Hamburg. Die Liebe zum FC St. Pauli ist beim Ex-Kapitän abgekühlt. Jetzt kehrt er als Assistent von Kiel-Coach André Schubert zurück.
Für die meisten Autofahrer ist die A 7 in Richtung Norden ein Gräuel. Stau, Baustellen, Stop-and-go, Nervenanspannung pur im Berufsverkehr. Dieser alltägliche Autobahnwahnsinn ist bisher an Fabian Boll vorbeigegangen „Ich bin immer gut durchgekommen und brauche meistens für die 100 Kilometer so um die 50 Minuten“, sagt der Co-Trainer von Holstein Kiel. „Wenn ich auf der Autobahn unterwegs bin, dann lasse ich entweder die Gedanken schweifen oder telefoniere mit alten Freunden oder meiner Familie. So bekommt man die Zeit auf der Autobahn gut rum“, erzählt der 40-Jährige, der jeden Tag von seinem „Heimathafen“, wie er Hamburg nennt, nach Kiel pendelt.
Und so hatte Boll in den vergangenen Wochen viel Zeit, sich auf das wohl emotionalste Spiel seiner jungen Co-Trainerkarriere einzustellen. Am Montag (20.30 Uhr) tritt er mit Kiel beim FC St. Pauli an. Jenem Club, bei dem er als Fußballprofi Kultstatus erlangt hatte und bis heute verehrt wird. Millerntor-Stadion, Flutlicht, die funkelnden Lampen der Dom-Karussells. Für Boll eine emotionale Achterbahnfahrt.
„Nach meinem Abschiedsspiel am Millerntor wird es in der Konstellation, dass ich unten auf dem Rasen bin, die erste Rückkehr als Gegner des FC St. Pauli sein. Ich freue mich unglaublich auf diese Partie. Sie wird etwas Besonderes sein“, gewährt Boll Einblick in sein Seelenleben. Das „Kribbeln“, sagt er, wird kommen, wenn sich der Mannschaftsbus am Montagabend in Richtung Stadion aufmacht und sich den Weg durch die Straßen seiner Heimatstadt bahnt. Die Gedanken werden durch seinen Kopf schießen. Wie wird er von den St.-Pauli-Fans empfangen? Wie wird es wohl sein, wenn er mit seinem neuen Team seine alte Fußball-Liebe schlägt?
Boll will bei einem Sieg am Millerntor jubeln
„Natürlich würde ich jubeln. Ich werde sicher keinen Flickflack machen oder auf den Knien über den Rasen rutschen, aber es wäre doch komisch, wenn ich mich nicht freuen würde“, sagt Boll und ergänzt: „Ich finde es immer etwas merkwürdig, wenn sich Spieler bei der Rückkehr an ihre alte Wirkungsstätte den Jubel verkneifen. Was ist das denn für ein Zeichen an den aktuellen Verein? Ich würde mich riesig über einen Sieg auf St. Pauli freuen.“
Ohnehin ist die Liebe zu dem Club, für den er insgesamt 14 Jahre die Knochen hinhielt und der ihn einst zum Bundesligaprofi gemacht hatte, abgekühlt. Der FC St. Pauli von heute ist eben nicht mehr der FC St. Pauli von damals. Sein Fokus liegt auf Holstein Kiel. Seit Sommer ist Boll der Assistent von Cheftrainer André Schubert (48). Der Coach, unter dem er als Profi vor acht Jahren beim FC St. Pauli erfolgreich gespielt hatte. „Mein Verhältnis zu André ist heute nicht zu vergleichen mit dem, als ich sein Kapitän war“, sagt Boll. „Über die Jahre haben wir uns immer wieder ausgetauscht. Er wollte mich schon vergangene Saison nach Braunschweig holen.“
Im zweiten Anlauf hat die Zusammenarbeit der beiden meinungsstarken Trainer an der Kieler Förde geklappt. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase harmonieren die beiden ehemaligen Hamburger immer besser. Schubert vertraut Boll, bezieht ihn in Entscheidungen mit ein. „André hat sich in den vergangenen acht Jahren – wie ich auch – weiterentwickelt. Er hat in Mönchengladbach auf Champions-League-Niveau trainiert, kennt im Umkehrschluss aber auch die Arbeit in einem Nachwuchsleistungszentrum. Von ihm zu lernen und sich etwas abzuschauen ist für mich überragend“, sagt Boll.
Bolls lässt Polizeiposten ruhen
Dabei hatte „Boller“, wie ihn seine Fans liebevoll nennen, eigentlich gar nicht den unbedingten Drang verspürt, wieder in das Haifischbecken Profifußball einzusteigen. Seinen Job als Hauptkommissar beim Landeskriminalamt hat er ebenso geliebt wie den Cheftrainerposten beim Hamburger Oberligaclub SC Victoria. Alles war gut, bis ein Anruf aus Kiel dann doch seine Neugierde weckte.
„Auch wenn Hamburg immer mein Heimathafen ist, habe ich mich in Kiel ab der ersten Minute willkommen gefühlt. Es hat geholfen, dass ich schon Menschen hier im Club kannte. Holstein hat mir das Einleben extrem einfach gemacht“, sagt Boll, der neben Schubert auch noch Torwarttrainer Patrick Borger aus seiner Zeit bei St. Pauli kennt.
Einen Karriereplan, sagt der Kieler Co-Trainer, habe er nie aufgestellt. Boll hört auf seine Intuition und auf die Familie. Ohne das „Go“ seiner Frau Alexandra und seiner Tochter hätte der Familienmensch den Job in Kiel nicht angenommen. Seine Stelle bei der Polizei ruht vorerst. Dass er jederzeit in seinen alten Beruf zurückkehren könnte, gibt ihm ein Gefühl der Sicherheit. „So konnte ich mich ohne Risiko ins Abenteuer Profifußball begeben.“ Auch wenn er sich wohl irgendwann über den Verkehr auf der A 7 ärgern wird. Garantiert.