Hamburg. Johannes Flum und Philipp Ziereis vom FC St. Pauli sprechen über Freundschaft, Reizklima im Team und fehlende Typen im Fußball.
Eigentlich sind Johannes Flum (30) und Philipp Ziereis (25) friedliebende Menschen. Beim 3:1-Sieg gegen den SV Sandhausen gerieten die beiden Profis des FC St. Pauli auf dem Platz derart heftig aneinander, dass es sogar handgreiflich wurde. Vor dem Spiel am Montag beim MSV Duisburg sprechen die beiden Kumpels über Freundschaft, warum ein Reizklima wichtig ist, und warum es schwer ist, in der heutigen Zeit ein „Typ“ zu sein
Herr Flum, Herr Ziereis, wir wollten uns als Schlichter für ihren Streit anbieten.
Johannes Flum: (lacht): Vielen Dank für das Angebot, aber wir benötigen keinen Schlichter. Wir haben das selbst geregelt. Es ist alles gut, mittlerweile können wir darüber schmunzeln.
Philipp Ziereis: Wir hatten uns ja bereits im Spiel unmittelbar nach dem Vorfall die Hand gegeben. Für mich war die Sache da schon vom Tisch. Ich weiß ja, dass Flumi auf dem Platz sehr emotional sein kann und dass bei mir auch mal die Emotionen durchkommen können. Es sah wilder aus, als es war.
Welche Reaktionen haben Sie beide auf ihren handfesten Streit auf dem Platz bekommen? Ist es Ihnen rückblickend etwas peinlich?
Ziereis: Nein, peinlich nicht. Es gehört dazu und einen Tag später hat es uns schon nicht mehr interessiert. Vielleicht war es in dem Spiel aber auch ganz gut.
Flum: Ich möchte nicht wissen, wie wir reagiert hätten, wenn wir das Spiel danach nicht noch 3:1 gewonnen hätten. Bei uns ist es so: Wir verstehen uns privat richtig gut. Gerade dann kann man sich auch mal richtig die Meinung geigen. Guten Freunden sagt man die Meinung, auch wenn es mal weh tut. Meine Frau und mein Vater waren im Stadion und die haben gesagt, dass so etwas nach außen natürlich nicht so besonders gut wirkt. Natürlich haben wir eine Vorbildfunktion, aber ich finde nicht, dass man sich deshalb nicht mal richtig zoffen darf. Dass wir so aneinandergeraten, hätte ich aber nicht gedacht. Da hat es echt gescheppert.
Um das Thema abzuschließen: Wer von Ihnen hatte denn recht?
Ziereis: Das wissen wir beide immer noch nicht (lacht). Nein, im Ernst: Ich glaube, dass keiner recht oder unrecht hatte. In der Phase wusste keiner so recht, warum sich das Spiel so entwickelt hatte. Es war eher ein Missverständnis gepaart mit aufkommenden Emotionen.
Im Fußball herrscht bist heute das Motto: Elf Freunde müsst ihr sein! Ist die These Mythos oder Wahrheit?
Ziereis: Ich würde sagen Mythos. Es gibt keine Mannschaft der Welt, in der sich elf oder 25 Spieler super verstehen und jeden Tag etwas zusammen unternehmen. Es gibt immer unterschiedliche Typen und Charaktere. Auf dem Platz müssen gewisse Regeln gelten, die jeder einzuhalten hat.
Flum: Wir müssen nicht alle befreundet sein, sind ja im Prinzip auch Arbeitskollegen. Es ist wichtig, dass man sich auch mal die Meinung sagt. Egal, ob man außerhalb des Platzes viel miteinander unternimmt, wie Philipp und ich, oder eben nicht.
Warum ist ein gesundes Reizklima in einer Fußballkabine so wichtig?
Flum: Ich bin harmoniebedürftig, aber unsere Branche ist eine Ellenbogen-Gesellschaft. Da ist es so, dass man immer Reize setzen muss, um eine gewisse gesunde Aggressivität zu haben. Wir haben uns nun einmal einen Zweikampfsport ausgesucht. Reizklima im Training ist wichtig, damit wir die besten Leistungen aus uns herauskitzeln können. Ein gewisses Reizklima ist nicht verkehrt.
Ziereis: Das hat uns letzte Saison etwas gefehlt. Wenn Dinge nicht gut laufen, muss man sie ansprechen. Das machen wir im Moment als Team gut. Es gibt immer mal hitzigere Diskussionen im Training. Das ist ganz normal. Jeder kämpft um seinen Platz im Team.
Flum: Es kommt häufiger vor, als man es vielleicht nach außen hin mitbekommt. Das Trainingsspiel will jeder gewinnen, sich für die Startelf empfehlen. Die elf Spieler, die kein Leibchen für die A-Elf bekommen, sind natürlich sauer und die, die eins haben, wollen es natürlich nicht mehr hergeben. Da entsteht automatisch Aggressivität. Das ist gut und gesund, und wir sollten es beibehalten.
Wie hat sich das Klima innerhalb einer Mannschaft über die Jahre verändert. Sie sind beide schon länger im Fußballgeschäft aktiv.
Flum: Die jungen Spieler sind heute schon professioneller, weil sie die Akademien durchlaufen haben.Die Jungs haben ein gesundes, manchmal auch sehr gesundes Selbstvertrauen. Die Hierachien, die es früher gab, haben sich verändert. Ich will nicht sagen, dass die jungen Spieler heute weniger Respekt haben, aber früher gab es einfach ungeschriebene Gesetze, die es heute weniger gibt. Ich kann damit umgehen, aber die jungen Spieler sollten nie vergessen, dass sie einen Traumberuf ausüben und ihn auch in jungen Jahren wertschätzen sollten. Das ist manchmal etwas abhanden gekommen.
Sie sprechen die Akademien an, in denen es so wirkt, als würde man viel Wert darauf legen, stromlinienförmige Jungprofis zu entwickeln. Fehlt es dem Fußball an charismatischen Typen?
Ziereis: Ganz ehrlich: Wenn du dich nach Spielen hinstellst, so wie der Kollege aus Kaiserslautern, der sagte, dass der Schiedsrichter Cornflakes zählen gehen soll, dann ist das über Tage ein Thema. Ich kann jeden verstehen, der sich zurückhält und es immer mehr Interviews gibt, die austauschbar geworden sind
Aber ist das nicht schade?
Ziereis: Ja, aber wenn du aneckst und mal einen raushaust, wird das durch die Sozialen Medien und die Presse derart aufgebauscht, dass sich viele Spieler den Stress ersparen wollen. Deshalb braucht sich keiner zu wundern, dass es nicht mehr diese Typen gibt.
Flum: Ich habe in Freiburg gespielt. Wenn ich da mal was gesagt habe, stand es in der „Badischen Zeitung“ und dann war es auch gut. Mit den Sozialen Netzwerken ist es heute schon schwieriger.
Wie aktiv sind Sie beide in den Sozialen Netzwerken?
Flum: Ich bin gar nicht aktiv. Früher hatte ich mal eine Facebook-Fanseite, zu meiner Zeit in Freiburg. Wenn es gut läuft, liest man die Kommentare natürlich gerne. Dann bin ich nach Frankfurt gewechselt, und wir hatten einen schlechten Saisonstart. Es gab im Netz viel Kritik und ich habe mich dadurch runterziehen lassen. Das hat mich Energie und Zeit gekostet, also habe ich die Seite gelöscht.
Ziereis: Ich bin nur auf Instagram aktiv. Facebook habe ich seit drei Jahren nicht mehr. Es hat nur noch genervt. Immer wieder Nachrichten von Leuten, die ich 100 Jahre nicht gesehen habe: Kann ich Tickets haben? Kann ich dein Trikot haben? Sogar meine Freundin wurde angeschrieben. Es hat mehr genervt, als es mir genutzt hat.
Flum: Zuhause will ich mir die Zeit für Soziale Netzwerke nicht nehmen. Da steht die Familie im Vordergrund. Auf Auswärtsfahrten frage ich Philipp immer nach seinem Handy, damit ich mal schauen kann, was so auf Instagram abgeht. Da gibt es ja schon lustige Videos und Bilder. Das ist ja schon auch spannend.
Unabhängig von den Sozialen Medien: Lässt sich das Rad nicht mehr zurückdrehen oder gibt es Ansätze, wie man wieder mehr Typen im Fußball haben kann?
Ziereis: Es gibt aber schon noch Typen. Sicher nicht mehr die Effenbergs, Baslers und Kahns von früher, die jetzt mit ihren Anekdoten um die Ecke kommen, wie sie vorm Champions-League-Finale saufen waren. Das ist ja auch lustig, die Dinge zu hören, aber heute ist alles so professionell in den Vereinen, dass man so etwas gar nicht mehr machen könnte.
Flum: Das ist der Lauf der Zeit. Ich glaube, schon, dass es genug Typen gibt, die ihre Meinung auch offen kundtun.
Ziereis: Viele Typen verstecken sich aber auch zum Selbstschutz.
Flum: Ja, das kann sein. Viele Spieler denken sich: Oh, ich habe noch eine lange Karriere vor mir und will es mir durch unbedachte Äußerungen nicht verbauen. Berater oder Eltern raten dann auch mal: Sag nichts Falsches! Das könnte deiner Karriere im Weg stehen. Das ist schade. Für mich spielt es keine Rolle mehr. Die Karriere, die ich noch vor mir habe, ist überschaubar.
Fußball gilt als oberflächliche Branche, die voller Ich-AGs sind. Gibt es echte Freundschaften zwischen Fußballern?
Flum: Wir Fußballer haben ein ganz anderes Arbeitsklima als vielleicht Ihr beim Abendblatt. Ihr seid nicht permanent zusammen in der Kabine oder wohnt zusammen bei einer Auswärtsfahrt, duscht nicht zusammen. Das Verhältnis unter den Spielern ist dadurch viel enger. Dadurch entwickeln sich natürlich Freundschaften, so wie bei Philipp und mir. Von Anfang an haben wir uns gut verstanden, auch wenn wir jetzt nicht jeden Tag etwas zusammen unternehmen.
Ziereis: Vielleicht müssen wir uns öfters zoffen, damit wir mal wieder mehr miteinander machen. (lacht)
Flum: Wir können uns über viele Dinge super unterhalten, auch wenn wir unterschiedliche Interessen haben. Es gibt Typen in der Mannschaft, mit denen hat man eben weniger zu tun, weil sie andere Interessen haben. Das ist aber auch in Ordnung. Eine professionelle Ebene ist wichtig, dass man jeden so respektiert, wie er ist.
Zumal die Altersstruktur einer Mannschaft ja bunt gemischt ist.
Ziereis: Wobei sich ein Bernd Nehrig (31) und Richard Neudecker (23) auch gut verstehen. Früher habe ich viel mit unserem ehemaligen Keeper Philipp Heerwagen gemacht.
Flum: Und der ist ja quasi schon Opa (lacht). Entschuldige Heerwi, das habe ich nicht gesagt!
Ziereis: Man versteht sich mit dem einen besser mit dem anderen weniger. Das ist in jedem Unternehmen so. Aber manche Freundschaften bleiben auch bestehen, wenn einer den Club wechselt. Durch den Fußball kann man echte Freunde gewinnen, auch wenn es nicht einfach ist, manchmal Freundschaften auf die Distanz aufrechtzuerhalten.
Mit Lennart Thy, Philipp Heerwagen und Sebastian Maier sind einige Freunde nicht mehr bei St. Pauli.
Ziereis: Ich hoffe, dass es nicht an mir liegt, dass meine Freunde im Team immer den Club wechseln wollen. (lacht).
Vor den Spielen teilen Sie beiden sich ein Hotelzimmer. Wie läuft das Leben in einer Fußballer-WG?
Ziereis: Ach, eigentlich ganz gut würde ich sagen. So viel Zeit verbringt man ja auch nicht auf dem Zimmer. Eigentlich schlafen wir die ganze Zeit, oder?
Flum: Das stimmt. Natürlich spricht man auch miteinander, aber es ist jetzt nicht so, dass man nur aneinanderklebt und einem die Decke auf den Kopf fällt.
Wer braucht länger im Bad?
Ziereis: Da Flumi abends immer recht früh einschläft als Familienvater, habe ich immer recht viel Zeit im Bad.
Flum: Da hat er Recht! Ich gehe früh ins Bett und freue mich, wenn mich nachts kein Baby weckt und ich ausschlafen kann. Aber Philipp braucht definitiv länger im Bad, weil ich ja nicht so eitel bin, wie er. Die Haare müssen ja sitzen. (lacht)
Noch ein Streitpunkt in Wohngemeinschaften: Wer hat die Kontrolle über die TV-Fernbedienung?
Ziereis: Ich würde sagen, ich habe sie öfters, frage Johannes aber auch ab und zu mal, was er sehen möchte. Viel Zeit, das Fernsehprogramm zu studieren hat man ohnehin nicht. Aber Flumi schläft ja wie gesagt eh immer früh ein.