Hamburg. Der Kiezclub spielt immer dominanter und lässt die Fans trotz des Punktrückstands träumen. Die nächsten Gegner werden zum Gradmesser.

Am Sonntagmittag passte sich die Stimmung unter den Fußballprofis des FC St. Pauli dem Wetter an – uneingeschränkt heiter. Das war nicht wirklich verwunderlich, schließlich hatte die Mannschaft rund 22 Stunden zuvor mit dem von Anfang an ungefährdeten und hochverdienten 4:0 (3:0)-Erfolg gegen die Würzburger Kickers den schon vierten Sieg in Folge auf den Rasen gezaubert.

Es ist gerade zwei Wochen her, dass die Mannschaft von Trainer Timo Schultz mit dem 2:0 gegen Eintracht Braunschweig den Klassenverbleib in der Zweiten Liga gefeiert hatte, schon gibt es jetzt im Umfeld des Kiezclubs fast nur noch ein Thema: Geht da etwa noch etwas in Sachen Bundesligaaufstieg?

FC St. Pauli baute Führung in Rückrundentabelle aus

Fakt ist, dass der FC St. Pauli mit dem nun zwölften Saisonsieg seine führende Position in der Rückrundentabelle nicht nur verteidigte, sondern sogar ausbaute. 28 Punkte aus den jetzt zwölf Spielen (im Schnitt 2,33 Punkte pro Partie) sind eine wahrlich atemberaubende Bilanz. Dabei spielt die Mannschaft seit geraumer Zeit nicht nur überaus erfolgreich Fußball, sondern überzeugt immer noch zunehmend durch Spielfreude und Dominanz.

Teilweise sehen die Darbietungen so selbstverständlich und leichtfüßig aus, dass der Betrachter den Eindruck gewinnen kann, so ein Zweitliga-Punktspiel sei für die Mannschaft weniger anstrengend als manche Trainingseinheit unter der Woche.

Bemerkenswerter Wert: 114,34 gelaufene Kilometer

Davon ließ sich am Sonnabend offenbar auch Würzburgs Interimstrainer Ralf Santelli beeinflussen, als er nach der klaren, objektiv aber immer noch zu niedrig ausgefallenen Niederlage seiner Mannschaft sagte: „Ich neige fast dazu, mich beim Kollegen Timo Schultz entschuldigen zu müssen, dass er heute von der Trainingssteuerung her keine Belastung für seine Jungs verbuchen kann.“

Der angesprochene St.-Pauli-Cheftrainer sah die Sache dann doch ein wenig anders. „Das mit der Belastung war wohl nicht so hundertprozentig ernst gemeint. Ich habe schon gesehen, dass meine Jungs richtig Gas gegeben haben. Die Sprintbereitschaft war immer wieder da, um hinter die letzte Kette zu ziehen“, sagte Schultz. „Ich gehe davon aus, dass die Jungs gut belastet wurden. Das ist auch gut so, das können sie auch ab.“ Immerhin standen am Ende 114,34 gelaufene Kilometer zu Buche, was angesichts dessen, dass das Spiel spätestens nach dem 4:0 in der 50. Minute definitiv entschieden war, ein bemerkenswert guter Wert ist.

St. Pauli verringert Abstand zum HSV

Bei aller Freude über die vor nur dreieinhalb Monaten noch nicht ansatzweise abzusehende, ja geradezu atemberaubende Entwicklung von einem Abstiegskandidaten zur formstärksten Mannschaft der gesamten Liga muss die Chance, dass das Team noch einmal ernsthaft in den Kampf um den Aufstieg eingreifen kann, als weiter eher niedrig eingestuft werden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass St. Pauli seinen Rückstand auf den Tabellendritten und Stadtrivalen HSV von zwischenzeitlich 20 (!) auf jetzt nur noch sechs Punkte verringert hat.

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Doch selbst wenn St. Pauli den HSV, der noch ein Spiel mehr auszutragen hat, tatsächlich überholen sollte, heißt das noch längst nicht, dass damit der dritte oder gar zweite Platz hinter Ligaprimus Bochum, der am Sonntag 4:3 gegen Hannover 96 gewann, sicher wäre.

Holstein Kiel könnte noch Zweiter werden

So dämpften schon am Sonntagnachmittag der ebenfalls formstarke 1. FC Heidenheim (4./48 Punkte) mit dem 3:0 in Regensburg und Fortuna Düsseldorf (6./46 Punkte) mit dem 3:0 in Osnabrück die Euphorie im St.-Pauli-Umfeld. Und dann ist da ja auch noch die derzeit durch die Corona-Quarantäne zum Nichtstun verurteilte Mannschaft von Holstein Kiel (5./46 Punkte), die inzwischen mit drei Spielen im Rückstand ist und daher potenziell noch alle Möglichkeiten hat, Zweiter zu werden.

„Wir fahren ganz gut damit, die Tabelle mal wegzulassen und von Spiel zu Spiel zu denken, auch wenn das eine Floskel ist“, sagte nach dem Sieg gegen Würzburg St. Paulis linker Außenverteidiger und Premierentorschütze Leart Paqarada (siehe auch Text unten). Und Trainer Schultz meinte zur Aufstiegschance: „Wenn die Saison auf 38 Spiele verlängert wird, können wir darüber reden. Da sollten wir die DFL mal fragen.“

FC St. Pauli rechnet wieder mit Guido Burgstaller

Auf jeden Fall aber werden die beiden kommenden Spiele für die Himmelsstürmer vom Millerntor zu einem echten Gradmesser, wie stabil die aktuelle Qualität ist. Am Mittwoch (18.30 Uhr) tritt das Team bei Fortuna Düsseldorf an, vier Tage später kommt der Tabellenzweite SpVgg. Greuther Fürth ans Millerntor.

In beiden Spielen dürfte auch Guido Burgstaller wieder dabei sein. Der Torjäger hatte in der Nacht zum Sonnabend aus privaten Gründen das Teamhotel verlassen und Trainer Schultz per SMS informiert. Auch am Sonntag war er nicht im Training, an diesem Montag aber soll er wieder einsteigen. „Es ist nichts Schlimmes. Aber Familie und Gesundheit sind immer wichtiger“, sagte Schultz etwas geheimnisvoll.

  • FC St. Pauli: Stojanovic – Zander, Ziereis, Lawrence (56. Reginiussen), Paqarada – Benatelli – Becker (72. Wieckhoff), Zalazar (56. Viet) – Kyereh (77. Makienok) – Marmoush (56. Daschner), Dittgen.
  • Würzburger Kickers: Giefer – Ronstadt (82. Feick), Strohdiek, Kraulich, Feltscher – Hägele, Dietz – Kopacz (46. van La Parra), Hasek (46. Lotric) – Pieringer (46. Baumann), Munsy (63. Nikolov)
  • Schiedsrichter: Christian Dingert (Gries)
  • Tore: 1:0 Marmoush (4.), 2:0 Benatelli (18.), 3:0 Paqarada (22.), 4:0 Kyereh (50.)
  • Zuschauende: keine.
  • Gelbe Karte: Dittgen (3)
  • Statistik: Torschüsse: 16:1, Ecken: 7:0, Ballbesitz: 62:38 Prozent, Zweikämpfe: 124:104, Passquote: 84:71 Prozent, Fouls 9:6.