Hamburg. Nur sechs Zweitligaclubs beschäftigen einen Sportpsychologen – der FC St. Pauli ist einer davon. Christian Spreckels über seine Arbeit.
Seit Spätsommer 2020 gehört der Sportpsychologe Christian Spreckels (57) zum Trainerteam des FC St. Pauli. Cheftrainer Timo Schultz (44) hatte nach seiner Amtsübernahme am 12. Juli Wert darauf gelegt, dass auch der Bereich Mentaltraining und Psychologie im Profiteam wieder von einem ausgewiesenen Fachmann mit Leben gefüllt wird. Sein Vorgänger Jos Luhukay (58) hatte dies für unnötig befunden und dafür gesorgt, dass die zuvor bei St. Pauli tätige Sportpsychologin Frauke Wilhelm (48) nicht mehr beschäftigt wurde.
Bisher arbeitet Spreckels mit den Spielern des aktuellen Zweitliga-Spitzenreiters weitgehend im Verborgenen, gelegentlich ist er am Rande der Trainingseinheiten als aufmerksamer Beobachter zu sehen. Gesprächsanfragen wurden bislang abgelehnt. Jetzt allerdings gab Spreckels auf der Homepage der Universität Hamburg, bei der er im Fachbereich Bewegungswissenschaft seit 2000 als Dozent tätig ist, erstmals detailliert Einblicke über seine Arbeit beim FC St. Pauli.
FC St. Pauli: Kapitän Ziereis schätzt Spreckels
„Nur wer mental gesund ist, kann auch die fußballerischen Qualitäten auf den Rasen bringen. Es gibt immer wieder Profisportler, deren Wettkampfleistung geringer ist als die Trainingsleistung, was auch bei Fußballspielern vorkommt. Mir geht es darum, dass diese Spieler selbst dafür sorgen, sich wohlzufühlen, um im Stadion zeigen zu können, was sie wirklich draufhaben“, sagt Spreckels, der einmal pro Woche beim Training anwesend ist. „Ich arbeite meistens mit einzelnen Spielern, aber auch mit den Trainern und der Mannschaft zusammen“, erzählt er weiter.
„Die Gespräche werden ganz entspannt bei einem Kaffee geführt“, berichtete Kapitän Philipp Ziereis vor einiger Zeit im Abendblatt-Interview. Der 28-Jährige hatte Spreckels bereits vor dessen Engagement bei St. Pauli kennengelernt und mit ihm nach seinem im Januar 2018 erlittenen Kreuzbandriss gearbeitet.
„Ich war zunächst dem Ganzen gegenüber auch skeptisch. Man denkt vielleicht, dass man sich auf eine Couch legt und hypnotisiert wird. Es war aber ein sehr lockeres Gespräch. Wir haben uns ein paar Mal getroffen, er hat mir wirklich weitergeholfen. Heute kann ich das jedem empfehlen, auch wenn man nicht verletzt ist“, sagte Ziereis.
Timo Schultz: „Es geht um Leistungsoptimierung“
„Wir beim FC St. Pauli wollen genau wissen, wie die Spieler ticken. Ich weiß, welcher Spieler welche Stressfaktoren hat, was ihm guttut und was nicht. Das Trainerteam und ich versuchen die Stressfaktoren zu vermeiden. Wenn die Spieler das Gefühl haben, sich weiterzuentwickeln, ist das ein beflügelndes Gefühl und ein großer Motivator“, erläutert Christian Spreckels, der sonst auch Sportlerinnen und Sportler aus ganz unterschiedlichen Disziplinen betreut.
„Ich habe beim FC St. Pauli sehr offene Trainer, die sich für viele Forschungsfragen interessieren“, lobt Spreckels Chefcoach Timo Schultz und seine Assistenten. Schultz selbst hatte schon kurz nach Spreckels’ Verpflichtung über dessen Aufgabe klargestellt: „Christian arbeitet bei uns nicht unter dem Aspekt der Soforthilfe oder des Krisenmanagements. Das Projekt ist langfristig angelegt. Es geht um Leistungsoptimierung.“
Als es im Dezember 2020 sportlich schlecht lief, sagte Schultz: „Wir werden nicht irgendwelche lustigen Tänze aufführen oder andere witzige Sachen machen, weil wir drei Spiele verloren haben. Langfristig aber werden wir extrem von seiner Arbeit profitieren.“ Die beeindruckende Ausbeute in diesem Jahr (75 Punkte aus 40 Spielen) kann in der Nachbetrachtung als Beleg für die Richtigkeit dieser frühen Vorhersage gelten.
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Nur sechs der 18 Zweitligaclubs beschäftigen derzeit einen Sportpsychologen für ihr Profiteam. „Das Feld der Psychologie ist für viele Menschen vermutlich schwerer nachvollziehbar. Es ist messbar, wie viele Meter sich Spieler bewegen, aber die mentalen Zustände kann man in dieser Klarheit nicht berechnen. Und das ist wahrscheinlich der Grund, warum einige Trainer diese Ebene nicht bedienen“, mutmaßt Spreckels, der früher auch für den HSV tätig war, aber betont, „schon immer eine starke Verbundenheit zum FC St. Pauli“ zu haben.