paqarada – Benatelli (72. Aremu) – Irvine, Hartel (90.+2 Beifus) – Amenyido (84. Ritzka) – Burgstaller (90.+2 Matanovic), Makienok (72. Dittgen).
  • Tore: 0:1 Burgstaller (38./FE), 1:1 Bachmann (90.+2).
  • Schiedsrichter: Brych (München)
  • Zuschauer: 7094
  • Gelbe Karten: Seufert (1).
  • Torschüsse: 7:6
  • Ecken: 9:4, Ballbesitz: 44:56 %, Zweikämpfe: 99:107