Hamburg. Club-Ikone Klaus Thomforde besucht St. Paulis Torhüter in seiner Eigenschaft als DFB-Trainer. Maulkorb “light“ für Brodersen.

Klaus Thomforde (57) wollte sich am Donnerstagmorgen ein ganz genaues Bild machen. Mit seinem Smartphone bewaffnet, stellte sich der Torwarttrainer der deutschen U-21-Nationalmannschaft an der Kollaustraße ganz nah an den Spielfeldrand und filmte die zahlreichen Paraden von Svend Brodersen.

Und das aus gutem Grund: Der 22 Jahre alte Schlussmann steht auf der 50 Namen langen Liste, die der Deutsche Fußballbund (DFB) vor den Olympischen Sommerspielen in Tokio (24. Juli bis 9. August) der Nationalen Antidoping Agentur (Nada) vorlegen musste. Jederzeit könnten jetzt Dopingfahnder einen unangemeldeten Besuch machen und eine Urin- oder Blutprobe einfordern.

Thomforde: "Svend hat realistische Chancen"

Ein kleines Opfer, das Brodersen ob der einmaligen Chance, sein Land bei Olympia zu vertreten, gerne in Kauf nimmt. Zuletzt wurde der St.-Pauli-Profi vor einem Jahr in die Junioren-Nationalmannschaft berufen. Trotzdem ist die Maschine nach Tokio für ihn noch nicht abgeflogen.

„Svend hat realistische Chancen. Er hat bereits bei der U-20-WM im Jahr 2017 internationale Erfahrung sammeln können“, sagte Thomforde, der als „Tier im Tor“ beim FC St. Pauli einst Kultstatus genoss.

DFB verpasst Brodersen & Co. einen Maulkorb

Es sind Worte, die Brodersen gerne hört. Zu viel will und darf der gebürtige Hamburger zum Thema Olympia nicht sagen. In einem Brief des DFB an alle möglichen Kandidaten steht, dass sich die Spieler nur „dezent“ zum sportlichen Weltereignis in Japan äußern dürfen. Den Profis wurde quasi ein Maulkorb „light“ verpasst. Frei nach dem Motto: Erst gut spielen und dann sprechen.

„Natürlich wäre es ein Traum, dabei zu sein, und dieser Traum ist auch noch nicht gestorben. Es gibt einem schon einen Kick, wenn man weiß, dass jemand vom DFB da ist, und der sich für einen interessiert. Das ist eine tolle Wertschätzung“, sagt Brodersen, der zu Thomforde ohnehin eine besondere Beziehung pflegt. „Er ist einfach ein super-positiver Typ und ein riesiger Motivator. Ich freue mich immer, wenn er da ist“, sagt der St.-Pauli-Keeper, der sich aber großer Konkurrenz erwehren muss. Insgesamt sieben Torhüter hat der DFB der Nada gemeldet.

(Nicht ganz) inkognito: Klaus Thomforde (M.) am Donnerstag mit Sonnenbrille beim Training des FC St. Pauli.
(Nicht ganz) inkognito: Klaus Thomforde (M.) am Donnerstag mit Sonnenbrille beim Training des FC St. Pauli. © WITTERS | TayDucLam

Brodersen schiebt mit die meisten Extraschichten

An Motivation mangelt es Brodersen ohnehin nicht. Kaum ein Profi schiebt beim FC St. Pauli derart viele Extraschichten wie das ehrgeizige Torwarttalent. Zuletzt bremste ihn aber ein im Oktober 2019 erlittener Schlüsselbeinbruch, der mit einer Titanplatte fixiert wurde, drei Monate lang aus. Erst im Trainingslager in Spanien konnte der Keeper beim 5:2-Sieg im Testspiel gegen Zweitligakonkurrent SV Wehen Wiesbaden wieder Spielpraxis zwischen den Pfosten sammeln.

„Das war ein gutes Gefühl. Ich fühle mich nach der Verletzung wie neu geboren. Am Anfang war ich am Boden zerstört, aber durch die Verletzung bin ich als Persönlichkeit ein Stück nach vorne gekommen“, sagt Brodersen. Bei der anfänglichen Frustbewältigung kam dem Eigengewächs zugute, dass er neben seiner Profilaufbahn ein Fernstudium im Fach Psychologie absolviert. „Man muss lernen, auch das Positive in solch einer Situation zu sehen.“

Macht Luhukay Brodersen zur Nummer zwei?

Bis zur endgültigen Olympia-Nominierung im Juni, das weiß auch Brodersen, braucht er vor allem eines: Spielpraxis. Bis zum ersten Pflichtspiel im Kalenderjahr 2020 am Dienstag (20.30 Uhr) bei Greuther Fürth will Trainer Jos Luhukay (56) entscheiden, ob der Juniorennationalspieler die Nummer zwei hinter Stammtorwart Robin Himmelmann ist, oder ob Brodersen zunächst in der Regionalligamannschaft auflaufen soll.

„Wir sind derzeit im Austausch. Es ist noch nicht ganz klar, wie es weitergehen soll. Ich würde am liebsten spielen, damit ich wieder in den Spielfluss komme“, sagt Brodersen. „Wenn es in der Regionalliga ist, mache ich das auch gern. Für die U 23 habe ich ja auch schon viele Spiele gemacht. Da gibt es auch interessante Partien, in denen man seine Fähigkeiten zeigen kann.“

Perspektivisch will Brodersen, der neben Stammkeeper Himmelmann sowie Korbinian Müller und Youngster Leon Schmidt einer von vier Keepern im Profikader ist, aber die Nummer eins im Zweitligateam werden. Das Motto „Dabei sein ist alles“ gilt schließlich für Olympia und nicht für die Zweite Liga.