Hamburg. Vier Lehren aus der 0:4-Niederlage bei Holstein Kiel. Trainer Schultz: „Mancher sieht sich weiter, als er eigentlich ist“.

Trotz ihrer höchsten Saisonniederlage am Freitagabend bei Holstein Kiel (0:4) durften die Fußballprofis des FC St. Pauli ein freies Wochenende genießen. Dabei konnten sie am Sonnabend in Ruhe verfolgen, dass sie dank des 2:2 der SpVgg Greuther Fürth gegen den Karlsruher SC sogar ohne eigenes Zutun ihren Status als bestes Rückrundenteam der Zweiten Liga behielten. 31 Punkte aus 15 Spielen sind ja auch eine beeindruckende Bilanz.

Warum St. Pauli noch kein Topteam ist

Auf der anderen Seite aber führte die in dieser drastischen Form nicht zu erwartende Niederlage beim heißen Aufstiegsaspiranten KSV Holstein vor Augen, dass der Mannschaft des FC St. Pauli, die nahezu in Bestbesetzung antreten konnte, noch einiges fehlt, um ein wirkliches Topteam zu sein. „Heute ist in einigen Bereichen vieles sehr viel deutlicher geworden als in den Spielen, in denen nicht jeder Fehler bestraft wurde“, stellte denn auch St. Paulis Trainer Timo Schultz treffend fest.

„Trotz der tollen Rückrunde und trotz aller Punkte, die wir geholt haben, müssen wir noch zulegen, um ein echtes Spitzenteam zu sein.“ Als wesentliche Defizite erkannte der Coach in der Offensive den letzten Pass und Abschluss, den Zugriff in der Defensive und nicht zuletzt individuelle, aber auch physische Schwächen einzelner Spieler, die bisweilen schon von höheren Fußballweihen geträumt haben.

St. Pauli muss vor dem Tor effektiver werden

Schon in den vergangenen Wochen hatte Schultz immer wieder erkannt und kritisiert, dass sein Team fast fahrlässig mit seinen herausgespielten Torchancen umgeht. Oft genug blieb dieses Manko ungestraft, weil es wie beispielsweise in Hannover, Osnabrück und Aue, aber auch daheim gegen Sandhausen, Braunschweig und Würzburg zu Siegen reichte. Meist brachten Treffer in der Anfangsphase das Team in die richtige Spur, die vergebenen Torchancen verhinderten lediglich, die Partien frühzeitig zu entscheiden.

Zuletzt allerdings führte diese mangelnde Effektivität in der Offensive dazu, dass in den sich ähnelnden Auswärtsspielen in Düsseldorf und Kiel eine eigene Führung verpasst wurde, die durchaus sehr gut möglich gewesen wäre. „Ich hätte das Spiel gern erlebt, wenn wir 1:0 in Führung gehen. Ich glaube, sobald die Kieler hätten etwas aufmachen müssen, wäre das unserem Spiel sehr entgegengekommen“, haderte Schultz.

Mit Recht stellte er fest: „Wir waren sieben-, achtmal bei den Kielern im Sechzehner frei zum Torschuss oder zum Ablegen. Ich saß draußen und dachte: Viel besser können wir es nicht machen. Der Gegner hatte gar keinen Zugriff.“ Was fehlte und die Kieler vor dem Rückstand bewahrte, war eben die fehlende Konsequenz im Abschluss.

Kiel erteilt St. Pauli eine Lehrstunde

Diese zeigte die Holstein-Mannschaft dann ihrerseits und nutzte gleich die ersten beiden Torchancen. Ähnlich war es St. Pauli gut zwei Wochen zuvor in Düsseldorf ergangen. „Auf Dauer ist es kein Spielglück. Es ist ein Thema, das uns die ganze Saison schon begleitet. Diesmal war es wieder ein gutes Beispiel dafür, dass wir uns in diesem Bereich verbessern müssen“, sagte Schultz.

Aber auch im Defensivverhalten bekamen die St. Paulianer von den Kielern vorgeführt, dass ihre Fortschritte in diesem Bereich noch längst nicht so weit gediehen sind, wie es nötig wäre, um ganz oben in der Liga mitzuspielen. Die Teamdisziplin bei eigenen Ballverlusten hat sich in den vergangenen vier Monaten zweifellos verbessert und war ein entscheidender Punkt für den Aufschwung.

Doch so richtig implementiert scheint dies noch nicht zu sein, wie die Gegentreffer in Kiel zeigten. „Wenn man als Mannschaft kompakt ist, dann schafft man es auch häufiger, individuelle Fehler auszubügeln. Man hat gesehen, dass uns als Mannschaft, aber auch jedem Einzelnen noch ein Tick fehlt“, sagte Schultz.

St. Pauli muss körperlich robuster werden

Und dann ist da noch das Problem der physischen Unterlegenheit einiger Spieler. Auch hier gab es deutliche Parallelen zur Niederlage bei den körperlich sehr robusten Düsseldorfern. So rieb sich der technisch so starke Omar Marmoush auch in Kiel in den Duellen mit den fußballerisch limitieren Verteidigern Simon Lorenz und Johannes van den Bergh derart auf, dass er sich selbst seiner Vorteile beraubte.

„Manchmal wäre es besser, etwas einfacher zu spielen und sich selbst ein bisschen herunterzuregulieren. Andererseits ist es auch seine Stärke, dass er so viel will und so viel macht. Das gehört zum Entwicklungs- und Lernprozess dazu“, sagte Schultz über den Wolfsburger Leihspieler.

„Wir haben nun einmal eine sehr quirlige, kleine, verspielte Mannschaft. Mit jedem Gegner, der es gegen uns eng und kompakt halten kann und in die Zweikämpfe kommt, haben wir Probleme“, analysierte Schultz weiter.

Überschätzen sich St. Paulis Profis?

Am Ende schien der Trainer in einer bestimmten Hinsicht auch nicht ganz so traurig zu sein, dass seiner Mannschaft vom heißen Aufstiegskandidaten Kiel vom Resultat her drastisch die Grenzen aufgezeigt wurden. „Vielleicht sieht sich der eine oder andere Spieler selbst auch etwas weiter, als er eigentlich ist“, sagte er.

Neben Marmoush dürfte er damit auch Rodrigo Zalazar, Daniel-Kofi Kyereh oder Eigengewächs Finn Ole Becker gemeint haben. Deren Auftritt in Kiel zeigte, dass es – bei allem Talent – zu einem Stammplatz in einer Bundesligamannschaft auch für sie noch ein weiter Weg ist. „Es ist auch eine Qualität, sein eigenes Talent, seine eigenen Fähigkeiten auf den Punkt auf den Platz zu bringen“, stellte Schultz klar.

Zwei Gelegenheiten werden die St. Paulianer dafür noch haben. Die Spiele gegen Hannover am kommenden Sonntag und eine Woche später in Regensburg bieten auf jeden Fall die Chance, Rückrundenmeister zu werden und die beste Saison seit 2012 hinzulegen.