Thomas Michael, der neue Geschäftsleiter Amateursport, bestätigt im Interview das Vorhaben und spricht über E-Sport.

Hamburg. Seit dem 1. August ist Thomas Michael (47) beim FC St. Pauli Geschäftsleiter Amateursport. Der langjährige Pressesprecher des Hamburger Sportbundes (HSB) betrat damit Neuland, denn diese Stelle auf höchster hauptamtlicher Ebene gab es vorher nicht. Im ersten großen Interview seit seinem Amtsantritt spricht Thomas Michael über die Probleme, Sportflächen, insbesondere Hallen, im Stadtteil zu finden und die Idee, ein vereinseigenes Fitnessstudio zu bauen.

Hamburger Abendblatt: Welche Aufgaben sind Sie auf Ihrer neuen Position zunächst angegangen?

Thomas Michael: Die Priorität am Anfang war, erst einmal alle 22 Abteilungen kennenzulernen, für die ich zuständig bin. Das sind alle Abteilungen außer der Abteilung Fördernde Mitglieder (AFM). Ich habe quasi eine Tournee gemacht, habe Abteilungsversammlungen, Stammtische und alles, was es da so gibt, besucht. Es war mir auch wichtig, dass die Mitglieder mich kennenlernen und Vertrauen zu mir aufbauen.“

Wann ist bei Ihnen der Entschluss gereift, den HSB zu verlassen, um eine inhaltlich andere Herausforderung anzunehmen?

Michael: Ich war insgesamt elf Jahre beim HSB. Nach sieben, acht Jahren kam der erste Impuls, mal etwas Neues zu machen, andere Zusammenhänge zu haben, aber sehr gern im Sport zu bleiben. Der konkrete Schritt ist gekommen, als das Angebot vom FC St. Pauli kam, der einen Geschäftsleiter für den Amateursport suchte. Ich kann hier mein Netzwerk und alles, was ich mir beim HSB erarbeitet habe, weiter nutzen. Da habe ich mir gesagt: jetzt ist es Zeit. Ich habe dem HSB-Vorstandsvorsitzenden Ralph Lehnert offen gesagt, dass ich mich gern verändern und diesen Prozess transparent und fair führen möchte. Das hat er auch so aufgenommen und mich sogar unterstützt.

Welche Beziehung haben Sie in Ihrer Zeit beim HSB zum FC St. Pauli gehabt?

Michael: Ich bin seit ewigen Zeiten Fan des FC St. Pauli, war als Jugendlicher das erste Mal im Stadion und bin immer hier geblieben. Die Arbeitsbeziehungen waren hingegen nicht sehr ausgeprägt. Das lag daran, dass sich der FC St. Pauli im Amateursport bisher sehr wenig um Verbände gekümmert hat. Auch das war ein Punkt, der mit dieser Stelle für die sporttreibenden Abteilungen verändert werden sollte.

Wie viel stürzt auf Sie von den Abteilungen ein, da es diese Stelle ja vorher nicht gab.

Michael: Das ist ja gerade das Schöne und sehr gewollt. Es ist etwas Positives, dass aus den Abteilungen jetzt der Wunsch nach Unterstützung kommt, um verschiedene Probleme zu lösen. Ich empfinde es als eine wunderschöne Gestaltungsaufgabe, habe ein weißes Blatt Papier vor mir liegen, das ich füllen kann und muss. Dabei bekomme ich Rückendeckung durch das Präsidium, den Aufsichtsrat und den Amateurvorstand, an den ich berichte. Das sind perfekte Rahmenbedingungen, um etwas Neues aufzubauen und Bestehendes zu verstärken. Es ist schon viel da. Ich komme nicht rein und erkläre etwas Neues. Vielmehr haben die Abteilungen ehrenamtlich unfassbar gute Arbeit geleistet. Sonst wäre der Verein im Amateurbereich nicht so groß. Wir haben hier mittlerweile 11.000 Sporttreibende. Damit sind wir im HSB der zweitgrößte Verein mit sportlich aktiven Mitgliedern.

Das sind weit mehr als noch vor wenigen Jahren, wie ist das zu erklären?

Michael: Wir sind zum einen in den bestehenden Abteilungen sehr stark gewachsen, wie etwa in der Triathlon-Abteilung, die mit rund 700 Mitgliedern deutschlandweit eine der größten Abteilungen in dieser Sportart ist. Dazu haben wir Abteilungen neu gegründet, die sehr schnell wachsen, wie zum Beispiel unsere Segel-Abteilung oder die Abteilung Beachvolleyball.

Seit geraumer Zeit fehlen dem Amateursport im FC St. Pauli Sportstätten im Stadtteil. Auch dies war ja ein Grund für die Einrichtung Ihrer Stelle. Wie dramatisch ist die Situation?

Michael: Ich habe in den gängigen Parametern einmal gerechnet unter der Voraussetzung, dass die Sportstätten optimal ausgelastet sind. Demnach fehlen uns ein kompletter Kunstrasenplatz und eine Dreifeld-Sporthalle zur Alleinnutzung hier im Viertel. Und das allein, um den Status quo zu versorgen. An Wachstum ist aber auch damit nicht zu denken.

Mussten Sie schon Sportarten ablehnen?

Michael: Genau das musste ich in den knapp fünf Monaten schon bei vier Abteilungen machen, die sich im FC St. Pauli gründen wollten. Es gab eine Initiative für eine Basketball-Abteilung. Diese Sportart würde perfekt zum FC St. Pauli passen. Das kann ich im Moment bedauerlicherweise nicht annehmen, weil ich keine einzige Hallenzeit für sie hätte. Auch Badminton musste ich ablehnen.

Wie können Sie diese Situation ändern? Im eng besiedelten St. Pauli mal eben eine Dreifeldhalle zu bauen, scheint fast undenkbar.

Michael: Das Problem sind in der Tat die Flächen, um dort eine Halle oder einen Sportplatz zu bauen. Wir sind intensiv dabei, mögliche Flächen zu identifizieren, sprechen mit Behörden und versuchen für eine Finanzierung zu sorgen. Wir sind ein Stadtteilverein, unsere Mitglieder wollen hier im Kerngebiet trainieren. So soll es auch bleiben. Unsere Mission ist, jedem einzelnen Menschen im Stadtteil St. Pauli ein Sportangebot zu machen. So weit sind wir noch nicht. Im Seniorensport sind wir noch schwach aufgestellt. Aber da wollen wir etwas tun und Senioren-Gymnastik anbieten. Dafür wollen wir eine neue Freizeitsport-Abteilung gründen, in der viele verschiedene Aktivitäten eine Heimat finden können, zum Beispiel auch Slackline.

Was wollen Sie Kindern und Jugendlichen anbieten?

Michael: Wir wollen die Kindern und Jugendlichen aus dem Stadtteil zu uns holen und ihnen ein Forum bieten. Dazu gehören Gemeinschaft, Interaktion, soziales Lernen und vieles mehr. Das soll hier stattfinden, aber dafür brauchen wir Platz.

Inwiefern ist Fitness ein Thema?

Michael: Das ist definitiv ein Thema, das wir angehen. Wenn wir eine Fläche bekommen und es wirtschaftlich darstellbar ist, kann auch ein vereinseigenes Fitness-Studio eine konkretes Projekt werden. Das wird aber niemals ein High-End-Studio, weil es für die Menschen hier im Stadtteil nicht passt. Wir wollen aber auch nicht auf den Discounter-Markt, da ist die Konkurrenz einfach viel zu groß. Das passt genauso wenig. Wir wollen ein gesundheitsorientiertes Fitness-Studio haben. Da muss man gut rechnen. Wir sind auch in diesem Punkt dabei, Flächen zu identifizieren. Ansonsten sind wir auch im Amateurbereich auf dem Kurs des Gesamtvereins, nur das zu tun, was wirtschaftlich vernünftig ist.

Ganz aktuell sind die Probleme des Eishockeyteams der Crocodiles. Ist es für den FC St. Pauli denkbar, den Crocodiles eine Heimat zu bieten und ein Oberligateam zu unterhalten. Der Totenkopf auf einem Eishockeytrikot hätte doch etwas...

Thomas Michael an seinem Arbeitsplatz in der Geschäftsstelle.
Thomas Michael an seinem Arbeitsplatz in der Geschäftsstelle. © WITTERS | TimGroothuis

Michael: Die Sportart könnte zum FC St. Pauli passen. Aber die Sportstättensituation ist ja noch prekärer als in anderen Teamsportarten. Die Halle in Farmsen liegt weit von unserem Stadtteil entfernt. Es ist eine spannende Sportart, und wir bedauern die Entwicklung bei den Crocodiles. Aber da sehen wir keine Priorität für den FC St. Pauli. Hinzu kommt, dass sich bei uns jede Abteilung selbst finanzieren muss. Die Unterhaltung auch eines semiprofessionellen Eishockeyteams ist unter dem Dach der Amateurabteilungen nicht darstellbar.

Warum wäre denn die finanzielle Unterstützung einer ambitionierten Mannschaft aus dem Nicht-Fußball-Bereich mit einem Bruchteil der Einnahmen des Profifußballs nicht möglich?

Michael: Das funktioniert allein schon nicht, weil sofort die aktive Fanszene fragen würde, warum von dem Geld zum Beispiel kein besserer Stürmer für das Profifußballteam geholt wird. Und dies völlig zu Recht. Der Lizenzspielerbereich erwirtschaftet das Geld für die Profimannschaft und erfolgreichen Fußball, zudem werden durch den Lizenzbereich auch Mittel für den ideellen Bereich des Nachwuchsfußballs zur Verfügung gestellt. Das ist ein prägendes Element im Verein. Die Abteilungen müssen sich selbst finanzieren, erhalten dafür die Unterstützung aus dem Gesamtverein. Auch die Vermarktung ist möglich, wenn sie passt. Unsere Bundesligateams im Rugby oder – sehr erfolgreich – im Blindenfußball sind reine Amateurmannschaften.

Können Sie erklären, wie Ihr Konzept zum Thema E-Sport aussieht?

Michael: Wir sind dafür offen und stellen Planungen in diesem Bereich an. Wir können uns auch vorstellen, hier im Stadion E-Sport-Events anzubieten. Dazu schauen wir im Amateurbereich, wie wir E-Sport sinnvoll implementieren können. Ob das dann in einer bestehenden Abteilung stattfindet oder eine eigene Abteilung wird, müssen wir noch entscheiden. Es gibt allerdings das grundlegende Problem der Gemeinnützigkeit. Ein Gutachten besagt, dass E-Sport kein Sport im Sinne der Abgabenordnung sein kann. Das bedeutet, dass man sofort seine Gemeinnützigkeit gefährdet, wenn man Mitgliedsbeiträge für E-Sport ausgibt, weil dies nicht dem Vereinszweck dient. Wir denken hier über ein spezielles Modell nach. Grundsätzlich wäre es uns wichtig, dass E-Sport hier im Verein stattfindet, wenn wir es anbieten. Ich möchte nicht, dass die Kinder und Jugendlichen zu Hause auf dem Sofa sitzen und als Mitglied des FC St. Pauli E-Sport betreiben. Verein ist für mich immer noch ein Ort, an dem die Menschen zusammenkommen und wo Gemeinschaft und Interaktion passiert. Wenn wir E-Sport anbieten, wollen wir dies auch immer mit Bewegung verbinden. Kurz gesagt: nach dem Daddeln wird noch gekickt. Idealerweise sprechen wir in der Zeit, in der die Kinder Fußball spielen, mit den Eltern über das Thema Sucht.

Welche Spiele wollen Sie anbieten?

Michael: Klar ist auch, dass es hier im Verein bestimmte Spiele nicht geben wird. Die Hamburger Sportjugend hat ein Prüfraster entwickelt. Da steht an erster Stelle die Unverletzbarkeit des Menschen. Dadurch fallen alle Ego-Shooter-Spiele raus. Außerdem wird es auf absehbare Zeit keine Profiteams des FC St. Pauli im E-Sport geben. Wenn aber unsere Kinder und Jugendlichen gern in einer Liga E-Soccer spielen wollen, würden wir uns an die Liga, die es im Hamburger Fußball-Verband gibt, andocken.

Welche anderen Projekte innerhalb des Vereins wollen Sie angehen?

Michael: Die Vernetzung der verschiedenen Abteilungen ist ein Thema. Das ist noch schwach ausgeprägt, aber die Mitglieder wollen es sehr gern. Zum Beispiel haben wir gerade abteilungsübergreifende Trainings angeboten. So bietet etwa die Marathon-Abteilung ein gutes Lauftraining an, das auch für unsere Triathleten interessant ist. Die Harbour Girls Roller Derby machen ein Crosstraining, weil sie die Kraft brauchen. Das brauchen andere aber auch, zum Beispiel die Segler. Und die Fußballer haben auch schon mit den Boxern trainiert. Dies alles zu organisieren, ist ein Ansatz, den wir haben wollen. Wir sind ein Verein, das gilt auch für den Profibereich und die aktive Fanszene.

Welchen Sport betreiben Sie selbst?

Michael: Ich bin seit meiner Jugend ein begeisterter Segler. Zudem halte ich mich vor allem mit Indoor-Cycling fit.

Sind Sie dann in der Segel- oder der Radsport-Abteilung Mitglied?

Michael: Weder noch, und zwar ganz bewusst, weil ich für alle sporttreibenden Abteilungen gleichermaßen da bin. Deshalb bin ich Mitglied in der AFM.