Hamburg. Das 0:3 gegen Hannover 96 war die erste Heimniederlage der Saison. Tabellenführung verloren. Trainer Schultz fordert mehr Disziplin.
Mit trotzigen, vereinzelten „St. Pauli, St. Pauli“-Gesängen versuchten wenige der 8470 Zuschauer am Millerntor nach Spielende noch etwas Aufmunterung. Aber insgesamt war die Stimmung auf dem Platz und den Rängen trostlos. Wäre St. Pauli ein „normaler“ Verein, dann wäre die Mannschaft nach dem Ende gnadenlos ausgepfiffen worden. So herrschte Stille, als Trainer Timo Schultz im Kreis seine Schlussansprache hielt. 0:3 (0:1) gegen Hannover 96, der FC St. Pauli hat die erste Heimniederlage der Saison kassiert, die Tabellenführung verloren – und schlimmer noch: wohl auch den Glauben an den Aufstieg. „Es war ein sehr gebrauchter Tag für uns“, sagte Schultz.
Als in der 80. Minute auch noch der Wiederholungselfmeter von Daniel-Kofi Kyereh an die Unterkante der Latte knallte und von dort aus dem Tor sprang, war endgültig klar: An diesem grauen Sonntag am Millerntor ging nichts mehr. Unmittelbar zuvor war Guido Burgstaller mit dem Strafstoß an Torwart Ron-Robert Zieler gescheitert, der sich allerdings zu früh bewegt hatte.
FC St. Pauli hat ein Defensivproblem
Im sechsten Ligaspiel in Folge kassierten die „Boys in Brown“ mindestens zwei Gegentore. Die löchrige Abwehr ist zu einem entscheidenden Problem geworden. Dass Kapitän Philipp Ziereis und James Lawrence angeschlagen fehlten und Adam Dzwigala erstmals an der Seite des verunsichert wirkenden Jakov Medic in der Innenverteidigung spielte, machte das Defensivproblem nicht besser. Gegen die cleveren und kompakten Niedersachsen waren die Fehler hinten vorne nicht mehr auszugleichen. „Wir lassen zu viele Großchancen zu. Wir müssen auch bei Rückstand stabiler bleiben“, weiß Schultz.
Dominik Kaiser (40. Minute), Sebastian Kerk (57.) und Sebastian Stolze (72.) nutzen einige der zahlreichen Unsicherheiten in St. Paulis Wackelabwehr zum verdienten Erfolg, der bei konsequenter Chancenauswertung auch noch höher hätte ausfallen können. 96 bleibt so ein Angstgegner für St. Pauli. Seit April 1994 gab es keinen Heimsieg mehr.
Die Befürchtungen nach den Trainingseinheiten der vergangenen Woche hatten sich bestätigt. Ziereis, Lawrence, Maximilian Dittgen, Etienne Amenyido – alle angeschlagen und nicht spielfit. Trotz der vielen Änderungen begann St. Pauli gewohnt schwungvoll. Die Blitzstarter der Liga, die in der Anfangsviertelstunde so viele Treffer erzielt haben wie sonst kein Team, übernahmen sofort die Initiative und hatten schon in der zweiten Minute eine gute Chance, als Kyereh einen Steckpass auf Marcel Hartel spielte, der erst in letzter Sekunde abgegrätscht wurde. Vier Minuten später hatte Hartel den in der Anfangsphase sehr aktiven Kyereh freigespielt, dessen Schuss war aber zu zentral und kein Problem für Torwart Ron-Robert Zieler.
„Mit der ersten Halbzeit war ich noch zufrieden, wir haben uns auch Chancen erarbeitet“, analysierte der Trainer: „In der zweiten Hälfte war es nicht mehr gut. Da haben wir Wildwest gespielt und zu viele Ballverluste gehabt. Wir müssen lernen, die Ordnung zu wahren und geduldiger zu sein.“
Keeper Vasilj rettete gegen Teuchert
Dass Hannover bei seinen Gegenangriffen gefährlich und St. Paulis Abstimmung in der Innenverteidigung nicht perfekt war, zeigte sich schon in der zehnten Minute, als Marcel Franke völlig freistehend zentral einen Freistoß von Mark Diemers um Zentimeter verpasste. Kein brauner Verteidiger weit und breit. So ging es weiter: In der 29. Minute klärte Torwart Nikola Vasilj einen Schuss von Cedric Teuchert. Vasilj konnte auch mit viel Glück in der 38. Minute das erste Gegentor – noch – verhindern.
Kerk köpfte den Bosnier praktisch auf der Linie an, statt den Ball neben den Pfosten einzunicken. Zwei Minuten danach war St. Paulis Glück aber aufgebraucht. Nach einer Fehlerkette in der Abwehr stand Kaiser in der Mitte völlig frei und besorgte die verdiente Führung für 96. „Die Positionierung nach Ballverlusten ist nicht gut, da waren wir schon deutlich weiter“, bemerkte Schultz.
Es war allein Vasilj zu verdanken, dass der Rückstand zur Halbzeit nicht höher war. Der Keeper rettete mit einem Fußreflex gegen Teuchert, nachdem sich Dzwigala böse in einem Laufduell verschätzt hatte. Nach dem Wechsel bemühten sich die Hausherren zwar noch einmal mit frischem Elan um den Ausgleich. Zieler rettete jedoch gegen einen Kopfball von Burgstaller in der 52. Minute erstklassig.
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Spätestens als Stolze nach einem erneuten Chaos in der Innenverteidigung zum 0:3 erhöht hatte (72.), war die Partie gelaufen. Nur Burgstaller bewarb sich noch um einen Fairplay-Preis (Text unten). „Ihr seid eine super Mannschaft“, tröstete 96-Coach Christoph Dabrowski die Verlierer: „Ich bin überzeugt, dass ihr bis zum Schluss oben mitspielen werdet.“ Daran zu glauben, fällt derzeit schwer.
St. Pauli: Vasilj – Zander (71. Ohlsson), Dzwigala, Medic, Paqarada – Smith (61. Aremu) – Becker (61. Irvine), Hartel – Kyereh (85. Daschner) – Burgstaller, Matanovic (61. Makienok). Hannover: Zieler – Dehm (80. Muroya), Franke, Börner – Stolze (80. Krajnc), Kaiser, Diemers, Hult – Kerk – Teuchert (74. Maina), Beier (87. Hinterseer). – S: Dankert (Rostock). – Tore: 0:1 Kaiser (40.), 0:2 Kerk (57.), 0:3 Stolze (72.). – Z.: 8470. – Gelb: Becker (2) – Dehm (4), Börner (7). – Besonderes Vorkommnis: Kyereh schießt Foulelfmeter an die Latte (81.). – Torschüsse: 12:17. – Ecken: 7:13 . – Ballbesitz: 57:43 %. – Zweikämpfe: 82:90