Hamburg. Der Rücktritt von Vizepräsident Joachim Pawlik hat rund um den FC St. Pauli die Diskussion um die Ausrichtung neu entfacht.

Auch am ersten Tag ohne den zum 30. Juni zurückgetretenen Vizepräsidenten Joachim Pawlik wurde rund um den FC St. Pauli über das immer mal wieder neu aufflammende Thema diskutiert. Legt der Verein zu viel Wert auf die vielen Inhalte außerhalb des Profifußballs und hat dies zur Folge, dass der Club sportlich seit Jahren seinen Möglichkeiten hinterherhinkt?

In der Analyse sind sich dabei nahezu alle Beteiligten einig, dass ein deutlich besseres Abschneiden in der Zweiten Liga möglich sein müsste als etwa der in der gerade abgelaufenen Saison belegte 14. Platz. Die Uneinigkeit, wie dies zu bewerkstelligen ist, fängt allerdings bei der Frage an, ob die anderen Aktivitäten des Clubs wie das sozial- und auch sportpolitische Engagement, die Vermarktung und nicht zuletzt auch der immer stärker wachsende Amateur-Sportbereich parallel gut und gerne betrieben werden können oder ob sie einem erfolgreichen Auftritt im Profifußball hinderlich sind.

Diskussionen um die vermeintlich zu geringe Wertschätzung des Profifußballs

Das Ganze ist ein so vielschichtiges Thema, dass auch am Tag nachdem Pawliks Rücktritt die Diskussionen um die vermeintlich zu geringe Wertschätzung des Profifußballs in der Vereinsführung wieder entfacht hatte, vonseiten der organisierten Anhänger keine abgestimmte Einschätzung zu erhalten war. Man sortiere noch die vielen Meinungen, hieß es aus dem Fanclubsprecherrat.

Einzelne Fans äußerten sich dagegen durchaus meinungsstark. So schrieb etwa ein „Felix aus der Gegengerade“ in einer an das Abendblatt gerichteten Lesermail: „Dass politisches Engagement zum Beispiel gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie den sportlichen Erfolg behindern soll, leuchtet mir nicht ein.“ Und weiter: „Das Gegenteil ist richtig: In einem Profigeschäft, das von Duckmäusertum und Anpassung geprägt ist, laut und deutlich politische Ziele zu verfolgen kann auch sportlich befreien und Ansporn geben.“

Erinnerungen an die Zweitliga-Rückrunde 2016/17

Im St.-Pauli-Forum schrieb unterdessen am Mittwoch „Since 1971“: „Es ist ein schmaler Grat, diesen Verein zu führen zwischen politischem Engagement und erfolgreichem Profifußball. In den letzten vier Jahren waren wir da auf dem einem Gebiet erfolgreich und dem anderen nicht. Wenn es aber so ist, dass man die Politik in den Vordergrund stellt und den Sport hintendran, dann dieses bitte auch ganz klar kommunizieren, damit jeder Anhänger für sich entscheiden kann, ob er damit gut klarkommt oder nicht. Solange wir darüber im Unklaren sind, brauchen wir uns hier ja eigentlich keinen Kopf mehr über sportlichen Erfolg machen, denn alles andere geht auch in Liga 3, nur wissen sollten wir es.“

Andere Begleiter des FC St. Pauli erinnern sich noch an die Zweitliga-Rückrunde 2016/17. Nach 18 von 34 Spielen hatte das Team gerade einmal elf Punkte auf dem Konto und war Schlusslicht. Alle Statistiken sprachen dafür, dass das Team absteigen wird. Statt Trainer Ewald Lienen zu entlassen, hatte das Präsidium ihm schon zuvor Olaf Janßen als Co-Trainer zur Seite gestellt und Geschäftsführer Andreas Rettig anstelle von Thomas Meggle zum Interims-Sportchef beordert. Damals ordnete der Verein alles der Herkulesaufgabe unter, doch noch den Klassenverbleib zu schaffen. Die volle Konzentration galt dem Profifußball. Heraus kamen die mit 34 Punkten beste Rückrunde der Vereinshistorie und am Ende noch Rang sieben, was die beste Abschlussplatzierung seit 2014 war. Zugegebenermaßen ist fraglich, ob ein solcher Modus der vollen Fokussierung auf eine Aufgabe auf Dauer durchzuhalten ist. Womöglich ist dies nur in höchster Not und über einen begrenzten Zeitraum möglich.

„Marke“ St. Pauli gründet ihren Erfolg auf den Werten des Clubs

Für St. Paulis Präsidenten Oke Göttlich gibt es bei den Themen sportlicher Erfolg und politisches Engagement des Vereins ohnehin kein „Entweder-oder“, sondern ein „Sowohl-als-auch“. Immer wieder betonte er in der Vergangenheit: „Wir möchten unsere Werte, auch die fußballkulturellen Werte, möglichst vielen Leuten präsentieren.“ Dies ist logischerweise in der Bundesliga besser möglich als in Liga zwei oder gar drei. Wie bei vielen Dingen kommt es eben auf die richtige Balance an.

Auch die von den eigenen Fans nicht immer positiv gesehene, aber in den vergangenen Jahren – insbesondere für einen sportlich mittelmäßigen Zweitligisten – überaus erfolgreiche Vermarktung wäre ohne die klare politische Haltung und Positionierung des Vereins kaum möglich. Die von den Sponsoren und den Kunden der Fanshops so geschätzte „Marke“ St. Pauli gründet ihren Erfolg sicher mehr auf den Werten des Clubs als dessen sportlichen Erfolgen.

Die Trennung von Jos Luhukay bringt es aber auch mit sich, dass St. Paulis Führung schon in den kommenden Tagen und Wochen die Chance hat, mit der Verpflichtung eines neuen Trainers und der Zusammensetzung des renovierungsbedürftigen Kaders zu belegen, dass sie wirklich sportlich höhere Ambitionen verfolgt. Wenn es denn stimmt, dass der in den vergangenen Jahren wirtschaftlich überaus solide geführte Club besser als viele andere durch die Corona-Krise kommen wird, sollte sich dies dann aber auch bei den Transfers im Vergleich zur Konkurrenz widerspiegeln.