Hamburg. Der HSV gewinnt erstmals seit 2002 wieder das Derby gegen den FC St. Pauli. Nach dem 4:0-Erfolg feiern die Fans Doppelpacker Lasogga.

Pierre-Michel Lasogga war der Letzte. Als der Stürmer nach dem langen Gang durch den Spielertunnel im Millerntor-Stadion die HSV-Kabine erreichte, gab es kein Halten mehr. Mit einer Bierdusche wurde der Doppeltorschütze von seinen in Unterhosen hüpfenden Teamkollegen empfangen. „Pierre-Michel Lasogga, oh, oh, oh, ohooh“. Dann tanzte auch der Matchwinner mit – „Derbysieger, Derbysieger, hey, hey“. Es war eine rauschende Party, die der HSV nach dem 4:0 (1:0)-Sieg im Stadtderby beim FC St. Pauli veranstaltete. Zum ersten Mal nach 17 Jahren ist der Club aus dem Volkspark wieder in­offizieller Stadtmeister.

„Dieser Tag ist kaum in Worte zu fassen“, sagte Lasogga, als er vor seinem Gang in die Kabine vor den Reportern seine Gefühlswelt beschrieb. Das Wort „geil“ fiel gelinde gesagt recht häufig. „Das ist einfach ein geiler Tag heute“, sagte Lasogga schließlich zum Abschluss eines Nachmittags, den der 27-Jährige in der 32. Minute eingeleitet hatte. In einem bis dahin recht einseitigen, aber höhepunktarmen Spiel hatte HSV-Kapitän Aaron Hunt einen direkten Freistoß aus 18 Metern an die Latte gezirkelt.

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Lasogga schaltete am schnellsten und köpfte den zweiten Ball reaktions- und gedankenschnell aus fünf Metern über die Linie. Es folgte ein beeindruckender 100-Meter-Jubelsprint – laut Lasogga „in unter neun Sekunden“ – bis zum Fanblock des HSV auf der Gegenseite. „Da gehen alle Lichter aus. Ich habe nur die Fans gesehen und wollte einfach dahinlaufen. Alle Emotionen mussten raus.“

Lasoggas Tor und der anschließende Jubel waren wie eine Blaupause für ein Spiel, in dem der HSV gegen eine bemerkenswert mut- und emotionslose Mannschaft des FC St. Pauli in nahezu allen Belangen überlegen war. „Der Druck für uns war extrem hoch“, sagte ein gelöster Rick van Drongelen. Der HSV-Verteidiger hatte nur wenige brenzlige Situationen zu überstehen. Nach seiner Kopfballabwehr in der ersten Halbzeit hätte sein Gegenspieler Alexander Meier mit einem Volleyschuss aus 22 Metern beinahe ein Traumtor erzielt (28.).

Später zielte Meier noch einmal aus der Distanz nur knapp vorbei (79.), zudem scheiterte Ryo Miyaichi an Julian Pollersbeck (46.) – das war alles vom FC St. Pauli an diesem Tag. Der HSV dagegen zeigte genau die Attribute, die man für so ein Derby benötigt. „Heute brauchten wir elf Kerle auf dem Platz. Am Ende waren wir 14 Kerle“, sagte Lasogga, der seine Saisontore elf und zwölf erzielte und auch sonst die besten Werte zu verzeichnen hatte. Der 27-Jährige gewann insgesamt 15 Zweikämpfe – der Bestwert mit (Verteidiger) Kalla auf dem Platz. „Ich versuche einfach immer, meine Gegner aufzufressen. Heute hat das ganz gut funktioniert“, sagte Lasogga nach seinem Duell mit Justin Hoogma.

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Es war der erste Sieg des HSV am Millerntor seit 57 Jahren. 1962 gab es zuletzt einen 2:1-Sieg auf St. Pauli. Später wurden die Heimspiele des Kiezclubs immer im Volksparkstadion ausgetragen. Im bislang letzten Derby am Millerntor 2010 trennten sich die Clubs 1:1. Nachdem St. Pauli 2011 im Rückspiel beim HSV mit 1:0 gewann, ist der HSV nun wieder Stadtmeister. „Wenn ich dazu beitragen kann, dass irgendetwas Neues in den Geschichtsbüchern auftaucht, bin ich gerne dabei“, sagte Lasogga, der den HSV mit seinen Toren 2014 in Fürth und 2017 auf Schalke schon zweimal gerettet hatte. Pollersbeck hatte schon eine Idee, wie die Fans ihren Derbyhelden würdigen könnten: „Vielleicht bauen sie ihm ja jetzt eine Statue auf der Reeperbahn – aber hoffentlich auf der richtigen Seite. Heute habe ich gelernt, dass es da zwei Seiten gibt…“

Mit seinem zweiten Treffer (61.) hatte Lasogga das Spiel am Sonntag frühzeitig entschieden, zuvor traf Khaled Narey zum 2:0 (53.). Kurz vor Schluss machte Douglas Santos mit einem 16-Meter-Schuss den 4:0-Triumph perfekt (88.). Es war der höchste Saisonerfolg und der höchste Ligasieg seit 2013, als Lasogga erstmals mit seinem bekannten Glücksunterhemd spielte und beim 5:0 in Nürnberg einen Dreierpack erzielte.

Den FC St. Pauli hat der HSV nun auf sieben Punkte distanziert und auch Union Berlin wieder drei Zähler hinter sich gelassen. Aus dem Vierkampf um den Aufstieg ist ein Dreikampf geworden. „Natürlich kriegen wir mit, wenn Union und Köln gewinnen. Aber davon dürfen wir uns nicht nervös machen lassen“, sagte Lasogga. Auch von den Flaschenwürfen auf den Teambus ließ sich der HSV nicht einschüchtern. Trainer Hannes Wolf war mit dem Auftreten seiner Mannschaft sehr zufrieden. „Wenn wir immer so wie im Derby spielen, brauchen wir jede Woche eins“, sagte Wolf und blickte humorvoll auf die neue Woche: „Es ist jetzt meine Aufgabe, aus Darmstadt ein Derby zu konstruieren.“

Der Cheftrainer hatte seiner Mannschaft unmittelbar nach dem Derbysieg zwei Tage frei gegeben – samt Feiererlaubnis. Mit einer Einschränkung: „Ich erwarte am Mittwoch alle in einer sehr guten Verfassung beim Training zurück.“ Auch Sportvorstand Ralf Becker gönnte der Mannschaft eine entsprechende Spielverarbeitung: „Heute können alle mal stolz sein und auch gerne feiern gehen. Der Druck muss auch mal raus.“

Mit Hochdruck arbeitete auch die Merchandising-Abteilung. Unmittelbar nach dem Spiel verkaufte der HSV 1887 Derbysieger-Shirts für 18,87 Euro. Eine Stunde später waren alle vergeben. Womöglich gibt es auch das Lasogga-Unterhemd irgendwann offiziell im HSV-Fanshop zu kaufen. Eine Zukunft des Stürmers über die Saison hinaus scheint nach dem Derbydoppelpack, dem ersten eines HSV-Spielers seit Bernardo Romeo 2002, wieder mehr als denkbar. „Ich identifiziere mich mit diesem Verein bis aufs Letzte“, sagte Lasogga. Am Sonntag, so viel kann man sagen, hat er für den Derbysieg sein letztes Hemd gegeben.